In der Schweiz hat die Verweigerung zweier Schüler, ihrer Lehrerin aus religiösen Gründen die Hand zu geben, einen Eklat ausgelöst. Für Aufregung hat dabei vor allem gesorgt, dass sie von der Schule dazu sogar eine Sondergenehmigung bekommen hatten. Nun wird dort in der Bevölkerung und auch zwischen Muslimen diskutiert, was schwerer wiegt: die Verletzung religiöser Gefühle der Gläubigen oder das Gefühl der Zurückweisung bei jenen, denen der Handschlag verweigert wird.
Auch in Deutschland, den Niederlanden und Österreich gab es in jüngster Zeit ähnliche Fälle. Im September hatte der Imam der islamischen Gemeinde Idar-Oberstein die CDU-Vizevorsitzende Julia Klöckner vor einer geplanten Begegnung darüber informiert, dass er ihr nicht die Hand geben würde. Klöckner sagte das Treffen daraufhin verärgert ab.
Im November hatte dann der muslimische Fußballprofi Nacer Barazite vom FC Utrecht vor laufender Kamera der Journalistin Hélène Hendriks den Handschlag verweigert. Und im Januar berichteten österreichische Medien von einer Grazer Lehrerin, die den Vater einer Schülerin verklagen will, weil er ihr nicht die Hand gegeben hat. Auch deutsche Lehrerinnen erleben ein solches Verhalten offenbar gelegentlich.

Islam:Streit in der Schweiz: Dürfen Männer und Frauen einander die Hand geben?
Zwei Schüler haben einen Eklat ausgelöst mit der Weigerung, ihrer Lehrerin die Hand zu geben. Ihre Schule ist auf den Wunsch der Muslime eingegangen.
Alle diese Fälle sind vordergründig eigentlich harmlos. Vor dem Hintergrund der Diskussion über die große Zahl von muslimischen Migranten, die derzeit nach Europa kommen, haben sie für viele aber offenbar doch eine größere Bedeutung.
Die Zahl der Menschen in Deutschland und anderen europäischen Ländern, die sich wegen der Flüchtlinge sorgen, ist inzwischen verhältnismäßig groß, wie zuletzt etwa die Wahlerfolge der AfD gezeigt haben.
Gefühl der Bedrohung
Zu den Ursachen gehören diffuse und unbegründete Ängste. Dazu gehört aber auch eine Reihe von einzelnen, konkreten Ereignissen, die die Menschen irritiert haben. Zuletzt etwa schürten die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht in Köln bei manchen Menschen die Fremdenangst und -feindlichkeit. Dazu kommt, dass einige Tausend junge Muslime aus Europa sich dem Islamischen Staat angeschlossen und einige von ihnen sogar Terroranschläge verübt haben. Dazu kommt die Sorge, es könnten sich in deutschen Städten muslimische "Parallelgesellschaften" etablieren, in denen die Menschen sogar Straftaten unter sich regeln - jenseits der deutschen Gerichte.
Die Menschen, die nach Deutschland fliehen, kommen aber nicht mit dem Ziel, unsere Gesellschaft nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Sie fliehen vor Verfolgung, Krieg und bitterer Not. Und sie haben unsere Hilfe verdient.
Trotzdem aber ist, wie gesagt, das Gefühl der Bedrohung bei vielen Deutschen da. Und alles, was bei ihnen den Eindruck entstehen lassen kann, dass Ausländer ihre eigene - andere - Art des Zusammenlebens mitbringen und hier vielleicht durchsetzen wollen, gießt Öl ins Feuer.
Hier verläuft der Balanceakt zwischen Integration und Assimilation. Anhand des verweigerten Handschlags gegenüber Frau Klöckner, Frau Hendriks und den Lehrerinnen in der Schweiz und Österreich lässt sich exemplarisch aufzeigen, wie schnell es zu Schwierigkeiten und Missverständnissen kommen kann.
Wenn ein muslimischer Imam einer Frau nicht zur Begrüßung die Hand geben will, so ist das - das muss klar gesagt werden - sein gutes Recht. Es darf in Deutschland und in den übrigen EU-Ländern niemandem eine Meinung oder ein Glauben vorgeschrieben werden. Europa und andere Regionen der Welt haben diese Freiheit und die hohe Achtung der Menschenwürde in einem mehrere Jahrhunderte dauernden, schwierigen Prozess erlangt. Ein Imam darf in unserer Gesellschaft sogar erwarten, dass alle anderen versuchen, zu verstehen, wieso er sich so verhält.
