Ehemalige "Gorch-Fock"-Matrosen berichten:"Unerträgliche Atmosphäre"

Lesezeit: 2 min

Raues Leben auf See oder menschenunwürdiger Drill - welche Zustände herrschen auf der "Gorch Fock"? Ehemalige Besatzungsmitglieder erinnern sich an eine "phänomenale Zeit", andere sprechen von Mobbing und Beleidigungen.

Lilith Volkert

Gab es auf der Gorch Fock, dem Aushängeschild der Marine, Grund zur Meuterei - oder zumindest berechtigten Anlass zur Klage? Nachdem auf dem Segelschulschiff vergangenen November eine 25-jährige Offiziersanwärterin aus der Takelage gestürzt und gestorben war, sollen Mitglieder der Stammbesatzung Kadetten drangsaliert haben. Vier Auszubildenden soll daraufhin Meuterei vorgeworfen worden sein - ein schwerwiegendes Vergehen. Es ist nicht das erste Mal, dass die G orch Fock in die Kritik gerät. Wie war in den vergangenen Jahren die Atmosphäre auf dem Schiff?

"Unmenschlicher Drill" oder das übliche, raue Leben auf See: Eine Ermittlerdelegation der Marine soll klären, was sich an Bord des Segelschulschiffs Gorch Fock tatsächlich zugetragen hat. (Foto: AFP)

Ehemalige Besatzungsmitglieder schildern im Gespräch mit sueddeutsche.de höchst unterschiedliche Eindrücke. Während die einen vom Zusammenhalt schwärmen, erinnern sich andere an Schmähungen. "Schon bei meiner ersten Wache haben mich zwei Unteroffiziere angepöbelt", sagt ein ehemaliges Mitglied der Crew. "Ein Ausbilder nannte mich Hure und Schlimmeres."

Der Mann, der innerhalb der vergangenen fünf Jahre einen dreimonatigen Dienst auf der Gorch Fock versah, möchte anonym bleiben. Nachdem er wegen der körperlichen Belastung durch die Arbeit an Bord gesundheitliche Probleme bekommen hatte, sei er auch von den Kameraden gemobbt worden, Meldungen an die Vorgesetzten seien ohne Resonanz geblieben: "Ich empfand die Atmosphäre als unerträglich."

Dass der Alltag auf dem Schiff an den Kräften zehrt, bestreiten auch diejenigen nicht, die sich gerne an die Zeit auf der Gorch Fock erinnern. Tagsüber Unterricht in Navigation, Meteorologie und Schifffahrtsgeschichte, nachts Segelwache in vier Schichten, oft nur ein paar Stunden Schlaf in der Hängematte, dicht an dicht mit den Kollegen: "Manchmal habe ich mich wie ein Häufchen Elend gefühlt", erinnert sich Sebastian von Kummer, der 1998 Offiziersanwärter auf der Gorch Fock war. "Aber dann haben mich die Kameraden aufgefangen."

"Phänomenale" Grenzerfahrung

Im Rückblick empfindet der 33-Jährige die Erfahrung auf der Gorch Fock als "phänomenal" und betont, wie sehr es ihn geprägt hat, immer wieder an seine Grenzen zu gehen. Auch nach mehr als zehn Jahren denke er regelmäßig an das, was er auf dem Segelschiff geleistet hat, etwa vor einer schwierigen Präsentation im Job: "Und dann weiß ich, ich werde das locker schaffen."

Dass die Stammbesatzung Kadetten schikaniert hat, kann Sebastian von Kummer ebenso wenig bestätigen wie Christoph Penning, der 2007 als Reserveoffiziersanwärter drei Monate auf der Gorch Fock verbracht hat. "Wenn man seinen guten Willen gezeigt und sich angestrengt hat, hatte man keine Probleme, sich in die Mannschaft zu integrieren", sagt der 24-Jährige. Er habe die Besatzung des 220-Mann-Schiffs wie einen Querschnitt durch die deutsche Gesellschaft gesehen, bei dem auf engstem Raum unterschiedlichste Menschen aufeinandertreffen - die sich eben erst einmal zusammenraufen müssen.

Jörn Adams, der zwischen 2005 und 2007 Mitglied der Stammbesetzung war, kann sich allerdings vorstellen, dass sich die Stimmung nach einem Todesfall an Bord schnell ändern kann. "Wir hätten das auch nicht so ohne weiteres weggesteckt", sagt der 29-Jährige. Dass sich Offiziersanwärter nach dem Unfall geweigert haben sollen, in die Takelage zu klettern, findet er nicht gut. "Trotzdem: Bei uns wurde keiner gezwungen, auf die Masten zu steigen, wenn er das nicht wollte", fügt er hinzu. Während seiner zweieinhalbjährigen Zeit an Bord hätte aber höchstens eine Handvoll Auszubildender diese Aufgabe nicht erfüllen wollen.

Ob es tatsächlich Missstände auf der Gorch Fock gab und falls ja, wie schwerwiegend diese waren, will die Bundeswehr untersuchen lassen. Anfang der kommenden Woche wird ein Ermittlerteam der Marine nach Argentinien aufbrechen.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: