China:Wenn Träume nervös machen

A poster with a portrait of Chinese President Xi Jinping overlooks a street in Shanghai

Poster in Shanghai mit Chinas Staatschef Xi Jinping. Der Text: "Folge dem Befehl der Partei. Sei in der Lage, Kriege zu gewinnen. Erhalte eine gute Disziplin."

(Foto: ALY SONG/REUTERS)
  • Chinesische Investitionen in der EU sind im vergangenen Jahr um 77 Prozent auf mehr als 35 Milliarden Euro gestiegen.
  • Künftig sollen überall auf der Welt Infrastrukturprojekte gefördert werden: Häfen, Eisenbahnen, Straßen und Flughäfen.
  • Mehr als eine Billion Dollar will Chinas Führung dafür in die Hand nehmen.

Von Kai Strittmatter, Peking, und Christoph Giesen

Das Ende der Seidenstraße liegt in Duisburg. Der chinesische Traum, sie träumen ihn auch hier. Na ja, sagt Johannes Pflug, "ich arbeite daran". Dem gemeinen Duisburger ist das nämlich noch nicht so geläufig, dass in seine Stadt nun die neue Seidenstraße münden soll. Duisburg das neue Konstantinopel? Ein wenig Fantasie braucht das schon.

Immerhin: Größter Binnenhafen der Welt ist Duisburg längst. Jetzt kommen hier jede Woche 25 bis 30 Güterzüge aus China an. Und das soll erst der Anfang sein. Johannes Pflug war einmal Bundestagsabgeordneter, nun ist er der einzige China-Beauftragte einer deutschen Stadt. Pflug hat einen Traum: "Was Düsseldorf für die Japaner ist, soll Duisburg für die Chinesen sein." Die Deutschen träumen ein wenig bescheidener.

Anders die Chinesen. Als Xi Jinping, Chinas starker Mann, 2012 antrat, da wollte er nicht weniger als die "Wiedergeburt der chinesischen Nation". 200 Jahre Niedergang sollen endlich vorbei sein. Xi sieht sich auf einer historischen Mission. Am gestrigen Mittwoch stellte er seinen "chinesischen Traum" in den Mittelpunkt seiner Parteitagsrede: Bis Mitte des Jahrhunderts soll China eine "starke Macht" sein, in der Lage, die Welt politisch und wirtschaftlich anzuführen.

Aber nein, fügte er beruhigend hinzu, ein Hegemon wolle man nicht werden. Die Parteipresse assistiert: "China ist ein erwachender Löwe", schreibt China Daily, das Propagandablatt für Ausländer, "aber es ist ein friedlicher, ein freundlicher, ein kultivierter Löwe." Sie wissen um den Argwohn da draußen in der Welt.

Chinas neuer Schwung hat viel mit der Schwäche von Trumps Amerika zu tun

Die Ziele sind atemberaubend ambitioniert. Aber China hat einem schon mehrmals den Atem geraubt. Mao Zedong, sagen sie in China, habe Chinas Feinde besiegt, Deng Xiaoping habe es reich gemacht - und Xi Jinping macht es nun stark. Mit einem Mal stehen Xis nationalistische Visionen und die politischen Ziele im Zentrum, nicht mehr die Wirtschaft wie noch unter Deng. Und noch etwas: Deng Xiaoping hatte seinem Land außenpolitische Zurückhaltung befohlen. Das ist vorbei.

Xis China marschiert mit großen Schritten in die Welt. Das Land scheut sich nicht länger, seine Macht zu zeigen, die Nachbarn im Südchinesischen Meer sehen das mit zunehmender Nervosität. Die "neue Ära", die Xi am Mittwoch angekündigt hat: Auf der internationalen Bühne soll es die Ära Chinas werden. "Zum ersten Mal steht China im Zentrum der Welt", heißt es in einer Propagandadoku, die das Staatsfernsehen vor dem Parteitag ausstrahlte: "Xi hat unser Land auf einen neuen historischen Kurs geschickt."

Und natürlich hat Chinas neuer Schwung auch mit der Schwäche der USA zu tun. Wo immer Donald Trump ein Vakuum hinterlässt, stößt Xi Jinping geschickt hinein. Wenn Trump seine asiatischen Alliierten im Stich lässt, dann baut sich China vor ihnen auf, lockend und drohend zugleich. Wenn Trump sich von Freihandel und Klimaabkommen abwendet, dann bietet sich Xi als neue Lichtgestalt an.

Sein Auftritt vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar, wo Xi den Anti-Trump gab und Kooperation und Öffnung versprach (während er zu Hause in Wirklichkeit sein Land wirtschaftlich und ideologisch abschottet), war ein Meisterstück politischer PR. Die Botschaft: Wir wollen jetzt die Welt mit anführen. Mit neuen Institutionen wie der Asiatischen Infrastrukturinvestitionsbank baut China eine neue Infrastruktur auf außerhalb der etablierten, vom Westen geschaffenen globalen Organisationen.

Vier Mal so viele Menschen wie die USA

Größte Handelsnation ist China längst. Größte Volkswirtschaft der Erde wird es in zehn oder 15 Jahren sein, China hat immerhin vier Mal so viele Menschen wie die USA. Jahrzehntelang war China lediglich Empfänger westlicher Investitionen. Mit einem Mal gehen seine Firmen selbst nach Europa und in die USA, kaufen Fußballklubs und Hollywoodstudios, das Waldorf Astoria und Anteile an der Deutschen Bank.

Chinesische Investitionen in der EU sind im vergangenen Jahr um 77 Prozent auf mehr als 35 Milliarden Euro gestiegen. Vor allem in Deutschland haben die Zukäufe massiv zugenommen: Aufsehen erregte der Einstieg eines Küchengeräteherstellers beim Augsburger Roboterbauer Kuka.

Mit einem Mal wurden die Motive der chinesischen Aufkäufer unter die Lupe genommen - und zum Vorschein kam Pekings "Made in China 2025"-Initiative. Ein groß angelegter Staatsplan für eine ganz neue Industrie. Zehn Branchen haben sich die Wirtschaftsplaner herausgesucht: Autos und Züge, den Flugzeugbau, die digitalisierte Produktion oder die Pharmaindustrie - überall soll die Volksrepublik bald führend sein.

So sollen etwa mindestens acht von zehn Elektroautos, die 2025 in China verkauft werden, aus heimischer Produktion stammen. An Geld fehlt es nicht: Der Staat hilft mit Forschungsförderung; Entwicklungsbanken und extra eingerichtete Fonds versorgen die ausgewählten Branchen mit günstigen Krediten - das hilft vor allem beim Kauf von ausländischen Konkurrenten. Ziemlich unfairer Wettbewerb, findet die deutsche Regierung mittlerweile.

Beteiligungen an Dutzenden Häfen in Europa und im Mittelmeerraum

Die traditionelle Industrie soll derweil die Seidenstraße planieren. Ökonomisch steht China vor dem Umbruch. Das alte Exportmodell, die Werkbank der Welt, hat ausgedient. Die Ausfuhren wachsen kaum noch. Viele alte Industrien produzieren inzwischen gewaltige Überkapazitäten. Die Idee: Warum nicht doch ins Ausland damit? So entstand das 2013 erstmals verkündete Seidenstraßenprojekt. Künftig sollen überall auf der Welt Infrastrukturprojekte gefördert werden: Häfen, Eisenbahnen, Straßen und Flughäfen.

Allein im Mittelmeerraum und in Europa haben staatliche Reedereien sich an Dutzenden Häfen beteiligt: Piräus, Genua, Rotterdam, dazu Standorte in Nordafrika, der Türkei und in Israel. Mehr als eine Billion Dollar will Chinas Führung dafür in die Hand nehmen. Und damit nicht nur ihren wirtschaftlichen, sondern auch ihren diplomatischen und strategischen Einfluss ausbauen. Die EU bekommt das schon heute schmerzlich zu spüren, dann, wenn Empfängerländer wie Griechenland oder Ungarn in Brüssel mit einem Mal zu Sprachrohren Pekings werden. An der großen Seidenstraßenkonferenz im Mai in Peking nahmen 64 Länder teil, die Propaganda inszenierte sie wie eine internationale Krönungsmesse für Xi.

Was will China? "Vor allem will es Beziehungen zur Welt zu seinen Bedingungen", sagt Kerry Brown, Autor und Chinawissenschaftler in London. Das Land habe sich bisher benachteiligt gefühlt. "Aber das muss keine Einbahnstraße sein. China braucht noch unsere Kooperation, im Finanzsektor, bei der Technologie, das gibt uns auch Einfluss." Die Reibungen aber, meint Kerry, würden zunehmen: "Die Sache in den nächsten Jahren ist die, dass Xi die reichsten wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen zur Verfügung stehen werden, die China je hatte. Damit aber wird seine nationalistische Politik international mit Sicherheit für mehr Probleme sorgen."

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