Händeschütteln:Contra: Ein verweigerter Händedruck muss nicht respektlos sein

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Kontra Händeschütteln (Foto: dpa; Collage Jessy Asmus/SZ.de)

Für manche Muslime ist es eine Form der Höflichkeit, sich ohne Berührung zu grüßen. Wer sich darauf einlässt, gibt die eigenen Werte nicht auf. Im Gegenteil.

Kommentar von Julia Ley

Eine Schule im Schweizer Therwil hat zwei muslimischen Schülern eine Sondererlaubnis gegeben: Sie mussten einer Lehrerin zur Begrüßung nicht die Hand geben. Die Reaktionen war ähnlich empört wie vor einigen Monaten in Deutschland, als ein Imam sich weigerte, Julia Klöckner die Hand zu geben. Warum eigentlich? Vielfalt zu akzeptieren und flexibel mit ihr umzugehen, steht nicht im Widerspruch zu "unseren" Werten. Es beweist vielmehr, wie lebendig unsere Demokratie ist.

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Wenn ein Muslim - oder eine Muslima - einem andersgeschlechtlichen Gegenüber nicht die Hand schütteln will, so ist das erst einmal sein gutes Recht. Das stellt allerdings auch kaum jemand in Abrede. Viele sagen aber: Er oder sie sollte es trotzdem tun. Weil man dem anderen mit einem Handschlag Respekt erweist. Und um der Mehrheit nicht das Gefühl zu vermitteln, ihr seine Normen aufzwängen zu wollen. Andernfalls könnte die Stimmung gegenüber Flüchtlingen kippen, das friedliche Miteinander würde erschwert.

Diese Argumentation ist problematisch: Weil sie die Normen der Mehrheit zum Maßstab erhebt. Vordenker der Demokratie haben von Anfang an die Probleme gesehen, die sich ergeben, wenn allein der Wille der Mehrheit zählt. Sie haben deshalb gefordert, dass es Absicherungen geben müsse, durch die die Rechte von Minderheiten geschützt würden. Andernfalls könnte die Demokratie zu einer Tyrannei der Mehrheit geraten.

Demokratie erfüllt erst dort ihren Sinn, wo es zu Konflikten kommt

Das wäre verheerend, denn der Demokratie wohnt die Verheißung inne, dass verschiedene Lebensmodelle friedlich nebeneinander bestehen können. Sie ist ein Instrument, um Differenzen gewaltlos beizulegen und ist somit Grundlage für eine plurale Gesellschaft. Diese Verheißung erfüllt sich aber erst dort, wo es zu echten Konflikten kommt. Wo sich alle einig sind, braucht es keine Demokratie. Dort verkommt sie zu einem Lippenbekenntnis.

Wer sagt, eine Minderheit habe sich den Normen der Mehrheit anzupassen, um deren guten Willen nicht zu sehr auszureizen, der stellt den Pluralismus zur Disposition. Sobald vorherrschende gesellschaftliche Praktiken hinterfragt werden und es zu Konflikten kommt, soll er beschnitten werden. Doch Konfliktlosigkeit ist kein Wert an sich.

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Lange schien eher das Gegenteil unser Problem zu sein: Die gesellschaftliche Debatte wirkte eingeschlafen, Grundsätzliches wurde kaum diskutiert. Diese Behäbigkeit kann gefährlich werden, denn sie lullt ein und macht selbstgefällig. Die Ankunft der Flüchtlinge hat das geändert. Man streitet wieder. Wer sind wir? Wer wollen wir sein? Demokratie braucht diese Diskussionen. Der englische Philosoph John Stuart Mill spricht von einem "Marktplatz der Ideen": Größtmögliche Vielfalt in der Debatte bietet die größte Chance, dass sich der beste Vorschlag durchsetzt. Konflikte verhindern, dass wir anfangen zu glauben, allgemeingültige Antworten gefunden zu haben. Und sie helfen uns, die eigene Position zu hinterfragen, neu auszutarieren und uns zu vergegenwärtigen, warum wir glauben, was wir glauben.

