Bundestagswahl:Was die Kernklientel vom SPD-Wahlkampf hält

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Wie kann die SPD die "hart arbeitenden Menschen" besser erreichen, von denen Martin Schulz spricht? Ein SPD-Ortsverein in Offenbach diskutiert. (Foto: Oliver Klasen)

Martin Schulz hat in Bierzelten und auf Marktplätzen viel von den "hart arbeitenden Menschen" gesprochen. Wie kam das bei dieser Wählergruppe eigentlich an?

Von Oliver Klasen, Darmstadt/Offenbach

Martin Schulz spricht in seiner Wahlkampagne sehr häufig von den "hart arbeitenden Menschen". In fast jeder seiner Reden kommt zum Beispiel der "Altenpfleger aus Viersen" vor. Der Kanzlerkandidat der SPD nennt auch Installateure, Polizisten, Verkäuferinnen, Erzieher. Die Frage ist, ob er die hart arbeitenden Menschen erreicht und für die SPD gewinnen kann.

Marcus Schenk hat in ein Bistro am alten Hafen in Offenbach geladen, um über die Zukunft der Partei zu sprechen. Hier entsteht gerade so etwas wie die Zukunft des Wohnens. Ein neues Quartier, mit Wohn- und Bürohäusern, mit Einkaufsmöglichkeiten. Immerhin: Ein Retortenviertel ist es nicht. Kinder spielen auf dem großen Platz in der Mitte und alle Tische vor dem Bistro sind voll.

Wahlkampf
:Das sind die "hart arbeitenden Menschen", die Martin Schulz erreichen will

In fast jeder Rede werden sie vom SPD-Kanzlerkandidaten umworben. Doch wer sind diese Menschen eigentlich? Was bewegt sie? Und schafft es Schulz, sie wieder für seine Partei zu gewinnen? Beobachtungen aus den letzten Wochen des Wahlkampfes.

Reportage von Oliver Klasen

Schenk, 51, Sozialpädagoge, arbeitet als sogenannter Quartiersmanager, kümmert sich um soziale Belange in Innenstadtvierteln in Frankfurt und Offenbach. Er ist selbständig, beschäftigt 13 Angestellte und 40 Personen in Qualifizierungsmaßnahmen. Den Vorsitz im Ortsverein Offenbach-Innenstadt hat er vor einem Jahr abgegeben, weil ihn der Beruf zu sehr forderte, aber noch immer begleitet er die Politik seiner Partei. Mit anderen Mitgliedern diskutiert er nun, was "die in Berlin" besser machen könnten.

Es fallen nachdenkliche Sätze und auch solche mit viel Selbstkritik. "Das komplette Sozialwesen wurde vernachlässigt und nicht richtig gewürdigt. Das ist eigentlich eine Unverschämtheit in einem so wohlhabenden Staat wie Deutschland", sagt Schenk. "Als Sozialdemokrat muss ich sagen, dass meine Partei ein Stück dazu beigetragen hat, dass die Angst immer größer und die Solidarität immer kleiner wurde in der Gesellschaft", sagt sein Parteifreund Volcan Ulukaya, der als Gewerkschaftsjustiziar arbeitet.

An der Basis ahnen sie, wie schwer es am Sonntag für die Sozialdemokraten werden wird. Auch im Ortsverein Darmstadt-Mitte, ebenfalls im Bezirk Hessen-Süd, traditionell eher links. 50 Kilometer von Offenbach entfernt, fast dieselbe Diagnose. "Leute, die früher unsere Brot-und-Butter-Klientel waren, die wählen heute gar nicht mehr oder sogar AfD", sagt Jörg Ihle, gelernter Industrieelektroniker, der jetzt als Krankentransportfahrer arbeitet und im Ortsverein als Schriftführer fungiert.

