Debatte um Prostitutionsgesetz:"Alice Schwarzer hat noch nie im Bordell gearbeitet"

Undine de Rivière

"Kriminalisierung hilft uns nicht weiter": Undine de Rivière, Sexarbeiterin und Pressesprecherin des Bundesverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen.

(Foto: Undine de Rivière)

Undine de Rivière ist Prostituierte und Sprecherin des Berufsverbandes für erotische und sexuelle Dienstleistungen. Im Interview spricht sie über die aktuellen Debatten um das Prostitutionsgesetz, die Wünsche ihres Berufsstandes nach Anerkennung und über Alice Schwarzers Bordell-Kompetenz.

Von Isabel Pfaff

Undine de Rivière ist Physikerin - und seit 20 Jahren auch Sexarbeiterin. Schon ihr Studium hat die 40-Jährige einst mit Prostitution finanziert. Seit zwölf Jahren ist sie hauptberufliche Sexarbeiterin, mit den Schwerpunkten Sadomaso und Fetisch.

In Deutschland regelt das 2002 verabschiedete Prostitutionsgesetz den Umgang mit Sexarbeit, im europäischen Vergleich gilt es als relativ liberal. In den Koalitionsverhandlungen diskutieren Union und SPD nun über eine Reform. Undine de Rivière und ihre Kolleginnen und Kollegen wollen mitreden: Im Oktober dieses Jahres haben sie den Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen gegründet. Im Interview erzählt de Rivière, was sie von den aktuellen Ideen aus der Politik hält - und sie reagiert auf die Kritik an ihrem Verband.

SZ.de: Seit fast zwölf Jahren gibt es das Prostitutionsgesetz, mit dem Rot-Grün 2002 die Sexarbeit aus der Sittenwidrigkeit geholt hat. Was hat sich seither geändert?

Undine de Rivière: Das Prostitutionsgesetz war ein Schritt in die richtige Richtung. Es gibt zwar immer noch eine große Stigmatisierung, aber es hat Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter gesellschaftlich besser integriert. Die Förderung der Prostitution ist heute kein Straftatbestand mehr, Bordellbetreiber können gute Arbeitsbedingungen für Sexarbeiterinnen schaffen, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen. Einkünfte aus Sexarbeit können jetzt versteuert werden. Allerdings kann das Finanzamt nicht alle Einkünfte erfassen, weil Sexarbeit immer noch nicht als Freiberuf anerkannt ist. Die meisten von uns arbeiten freiberuflich, werden aber von den Finanzbehörden gar nicht als Prostituierte registriert.

Was haben Sie grundsätzlich am Gesetz zu kritisieren?

Das große Problem ist, dass es in anderen Rechtsbereichen nicht umgesetzt wurde. Auf Landes- und Kommunalebene sind immer noch viele Regelungen in Kraft, die uns diskriminieren. Landespolizeigesetze zum Beispiel oder Sperrbezirksverordnungen. Die Polizei darf Prostitutionsstätten immer noch ohne jeden Anfangsverdacht oder Richterbeschluss kontrollieren. Statistiken der Polizei zufolge haben die Razzien seit 2002 sogar zugenommen. Wir sind immer noch relativ starker Behördenschikane ausgesetzt, speziell in konservativen Bundesländern.

Unionspolitiker sagen allerdings, dass das Prostitutionsgesetz Kontrollen erschwert habe - sie fordern eine Ausweitung der Möglichkeiten.

Wie jemand darauf kommen kann, ist mir völlig schleierhaft. Die Polizei kann jetzt nicht mehr jeden mitnehmen, der im Umfeld von Sexarbeit Geld verdient, sondern braucht einen Anfangsverdacht in Richtung Ausbeutung oder anderer krimineller Geschichten. Womöglich behaupten manche Politiker deshalb, die Polizei habe keine Handhabe mehr. Für uns ist es aber nach wie vor Alltag, dass Polizeibeamte plötzlich unangemeldet im Zimmer stehen.

Alle Bundestagsparteien sind sich einig, dass es Reformbedarf gibt. Die SPD will zum Beispiel, dass Bordelle im Rahmen des Gewerberechts auf Hygienezustände und den Umgang mit den Angestellten hin überprüft werden sollen. Eigentlich eine sinnvolle Idee, oder?

Ich weiß nicht, was das bringen soll. Große Betriebe benötigen eine Gaststättenlizenz, da werden die hygienischen und feuerschutzrechtlichen Bedingungen ohnehin geprüft. Gewerberecht hat normalerweise doch mit Verbraucherschutz zu tun, die Rechte von Angestellten lassen sich über das Arbeitsrecht verbessern. Das riecht nach dem Wunsch, das Gewerbe generell stärker zu kontrollieren. Und nach Aktionismus, der den öffentlichen Druck befriedigen soll - ohne, dass wir Sexarbeiterinnen tatsächlich irgendwelche Vorteile davon haben.

