Das schleichende Ende der Ära Berlusconi:Wie der Cavaliere sein Volk verloren hat

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Der Ruby-Sexskandal, seine verzweifelten Versuche, sich den Gerichtsverfahren zu entziehen und jetzt die krachende Niederlage beim Volksentscheid über die Atomkraft: Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi ist das Gespür für die Stimmung im Volk abhandengekommen - dabei war das seine größte, vielleicht einzige wirkliche Stärke als Politiker.

Andrea Bachstein

Italien wirkt, als sei es von sich selbst überrascht. Dass so viele Bürger sich an den Volksentscheiden beteiligen würden, war zuvor keineswegs zu erwarten. Auch nicht, wie überwältigend sie den Gesetzen zum Neubau von Atomkraftwerken, zur Wasserversorgung und der verkappten Immunitätsregelung für Premier Silvio Berlusconi eine Abfuhr erteilen würden. Etwas ist in Italien in Bewegung geraten, Neues bahnt sich an, das Ende der Ära Berlusconi ist wieder ein deutliches Stück näher gerückt.

Die Volksentscheide des vergangenen Wochenendes haben dem ohnehin angeschlagenen italienischen Premier Silvio Berlusconi eine weitere schwere Niederlage zugefügt. Ob er sich überhaupt bis zum nächsten regulären Wahltermin 2013 im Amt hält, ist derzeit völlig offen. (Foto: dpa)

Doch was sich da bewegt, hat noch keine klare Form. Und so mischt sich das Erstaunen mit einer gewissen Ratlosigkeit. Denn eindeutig ist zwar, wer bei den Referenden verloren hat. Wer sich in der Politik zu den Siegern zählen darf, ist jedoch weniger sicher.

Nach den Kommunalwahlen und den folgenden Stichentscheidungen haben Berlusconi und seine Regierungskoalition innerhalb weniger Wochen nun die dritte für sie schmerzhafte Niederlage erfahren. Nicht einmal im eigenen Lager gibt es mehr Zweifel, dass der skandalbeladene, kaum noch handlungsfähige Premier mehr Last als Zugpferd ist. Berlusconi hat verloren, was seine größte, vielleicht einzige wirkliche Stärke als Politiker war - das Gespür für die Stimmung im Volk.

Der 74-Jährige wirkt gealtert, strapaziert nach einem schwierigen Jahr für seine Regierung. Er hatte seine Mehrheit im Parlament eingebüßt und sie nur mit äußerster Anstrengung und vielen Zugeständnissen wieder zusammengeschustert.

Und das "System Berlusconi" ist doch verwundbar!

Der Kampf um den Machterhalt, der Ruby-Skandal, seine verzweifelten Versuche, den vier gegen ihn laufenden Prozessen zu entkommen, haben ihn offenbar so beschäftigt, dass er nicht mitbekommen hat, wie sich die Stimmung bei den Bürgern gedreht hat. Der Premier starrte auf die bestellten Jubelkundgebungen seiner Parteigänger, statt wahrzunehmen, was sich zum Beispiel im Internet zusammenbraute - eines der wesentlichen Medien der Mobilisierung vor den Referenden.

Aber nicht nur der Überdruss der Jüngeren gegen Berlusconi und seine Politik war schon lange gewaltig. Auch das gemäßigte Bürgertum ist dabei, seine Phase der Resignation und Lethargie zu überwinden. In diesem Frühsommer-Erwachen drückt sich das Begreifen aus, dass das System Berlusconi doch verwundbar ist. Viele Italiener können ihr Gefühl für Würde, Anstand und Gerechtigkeit nicht mehr vereinbaren mit dem Handeln des Premiers, und auch nicht mit der verluderten Sprache vieler Politiker. Ein Indiz dafür waren schon vor Monaten die landesweiten Demonstrationen Hunderttausender Frauen. Bei den Kommunalwahlen und den Referenden haben sich die Bürger jetzt ein Stück ihrer Souveränität zurückgeholt.

Sie haben entschieden, dass sich Regierungsmitglieder genauso der Justiz stellen müssen wie Normal-Italiener. Sie haben sich gegen Atomkraftwerke ausgesprochen und dafür, dass das Wasser ein öffentliches Gut bleiben soll und außerdem bezahlbar. Es sind Sachfragen, bei denen auch Anhänger Berlusconis dem Premier nicht folgen wollten, aus Sorge um ihre Zukunft und die ihrer Kinder. Damit ist - trotz einer Beteiligung an den Referenden von 57 Prozent - aber noch nicht gesagt, dass die nächsten Parlamentswahlen eine Mehrheit für das Mitte-links-Lager bringen müssen.

Berlusconis Niedergang nützt nicht zwangsläufig den Oppositionsparteien

So sehr bei der Opposition jetzt der Ausgang der Abstimmungen gefeiert wird, so wenig kann sie das Ergebnis schon als Sieg verbuchen. Dazu waren zu viele parteiungebundene Initiativen, wie etwa Umweltschützer, am Gelingen der Volksentscheide beteiligt. Zu den Freudenfeiern auf den Plätzen sind sehr viele ohne Parteifahnen erschienen. Pier Luigi Bersani, der Chef der größten Oppositionspartei PD, fordert nun den Rücktritt der Regierung. Aber solange die PD im Innern uneins wirkt und über Bündnispartner und Spitzenkandidaten streitet, wird sie für viele Italiener schwer wählbar bleiben. Die PD wird nicht unbedingt der Gewinner der Wandelstimmung sein.

Auf jeden Fall besteht nun die Hoffnung, dass der nächste Wahlkampf mehr Platz bietet für Zukunftsfragen und nicht wieder nur eine Schlacht für oder gegen Berlusconi wird. Dass Berlusconi wieder antritt, erscheint im Moment ohnehin schwer vorstellbar. Ob er überhaupt noch irgendwie bis zum regulären Wahltermin 2013 im Amt durchhält, ist offen.

Die Zeit, die ihm als Regierungschef bleibt, wird ein bitterer Gang. Nicht nur weil es nun noch schwieriger für ihn werden wird, sich dem Gericht zu entziehen. Er hat auch nichts mehr anzubieten: Seinen Versuchen, mit Steuergeschenken die Zuneigung der Bürger wiederzugewinnen, widersetzt sich Finanzminister Giulio Tremonti eisern. Tremonti kann angesichts der Staatsverschuldung auch kaum anders handeln.

Es kommt noch schlimmer für den Populisten Berlusconi. Er muss zusehen, wie seine Partei PDL derzeit zerfasert bei den hektischen Versuchen, Pläne für die Zeit nach ihm zu schmieden. Verbündeter eines Verlierers zu sein, das erscheint vielen in der PDL doch zu viel der Treue. Sogar über etwas bislang Unerhörtes wie eine Urwahl des nächsten Spitzenkandidaten wird laut nachgedacht, und die würde dann ausgehen wie die Referenden: gegen Berlusconi.

© SZ vom 15.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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