Viele kleine Angestellte, Facharbeiter und andere Angehörige der unteren Mittelschicht haben der Partei den Rücken gekehrt in den vergangenen Jahren. Eric Wolf aus dem Ortsverein in Offenbach hat in gleich drei Berufen gearbeitet, deren Angehörige Martin Schulz unter "hart arbeitenden Menschen" subsummieren würde. Er war Koch, Erzieher und Altenpfleger, jetzt ist er in Frührente. "Ich hab mich in all diesen Berufen nie von der SPD vertreten gefühlt", sagt Wolf. Vor einigen Monaten, kurz nach der Nominierung von Schulz, ist er trotzdem in die SPD eingetreten. Aus einem vagen Optimismus heraus.

Zu Zeiten von Schröder suchte die SPD nach der "neuen Mitte". Es folgten die Hartz-Reformen, von denen sich die Partei bis heute nicht erholt hat. "Wir dürfen nie vergessen, wo wir herkommen", sagt der Darmstädter Ortsvereins-Beisitzer Fritz Gunkel. Die SPD müsse auch künftig die Partei der kleinen Leute und der einfachen Angestellten sein. "Deshalb redet Martin Schulz von den hart arbeitenden Menschen. Er sagt absichtlich nicht mehr so oft Mitte, weil der Begriff verschwimmt und auch CDU und FDP diese Mitte gesucht haben", sagt Tobias Reis, der Ortsvereinsvorsitzende.

Stimmen von der SPD-Basis (v.l.): Christiane Prusseit, Jörg Ihle, Fritz Gunkel und Tobias Reis vom Ortsverein Darmstadt-MItte. (Foto: Oliver Klasen)

Christiane Prusseit gefällt, dass Schulz nicht von Anfang an so getan habe, als habe er für jedes Problem eine Lösung. "Das wäre populistisch. Schulz geht das Step-by-step an und gerade deshalb ist er glaubwürdig", sagt die Darmstädter Beisitzerin. Trotzdem müsse sich die SPD stärker als früher anstrengen, um traditionelle und neue Wählergruppen zu erreichen. "Es reicht heute nicht mehr, Podiumsdiskussionen zu veranstalten und den Leuten am Wahlkampfstand einen Kugelschreiber in die Hand zu drücken. Und pauschal zu sagen, wir unterstützen die Arbeiterklasse, das ist auch vorbei", sagt Reis, Jahrgang 1983 und Lehrer.

Die SPD müsse für die Berufsgruppen, die sie als ihre Kernklientel ansieht, konkrete Angebote machen. Sie müsse den Polizisten sagen, wie viele neue Kollegen eingestellt werden und den Krankenschwestern erklären, wie die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessert werden.

Viel zu defensiv präsentiert

Martin Schulz versucht das im Wahlkampf, aber viele Beobachter sagen, er ist zu spät konkret geworden. Zum Beispiel bei der Krankenversicherung. "Ich ärgere mich seit Jahren, dass ich als Selbstständiger aus dem Solidarprinzip herausgenommen bin, genauso wie alle Besserverdienenden", sagt Sozialpädagoge und Unternehmer Schenk. Eine Bürgerversicherung stehe bei der SPD zwar irgendwo im Wahlprogramm, aber sie habe ihr Konzept dafür im Wahlkampf viel zu defensiv präsentiert.

Maurice Skowronek, der Vorsitzende im Ortsverein Offenbach-Innenstadt, widerspricht seinem Parteifreund in diesem Punkt. Er beklagt, es werde in der Öffentlichkeit "immer so getan, als macht die SPD nix". Dann zählt er Projekte auf: "Mietpreisbremse, Begrenzung der Leiharbeit, höhere Anrechnungsgrenzen bei der Riesterrente, Erhöhung des Behindertenfreibetrags. Es passiert eine Menge, aber es wird einfach nicht gesehen".

Die "hart arbeitenden Menschen" sind eine griffige Formel, mit der sich viele angesprochen fühlen. Könnte sein, dass die SPD künftig mehr solcher Formeln braucht.

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