Der falsche Respekt
Im Fall des Händeschüttelns ist die Sache schnell erklärt. So wird etwa eine Koransure (17, Vers 32) von manchen strenggläubigen Muslimen so ausgelegt, dass nicht miteinander verheiratete Männer und Frauen sich nicht berühren dürfen. Es geht darum, einen ersten Schritt zur Unzucht zu vermeiden. Ein solcher erster Schritt kann für sie schon die Berührung mit den Händen zur Begrüßung sein. Auch aus den mündlichen Überlieferungen, den Hadithen, lesen manche Muslime ein Verbot des Händeschüttelns heraus.
Das gilt übrigens genauso für ultraorthodoxe Juden, die die Thora entsprechend auslegen. Es ist eine Frage der Sittlichkeit. Und nicht nur Männer verweigern Frauen den Handschlag - das gilt auch umgekehrt. Dass die Berührung zwischen verschiedenen Geschlechtern exklusiv Verheirateten vorbehalten ist, soll die besondere Bedeutung der Ehe für die Partner hervorheben.
Das heißt aber: Manche strenggläubigen Muslime und Juden haben also ein Bild vom Menschen, bei dem schon die Berührung der Hände zur Begrüßung einen ersten Schritt zur Unzucht oder Untreue darstellen könnte.
In unserer Gesellschaft leben jedoch überwiegend Menschen, für die der Handschlag zur Begrüßung eine Geste der gegenseitigen Achtung und des Respekts ist. Unabhängig vom Geschlecht. Diesen Respekt mussten sich Frauen in unserer Gesellschaft erst erkämpfen. Der Handschlag ist keine Ouvertüre zu Sex oder einem Seitensprung.
Der Imam von Idar-Oberstein, Fußballprofi Nacer Barazite und die Schweizer Schüler standen also vor der Wahl: Sie hätten den Frauen den Respekt erweisen können, den sie erwarten und den sie in unserer Gesellschaft auch erwarten dürfen. Sie haben ihnen diesen Respekt verweigert. Stattdessen haben sie ihnen ihre eigene Form von Respekt gewissermaßen aufgezwungen - entsprechend ihrem strengen Glauben und ihrem Menschenbild, die aber vermutlich kaum dem Glauben und Menschenbild etwa von Frau Klöckner entsprechen.
Die richtigen Signale wären hilfreich
Dies zu tun, ist ihr gutes Recht. Aber in Deutschland erwartet die Mehrheit eben den - völlig harmlosen - Handschlag. Außerdem geht es hier um ein religiöses Extrem, mit denen sich die Betroffenen ihrer eigenen Identität und ihrer Gruppenidentität versichern - aber zugleich andere ausgrenzen, irritieren, abschrecken und beleidigen können. Deshalb sollte man die Wirkung dieses Verhaltens nicht unterschätzen.
Die deutsche Gesellschaft ist Fremden gegenüber mehrheitlich immer noch verhältnismäßig aufgeschlossen. Aber wenn einige Ausländer und Migranten den Eindruck vermitteln, sie hätten keinen Respekt vor den etablierten gesellschaftlichen Regeln, werfen sie leider einen Schatten auf andere, unbescholtene Menschen mit derselben Religion oder Kultur. So bedauerlich das ist - es lässt sich nicht leugnen, und damit muss man vernünftig umgehen.

Religion:Guter Islam, böser Islam
Wer sagt, Terror, Gewalt und die Unterdrückung von Frauen hätten auch mit dem Islam zu tun, gilt schnell als islamophob und fremdenfeindlich. Das schadet einer wichtigen Debatte.
Es wäre deshalb hilfreich, wenn die, die kommen, deutlich signalisieren: Es geht ihnen darum, sich mit der Mehrheit hier zu arrangieren, und nicht darum, die Gesellschaft in ihrem Sinne zu verändern.
Frauen die Hand zu schütteln, die das erwarten, wäre ein Zeichen der Integration. Ein Zeichen, das sogar für einen Imam in Deutschland zumutbar sein sollte. Bei ihrer strengen Auslegung alter religiöser Schriften und Überlieferungen können und sollten strenggläubige Muslime sich auf Gleichgesinnte beschränken. In diesem Fall auf Frauen, die den Handschlag aus religiöser Überzeugung ebenfalls nicht wollen. Diese sollten ihn aber Männern, die den Handschlag selbst nicht ablehnen, ebenfalls nicht verweigern. Das wäre noch lange keine Assimilation.