Die meisten Politiker sagen, ihnen gehe es um die Eindämmung von Menschenhandel und Zwangsprostitution, nicht um Kontrolle.

Ja, das sagen sie, genau wie die Feministinnen, die uns nicht zutrauen, dass wir für uns selber sprechen können. Aber der Wunsch nach Kontrolle von Sexualität und Prostitution war schon immer sehr groß, er ist aus den Köpfen vieler Menschen einfach nicht rauszukriegen. Früher wollte man uns kontrollieren, indem man uns für geisteskrank erklärt hat, heute machen sie uns zum schutzbedürftigen Opfer. Manchen glaube ich sogar, dass sie uns schützen wollen. Aber nicht jedem ist diese Kontrolltradition bewusst.

Maria Böhmer, die Chefin der Frauenunion, hat vor ein paar Tagen gefordert, Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter zu regelmäßigen medizinischen Kontrollen zu verpflichten. Geht es hier nicht um Gesundheitsfragen?

Solche Pflichtuntersuchungen sind diskriminierend. Wir befürchten außerdem, dass die Wünsche nach Geschlechtsverkehr ohne Kondom extrem zunehmen würden, wenn Kunden davon ausgehen, dass Sexarbeiterinnen regelmäßig getestet werden. Nach dem Motto: Die sind ja alle gesund und man kann sich nichts holen. Die Möglichkeit zu regelmäßigen Gesundheitskontrollen ist wichtig, die Gesundheitsämter gewährleisten das auch. Wichtig ist aber auch die Freiwilligkeit.

"Flatrate-Bordelle leben von männlicher Selbstüberschätzung"

Was sollte die neue Regierung also stattdessen tun, um die Situation von Prostituierten zu verbessern?

Unsere zentrale Forderung ist die Beteiligung von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern an allen politischen Prozessen, die sich mit dem Thema Prostitution befassen. Außerdem halten wir Weiterbildungs- und Professionalisierungsangebote für sehr wichtig. Sexarbeiterinnen müssen ihre Rechte gegenüber Behörden kennen, sie müssen darin bestärkt werden, ihre persönlichen Grenzen zu kennen und zu wahren. Solche Angebote müssen gefördert und ausgeweitet werden. Wir wünschen uns Kampagnen gegen die Stigmatisierung von Sexarbeiterinnen, für einen respektvollen Umgang mit dieser Berufsgruppe. Was Zwangsprostitution betrifft, ist der Opferschutz enorm wichtig, vor allem für Frauen und Männer aus Drittstaaten. Das hat auch die Politik erkannt, Union und SPD diskutieren gerade ein Aufenthaltsrecht für Frauen, die aus der Zwangsprostitution aussteigen wollen. Was nicht hilft, ist die Stigmatisierung einer ganzen Branche.

Aber eine Studie der EU aus dem Jahr 2011 kommt zu dem Schluss, dass ein liberaler Umgang mit Prostitution, wie wir ihn in Deutschland haben, Menschenhandel und Zwangsprostitution begünstigt. Das ist auch das Argument vieler Politiker.

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Eine Sexarbeiterin in einem Bordell in Amsterdam: "Wir wollen nicht zum schutzbedürftigen Opfer erklärt werden", sagt Prostituiertenvertreterin Undine de Rivière.

(Foto: Anoek de Groot/AFP)

An dieser Studie gab es jede Menge Kritik, denn die Datengrundlage dafür war die mediale Berichterstattung über Menschenhandel in den untersuchten Ländern. Das heißt, die Studie kann keine Aussagen über absolute Zahlen machen, das haben die Autoren auch selbst zugegeben.

In Ihrem kürzlich veröffentlichten Appell für Prostitution schreiben Sie, dass die Fälle von Menschenhandel zurückgehen - mit Verweis auf die Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA). Für die Jahre 2002 bis 2011, also seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes, steigt aber die Zahl der erfassten Fälle.

Wenn Sie sich den Verlauf der letzten 15 Jahre anschauen, ist der Trend aber leicht abfallend. Hinzu kommt, dass Sexarbeiterinnen, die zwischen 18 und 21 Jahre alt und bei einem Bordellbetreiber angestellt sind, in der BKA-Statistik automatisch als Menschenhandelsopfer zählen. Das macht ungefähr ein Drittel der erfassten Fälle aus. Es heißt immer, das Prostitutionsgesetz hat den Menschenhandel nicht bekämpft - aber die Straßenverkehrsordnung verhindert ja auch keine Raubüberfälle! Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Opfer von Menschenhandel gibt es auch in anderen Branchen - auf dem Bau, in der Landwirtschaft, in der Pflege, in der Gastronomie.

