Bundespressekonferenz:Die Kanzlerin - eher Hausmeisterin als Hausherrin

Sie sei nicht "unterausgelastet". Wow. Warum redet Angela Merkel in der Öffentlichkeit nicht ganz normal? In Zeiten des Zweifels und der Angst, der Ratlosigkeit, Ohnmacht und Wut.

Kommentar von Kurt Kister

Angela Merkel hat sehr viele Reden gehalten, manche davon zu sehr bedeutenden Anlässen. Eine wirklich große Rede ist ihr nie gelungen, was auch daran liegt, dass ihr weitgehend die Gabe fehlt, Gefühle in Worte zu kleiden. Außerdem steht die promovierte Physikerin den eigenen Gefühlen, vor allem aber deren Ausstellung, eher skeptisch gegenüber.

Sie ist die kühle Königin der pragmatischen Vernunft, weswegen sie auf viele Leute distanziert, arrogant oder menschenfern wirkt. Ihr Hang, die Dinge zu strukturieren und in einzelne Punkte zu zerlegen, erweckt manchmal den Eindruck, sie sei nicht Hausherrin, sondern Hausmeisterin.

Würde die Kanzlerin gut und auch gerne Reden halten, wäre sie nicht am Donnerstag vor die Bundespressekonferenz getreten. Sie hätte vielmehr getan, was der erprobte Bundes-Cicero Joachim Gauck stets und manchmal brillant tut: Sie hätte eine den Verstand fordernde und das Herz ansprechende Rede gehalten. Anlass dafür gibt es nach den jüngsten Gewalttaten genug. Zwar ist nicht "die" Gesellschaft gespalten, wie das die Spalter von rechts und links behaupten. Aber es gibt Zweifel und Angst, Ratlosigkeit, Ohnmacht und Wut. Man hätte genau dazu gerne ausführlich etwas von der Frau gehört, die nun seit elf Jahren Deutschland regiert.

In der Zeit der Äxte schwindet das Vertrauen in die Kanzlerin stark

Auf der Pressekonferenz hat sie zu allem etwas gesagt, zu Flüchtlingen und zum Rentenniveau, zu Erdoğan und zum Terrorismus, zur Gewalt und zu Schengen. Sie ist sich treu geblieben in der Überzeugung, dass Deutschland Flüchtlinge aufnehmen musste und dass die Gesellschaft insgesamt die "große Bewährungsprobe" bewältigen werde. Das ist nicht neu, weder in der Sache noch in der Wortwahl bis hin zur Wiederholung des "Wir schaffen das".

Merkel würde vermutlich auch den Untergang der Titanic oder eine Rückkehr John Lennons von den Toten als "Bewährungsprobe" oder "einen interessanten Vorgang" bezeichnen. Als sie danach gefragt wurde, ob sie nicht manchmal erschöpft sei, sagte sie, sie sei nicht "unterausgelastet". Wow. Merkel kann, wenn sie sich gerade mal nicht als ANGELA MERKEL fühlt, ganz normal reden. Sie sollte das häufiger und gerade jetzt tun, weil in der Zeit der Äxte und der Rucksackbomben das Vertrauen in ihr Wir-haben-das-schon-immer-so-gemacht-Management stark schwindet.

Natürlich hat die Kanzlerin Fehler gemacht. Einen ernst zu nehmenden Herausforderer hat sie trotzdem nicht

Es stimmt ja, vom Schuldendesaster 2008 über Fukushima und die Euro-Krise bis hin zu den Flüchtlingen und dem Terrorismus waren die letzten Jahre sehr heftig. Natürlich hat Merkel Fehler gemacht, zum Beispiel die freizügige Einreisepolitik vom Herbst 2015 so lange durchzuhalten. Sie hat mit der Zeit immer stärker darauf gesetzt, dass der Mensch, den sie am besten kennt, nämlich sich selbst, die wichtigen Dinge schon irgendwie vernünftig bewältigt.

Allerdings: Trotz des Merkel-muss-weg-Geschreis von rechts und ganz rechts hat die Kanzlerin bisher keinen ernst zu nehmenden Herausforderer - weder in den Oppositionsparteien noch in der Union. Das war 1997 bei Helmut Kohl anders.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: