Bundestagswahl: Elefantenrunde:Die öffentliche Scheidung

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Kanzlerin Merkel und ihr Noch-Stellvertreter Steinmeier in Trauerarbeit über ihre Trennung. Millionen TV-Zuschauer wurden Zeugen, wie beide in der "Elefantenrunde" ihre neuen Rollen suchten.

Hans-Jürgen Jakobs

Sie müsse "noch ein bisschen Medienarbeit machen". Das sagte die Vorsitzende und alte neue Bundeskanzlerin kurz nach 19 Uhr in die Jubeleien der CDU-Anhänger hinein.

Das "bisschen Medienarbeit" - die führte Angela Merkel später zur besten Fernsehzeit um 20:15 Uhr, nach der Tagesschau, in jene "Elefantenrunde" der großen Parteistrategen, die ihr beim letzten Mal vor vier Jahren unangenehme Erlebnisse der dritten Art bereitet hatte.

Es schröderte nicht

Damals klatschte ihr der offenbar testosterongesteuerte Altkanzler Gerhard Schröder die Ansage ins Gesicht, die SPD werde doch nicht in eine Koalition unter Merkels Führung eintreten. Da sich Schröder auch noch bissige Wortduelle mit Moderator Nikolaus Brender leistete, glaubt der Niedersachse, das sei eine "Kultsendung" gewesen.

"Kult" wird diese "Berliner Runde" des Jahres 2009 nicht. Es schröderte nicht. Es dominierte "Mutter Merkel", die nicht mehr "Angela Mutlos" sein will. Sie lächelte, diesmal selbstbewusst und nicht mehr verschreckt wie 2005.

Im roten Blazer saß sie da, sehr zufrieden, gratulierte ihrem neuen Gefährten Guido Westerwelle - und setzte sich fast therapeutisch mit ihrem alten Partner SPD und dessen Kandidaten Frank-Walter Steinmeier auseinander.

Es hätte auch eine Folge aus "Ehen vor Gericht" sein können. "Ich hoffe, dass Sie alles sagen, was Sie in der großen Koalition gesagt haben", hielt Angela Merkel beispielsweise ihrem Ex-Stellvertreter vor. Und als Steinmeier sagte, man müsse doch mal sehen, was die SPD 1998 angesichts vieler Unions-Regierungsjahre an Problemen übernommen habe, da entgegnete sie: Man müsse auch sehen, was die Union 2005 vorgefunden habe.

Steinmeiers schwadronieren von "alter Stärke"

Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin fühlte sich, nicht zu Unrecht, an "aktive Trauerarbeit" erinnert. Hier suchen zwei Menschen nach vier Jahren harmonischer Zusammenarbeit im Kabinett öffentlich ihre neuen Rollen.

Da war Steinmeier, der neue Oppositionsführer, wie er sich trotz der Verantwortung für das schlechteste SPD-Ergebnis aller Zeiten sieht. Der Mann schwadroniert permanent von "alter Stärke" und "neuer Kraft" und mag den Begriff "geschlachtet" nicht akzeptieren; er besteht fast trotzig auf der "Agenda 2010" und prophezeit: "Die Sozialdemokratie wird in der Regierung fehlen."

Vor allem wird Steinmeier sich selbst als Außenminister fehlen. Im Übrigen bemühte er sich mit tiefem Timbre um jene Kraft, die in der Ruhe liegen soll.

Dem siegesfreudigen, etwas nassforschen FDP-Chef Guido Westerwelle beschied der Kandidat a. D. noch, er solle "ein bisschen den Triumph aus der Stimme nehmen". Das wirkte wieder so ernst wie aus dem Seminar für systemische Paar-Therapie. Das war fast Schröder live.

Westerwelle aber wollte sich partout die gute Laune nicht verderben lassen, auch nicht vom neuen Koalitionsfreund Peter Ramsauer von der CSU. Der Bayer sprach, zugeschaltet aus dem Münchner Studio, von "Leihstimmen" der Union für die FDP. Der Ober-Liberale betonte mehrfach - auf Fragen zu Gesundheitsfonds und zu Steuersenkungen - die Verhandlungen würden erst noch beginnen. Alles andere würde die Opposition "königlich amüsieren".

Westerwelle - bisweilen einfach arrogant

Zuweilen wurde er einfach arrogant: "Ich habe Ihre Fragen beantwortet." Er sei nicht der "personifizierte Teufel", hielt er den anderen von der neuen Opposition noch entgegen: "Werden Sie doch wieder normal!"

In dieser Runde hatte Linke-Chef Oskar Lafontaine einige Mühe, zu Wortanteilen zu kommen - und daran zu erinnern, dass seine Partei zu den großen Gewinnern zähle. Im Bundesrat ("Dieses Stichwort will ich jetzt geben") werde man schauen, dass künftig in der Krise "nicht die falschen zur Kasse gebeten würden" - und es zu wirksamen Maßnahmen gegen die Finanzmarktkrise komme. Trittin fügte an, jetzt gebe es eine andere Situation, eine "klar definierte Auseinandersetzung zwischen Opposition und Regierung".

Angela Merkel war zu Anfang der "Berliner Runde" abgetaucht. Mehrfach wollte sie zu Wort kommen. Dann aber konnte sie minutenlang ihren wolkigen Wahlkampfstil fortsetzen, von Wohlstand und sozialer Marktwirtschaft schwärmen, von den zu schaffenden Arbeitsplätzen, und sich gegen ihren alten Gefährten Steinmeier abgrenzen. Ein altes Ehepaar geht getrennte Wege. Die "Schreckkampagne" gegen Schwarz-Gelb habe ja nicht funktioniert, sagte Merkel. Und: "Ich bin keine andere geworden."

Vor der Wahl war es dem Fernsehen nicht gelungen, alle Spitzenkadidaten der im Bundestag vertretenen Parteien im Studio zu versammeln. Das lag an der Kanzlerin, die nicht wollte, und Terminnot vorschob. Jetzt waren die Top-Politiker erstmals in dieser "Berliner Runde" vereint.

Er wolle "heute Abend sehr höflich bleiben", erinnerte Moderator Brender gegen Schluss sowohl an die Schrödereien vor vier Jahren als auch an den Ärger mit Merkel. Die "Elefantenrunde" habe vor der Wahl 2009 ja wegen "der unerklärlichen Dinge der großen Politik" nicht stattfinden können, so der ZDF-Chefredakteur.

Für ihn dürfte es die letzte "Elefantenrunde" sein. Die Union im Verwaltungsrat will seinen Vertrag nicht verlängern, auch Merkel sieht das offenbar so - und mit dem politischen Ergebnis dieses Sonntags steht dem Ansinnen nichts mehr im Weg.

Der auf Abruf arbeitende Brender wagte dann noch einen Ausflug in Brehms Tierreich. "Den großen Elefanten geht die Nahrung aus, und die kleinen Elefanten wachsen schneller, als die großen mögen", philosophierte er und sagte zur CDU-Chefin: "Frau Bundeskanzlerin, Sie sind hier ordentlich behandelt worden" - das wäre bei einem TV-Gespräch vor der Wahl nicht anders gewesen. "Oooch", sagt da Merkel, sie habe sich "eigentlich sehr wohl behandelt gefühlt beim TV-Duell."

An diesem Wahlsonntag, da hat sie ihre "Medienarbeit" auch bei ARD und ZDF ganz gut machen können. Es fehlte Testosteron.

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