In TV-Berichten und Reportagen kommen oft Sexarbeiterinnen zu Wort, die überhaupt nicht selbstbestimmt oder zufrieden wirken. Kann Ihr Berufsverband für diese Frauen überhaupt sprechen, oder vertritt er nur die zufriedenen Sexarbeiter?

Wie bei anderen Berufen auch muss man für Sexarbeit bestimmte Talente und Fähigkeiten mitbringen, um den Beruf ausüben zu können. Das gilt aber auch für Dachdecker, die schwindelfrei sein müssen, oder Lehrer, die bei Kindern nicht die Nerven verlieren dürfen. Natürlich gibt es auch Männer und Frauen, denen Sexarbeit nicht guttut und die sich gefangen fühlen, die eine falsche Entscheidung getroffen haben. Diesen Leuten muss mit einer Umschulung geholfen werden, eine Kriminalisierung hilft ihnen überhaupt nicht. Sexarbeit ist weder psychisch schädlich, noch muss man uns vor uns selbst schützen. Klar, nicht alle finden wie ich in der Sexarbeit ihre Selbstverwirklichung. Auch bei uns gibt es Frauen und Männer, die nur für Geld arbeiten. Aber das ist unser Recht. In welcher Branche ist es denn so, dass alle ihr Hobby zum Beruf gemacht haben? Es gibt eine große Vielfalt an Gründen, sich für diesen Beruf zu entscheiden. Jeder dieser Gründe muss respektiert werden.

In den vergangenen Jahren waren vor allem die Sex-Flatrates ein Thema. Gerade hat die SPD-Politikerin Manuela Schwesig gesagt, dass solche Praktiken verboten gehören, weil sie menschenverachtend seien. Können Sie dieser Kritik gar nichts abgewinnen?

Nein, denn wir sind generell für den Erhalt der Vielfalt von Arbeitsstätten und Arbeitsweisen in der Sexarbeit. Ich kenne Frauen, die genau so arbeiten möchten - weil sie selbst keine Kundenakquise machen wollen, weil sie das feste Tageshonorar schätzen, weil die Einnahmen dort häufig nicht schlechter, manchmal sogar besser sind. Und, um mal deutlich zu werden: Diese Flatrate-Geschichte hört sich erst einmal, sagen wir, überfordernd an. Aber sie ist vor allem eine Werbegeschichte. Das Flatrate-Konzept lebt nicht zuletzt von männlicher Selbstüberschätzung. Das sind Kunden, die einmal zahlen, zehn Mal wollen und dann zwei Mal können. Aber natürlich gibt es Frauen, die davon überfordert sind, die solche Arbeitsbedingungen nicht möchten und schrecklich finden.

Ihr Verband ist gerade einmal ein paar Wochen alt. Trotzdem scheinen Ihre Forderungen in der Politik zumindest etwas Gehör zu finden - im Gegensatz zu Alice Schwarzer, deren große Kampagne gegen Prostitution bei Union und SPD nicht auf Zuspruch stößt.

Das glaube ich auch, und das ist auch gut so (lacht). Alice Schwarzers Kampagne für ein Prostitutionsverbot geht völlig an der Realität der Menschen vorbei, die in der Sexarbeit tätig sind. Die Behauptung, dass 90 Prozent von uns unfreiwillig arbeiten würden, ist komplett aus der Luft gegriffen. Frau Schwarzer behauptet auch, die Interessenverbände der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter seien Lobbyverbände von Betreibern, was in keinster Weise stimmt.

Bei Ihnen dürfen allerdings auch Bordellbetreiber Mitglied werden.

Aber nur, wenn sie selbst aktiv in der Sexarbeit tätig sind oder waren. Natürlich sprechen auch wir in erster Linie für unsere Mitglieder, aber wir suchen den Kontakt zu anderen Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern. Ich war gerade ein paar Tage in einem großen Bordell in NRW und habe dort mit vielen Kolleginnen gesprochen. Wir denken, dass wir besser für die Frauen sprechen können, die sich nicht öffentlich zu Wort melden als eine Alice Schwarzer. Ich glaube, sie hat noch nie in einem Bordell gearbeitet und dort Gespräche von Kollegin zu Kollegin geführt. Zumindest würde mich das sehr wundern (lacht).

Linktipps: Die EU-Studie zu Prostitution und Menschenhandel finden Sie hier, die Kritik daran von Doña Carmen e.V., Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten, hier. Hier geht es zu Alice Schwarzers Appell gegen Prostitution.

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