Gerade Muslimen wird häufig pauschal unterstellt, sie hätten ein religiös begründetes Problem damit, die Meinungs- und Religionsfreiheit anderer zu akzeptieren. Tatsächlich scheinen sich aber gerade jene, die sich jetzt über den verweigerten Händedruck empören, damit schwer zu tun. Statt sich nach den Beweggründen von Muslimen zu erkundigen, die keine Hände schütteln wollen, und diese ernst zu nehmen, wissen die Kritiker sofort, welche Motive "tatsächlich" dahinterstecken: Frauenfeindlichkeit, die Ablehnung westlicher Werte, mangelnder Respekt.

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Wer bereit ist, zu fragen statt zu verurteilen, der wird vielleicht herausfinden, dass der Händedruck in vielen Kulturen nicht die Bedeutung hat, die er hierzulande hat. Seine Verweigerung ist deshalb nicht per se Respektlosigkeit, sondern kann unter gläubigen Muslimen gerade eine Form der Respektbezeugung sein: Indem man einen andersgeschlechtlichen Gegenüber nicht durch eine unerwünschte Berührung brüskiert. Wohlgemerkt "kann": In der muslimischen Community in der Schweiz ist man sich darüber nämlich keineswegs einig. Für die einen ist von einem Verbot im Koran nirgendwo die Rede, für die anderen ist das Vermeiden des Händedrucks Zeichen von Höflichkeit, Respekt und Hochachtung vor der selbstbestimmten Souveränität jedes Individuums.

Man muss die Argumentation Letzterer nicht überzeugend finden - aber man kann sie sich mal anhören. Eigentlich geht es ja nicht um den Händedruck an sich, sondern um die gegenseitige Respektbezeugung, als die er hierzulande verstanden wird. Wenn diese auch anders ausgedrückt werden kann - zum Beispiel durch die "höfliche, mündliche Begrüßung", die die Schulleitung den Schülern gestattet hat oder die schöne Geste des Hand-aufs-Herz-legen - warum sollen das nicht ebenso gute Alternativen sein?

In vielen Einwanderungsgesellschaften ist diese Flexibilität völlig normal

Der reife Umgang mit Vielfalt ist der Dialog: Sich nicht auf pauschale Regeln zu versteifen, sondern jeden Einzelfall neu zu verhandeln. Eben diese Flexibilität ist eine Chance, seine Sicht der Dinge darzulegen und den Gegenüber zu überzeugen.

Diejenigen, die diesen Dialog verweigern und stets die Anpassung fordern, sind das schlechteste Vorbild für eben jene Kultur der Freiheit, die sie so eifrig verteidigen. Sie beharren bockig auf ihrem Recht, die Dinge so zu machen, wie sie schon immer gemacht wurden - und sich nicht erklären zu müssen. Weil sie die Mehrheit auf ihrer Seite wähnen. Das ist vor allem bequem.

In Gesellschaften, die sich schon länger als Einwanderungsgesellschaften verstehen als Deutschland, werden solche kulturellen Verschiedenheiten oft recht selbstverständlich akzeptiert. Zumindest an vielen Londoner Universitäten hebt niemand eine Augenbraue, wenn eine Muslima bei der Abschlussfeier den Handdruck eines Dekans ausschlägt. Man kann darin ein Ablehnung westlicher Kultur sehen. Oder nicht. Wenn man bereit ist, nicht in jedem ungewohnten Verhalten gleich einen Affront zu sehen, tut diese Flexibiliät keinem weh. Ganz nebenbei erleichtert sie es einer gläubigen Muslima, sich für ein Studium zu entscheiden, ohne von ihr zu fordern, dass sie dafür Werte aufgibt, die ihr wichtig sind. Langfristig bietet das wahrscheinlich die größere Chance, einen Menschen für Emanzipation und Gleichberechtigung zu begeistern.

Natürlich müssen Menschen, die hier leben, hier geltende Grundsätze anerkennen, natürlich müssen sie das Grundgesetz akzeptieren. Und natürlich darf man auch den wenigen strenggläubigen Muslimen, die den Händedruck verweigern, Flexibilität und Dialogbereitschaft nahelegen. Man sollte ihnen nur nicht immer gleich böse Absichten unterstellen. Oder gar erwarten, dass sie sich alle den Normen der Mehrheit unterordnen. Denn es kann eine Gesellschaft auch bereichern, wenn einige das nicht tun.

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