Burka-Verbot in Frankreich:Eingeschränkte Sicht

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Nach Belgien will auch Frankreich ein Burka-Verbot verabschieden. Die französische Regierung setzt dafür auf anti-muslimische Stimmungsmache. Es geht um Sozialbetrug und Vielweiberei.

Lilith Volkert

Folgen der Finanzkrise, Arbeitslosigkeit, Rentenreform? Französische Politiker diskutieren gerade lieber über ein Stück Stoff. Seit knapp einem Jahr will die Regierung unter Nicolas Sarkozy die Burka, den islamischen Ganzkörperschleier mit Sichtschutz, in Frankreich verbieten lassen.

Das Tragen von Burka und Nikab soll demnächst in Frankreich verboten werden. (Foto: Foto: dpa)

Dass es ihr dabei wirklich nur um die "Würde der Frau" geht, darf bezweifelt werden: Seit den Regionalwahlen im März, bei denen Sarkozys Partei UMP deutlich Stimmen verloren hat, steht das Burka-Projekt wieder ganz oben auf der Agenda. Im Mai will das Kabinett über das Verbot beraten, noch vor der Sommerpause soll ein Gesetz verabschiedet werden.

Nach Informationen der Tageszeitung Le Figaro sieht es vor, das Tragen einer Burka mit 150 Euro zu ahnden. Wer eine Frau zum Tragen des Ganzkörperschleiers zwingt, soll sogar mit einer Geldbuße von 15.000 Euro und einem Jahr Gefängnis bestraft werden können. Damit wäre Frankreich das zweite europäische Land mit Verhüllungsverbot: Das belgische Parlament verabschiedete an diesem Donnerstag ein Gesetz, das Kleidungsstücke verbietet, die das Gesicht "ganz oder hauptsächlich" verhüllen.

Nach Schätzungen des Innenministeriums tragen in Frankreich höchstens 2000 Frauen die Burka. Dass das Thema seit Tagen die französischen Schlagzeilen beherrscht, liegt an einem Einzelfall, der zeigt, wie sich die Regierung in Paris anti-muslimischer Ressentiments bedient, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.

Anfang April halten Polizisten in der westfranzösischen Stadt Nantes eine Frau an, die im Niqab, einem Schleier mit Sehschlitz, Auto fährt. "Ich weiß nicht, wie das in Ihrem Land üblich ist, aber bei uns fährt man so nicht", soll einer der Beamten gesagt haben. Die zum Islam übergetretene Französin muss wegen Fahrens mit eingeschränkter Sicht 22 Euro Strafe zahlen. Weil sie sich durch den Vorfall diskriminiert fühlt, nimmt sie sich einen Anwalt und erzählt ihre Geschichte vergangene Woche der Presse.

Innenminister Brice Hortefeux, der vergangenen Herbst mit anti-arabischen Witzen von sich reden machte, reagiert schnell und nicht besonders souverän. Er wirft dem aus Algerien stammenden Mann der Verschleierten vor, Mitglied der radikalen Tablighi-Jamaat-Bewegung zu sein, sich vier Ehefrauen zu halten und für seine zwölf Kinder staatliche Hilfen erschlichen zu haben - und macht diesen Verdacht vor Beginn der Ermittlungen öffentlich.

Außerdem bittet er Eric Besson, den Minister für Integration und nationale Identität, "die Bedingungen zu prüfen, unter denen der Person die französische Nationalität entzogen werden könnte". Dies ist bisher nur möglich, wenn eine Person wegen schwerwiegender - etwa terroristischer - Verbrechen verurteilt wurde und zudem noch eine zweite Staatsbürgerschaft besitzt.

Hitzige Debatte

Kritische Stimmen sehen in der "Affäre von Nantes" die Fortsetzung der hitzig geführten Debatte über die "nationale Identität", die Nicolas Sarkozy vergangenen Winter angestrengt hatte, die Opposition spricht von Stimmenfang am rechten Rand. Verbände beklagen die "Stigmatisierung" französischer Muslime und eine unausgewogene Berichterstattung: Über nächtliche Schüsse auf eine Moschee in Istres am vergangenen Wochenende sei deutlich weniger berichtet worden als über die mutmaßliche Vielweiberei.

Tatsächlich scheint der Fall die öffentliche Meinung beeinflusst zu haben: Laut einer Umfrage des Nachrichtenmagazins Le Nouvel Observateur sind 70 Prozent der französischen Bevölkerung für ein Verbot von Burka und Niqab - und zwar nicht nur in öffentlichen Gebäuden, sondern auch auf der Straße. Anfang April war nur jeder dritte Franzose für ein Burka-Verbot. Auch die oppositionellen Sozialisten zeigen sich zum Dialog mit der konservativen Mehrheit bereit. Sie sind allerdings gegen ein völliges Verbot des Ganzkörperschleiers.

Der 35-jährige Franzose aus Nantes hat inzwischen zugegeben, mehrere Geliebte zu haben - das sei doch nicht verboten. Dagegen lässt sich tatsächlich nichts sagen, heißt es in französischen Blogs: Schließlich führte selbst Präsident François Mitterrand jahrelang ein Doppelleben mit zwei Frauen und vier Kindern.

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