Parteitag:In der CDU formiert sich Widerstand gegen Merkels Flüchtlingspolitik

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Ja zur Obergrenze, Nein zur Obergrenze: Über die Aufnahme von Flüchtlingen - hier in Berlin - ist sich die CDU gar nicht einig. (Foto: dpa)
  • Vor dem Bundesparteitag Anfang kommender Woche formiert sich in der CDU Widerstand gegen Merkels Kurs in der Flüchtlingspolitik.
  • Druck kommt von der Jungen Union, dem Wirtschaftsflügel und der Kommunalpolitischen Vereinigung.
  • Sie verlangen dringend einen Kurswechsel, wollen die Kanzlerin aber nicht beschädigen.

Von Robert Roßmann, Berlin

Vor dem Bundesparteitag Anfang kommender Woche formiert sich in der CDU der Widerstand gegen den Kurs Merkels in der Flüchtlingspolitik. Im Hintergrund laufen Gespräche zwischen drei der fünf großen Parteivereinigungen. Ihr Ziel ist eine Verschärfung der Flüchtlingspolitik.

Beteiligt sind die Vorsitzenden der Jungen Union (JU) und der Mittelstandsvereinigung (MIT), Paul Ziemiak und Carsten Linnemann - aber auch die Kommunalpolitische Vereinigung (KPV) von Ingbert Liebing. Sie stehen zudem in Kontakt mit Finanzstaatssekretär Jens Spahn und einigen Innenpolitikern.

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Die Konstellation weckt Erinnerungen an den letzten Bundesparteitag. Damals zwang ein Bündnis von drei Parteivereinigungen die CDU-Spitze zu einem Kurswechsel in der Steuerpolitik. Das Bündnis setzte durch, dass sich die CDU für die Abschaffung der kalten Progression einsetzt. Wolfgang Schäuble und Angela Merkel hatten das verhindern wollen.

Angesichts des Drucks musste die CDU-Spitze aber unmittelbar vor dem Parteitag ihren Kurs weitgehend revidieren. Die Delegierten beschlossen daraufhin beinahe einstimmig den Einstieg in den Ausstieg aus der kalten Progression. Ein offener Streit auf dem Parteitag wurde vermieden, keine Seite wurde politisch beschädigt. So hätten es die Chefs von JU, KPV und MIT diesmal auch gerne.

Die drei Parteivereinigungen haben bereits gewaltigen Druck aufgebaut. Die Junge Union hat einen Antrag eingebracht, in dem sie explizit die von Merkel abgelehnte Obergrenze für die Flüchtlingszahl fordert. Auch die Kommunalpolitische Vereinigung hat einen Antrag vorgelegt. Die KPV kämpft darin zwar nicht für eine Obergrenze, sie hält diese nur für ein Symbol.

Der Antrag der Kommunalpolitiker ist aber ebenfalls ziemlich deutlich. Darin heißt es, das Schengen-System setze sichere EU-Außengrenzen voraus. Solange "dies nicht gewährleistet ist, sind Maßnahmen zur Sicherung der nationalen Grenzen (Grenzkontrollen, Polizeistreifen, elektronische Überwachung) notwendig". Das werde "sicherlich nicht 100prozentig gelingen", sei aber "ein wichtiges Signal in die Herkunftsländer, dass Deutschland nicht schrankenlos alle Flüchtlinge aufnehmen kann".

Bereits am 17. Oktober hat KPV-Chef Liebing in einem Brandbrief an Kanzleramtschef Peter Altmaier eindringlich ein Signal der Regierung verlangt, "dass es eine grenzenlose, ungesteuerte Zuwanderung nicht geben kann".

Linnemann, der Chef des Wirtschaftsflügels, sieht das ähnlich. In einem "Sofortprogramm zur Bewältigung der Flüchtlingskrise" bringt seine MIT die vorübergehende Kontrolle "aller Einwanderer bereits vor der Einreise" ins Spiel.

Solange die EU-Außengrenzen nicht ausreichend gesichert würden, seien "Binnengrenzkontrollen leider unvermeidlich", heißt es in dem Papier. Deutschland müsse sich außerdem "vorbehalten, Flüchtlinge, die über einen sicheren Drittstaat einzureisen versuchen, . . . zurückzuweisen".

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Paul Ziemiak, Ingbert Liebing und Carsten Linnemann gehören zwar nicht zu den politischen Schwergewichten in der CDU, die Kraft ihrer Vereinigungen darf man aber nicht unterschätzen. Die JU hat 117 000 Mitglieder. Der KPV gehören 60 000 Amts- und Mandatsträger der Union in den Kommunen an. Und die Mittelstandsvereinigung hat 30 000 Mitglieder. Außerdem sprechen die drei Vereinigungen in diesem Fall die Sorgen vieler CDU-Mitglieder aus der ganzen Partei an.

Einfach ist die Operation für Ziemiak, Liebing und Linnemann trotzdem nicht. Keiner von ihnen will die Kanzlerin beschädigen. Niemand sieht oder will eine Alternative zu Merkel. Aber alle drei verlangen einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik. Das macht das Vorgehen schwierig.

Die CDU-Spitze will einen eigenen Antrag vorlegen

Die CDU-Spitze will auf dem Parteitag einen eigenen Antrag zur Flüchtlingspolitik vorlegen - auch, um die Debatten besser steuern zu können. Trotz aller Ankündigungen von Generalsekretär Peter Tauber, in seiner Partei die Mitgliederbeteiligung auszubauen, wird dieser Antrag derzeit ziemlich klandestin vorbereitet. Das Konrad-Adenauer-Haus will erst am Donnerstag einen Antragsentwurf an die Vorstandsmitglieder verschicken, alle anderen Anträge sind längst öffentlich. Erst am Sonntag, dem Vorabend des Parteitags, sollen die Vorstandsmitglieder über den Entwurf beraten und abstimmen.

Die Parteivereinigungen wollen nicht krampfhaft auf dem Wortlaut ihrer eigenen Anträge bestehen. Man wolle aber erreichen, dass der Parteitag "ein wirksames Signal der Begrenzung" verabschiedet, heißt es unisono. Falls der CDU-Vorstand am Sonntag trotz dieses Drucks einen Flüchtlingsleitantrag billigt, der das nicht enthält, werden die Vereinigungen wohl einen Initiativantrag zur Verschärfung dieses Leitantrages auf dem Parteitag einbringen. Dann käme es doch zur offenen Auseinandersetzung über Merkels Flüchtlingspolitik.

© SZ vom 09.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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