Angela Merkel tritt mit einem Lächeln in den großen Saal der Bundespressekonferenz. Der Raum ist bis auf den letzten Platz besetzt. Es passiert ja auch nur einmal im Jahr, dass sich die Kanzlerin hier den Fragen der Hauptstadtpresse stellt. In den vergangenen Jahren immer eher nach den Sommerferien. Diesmal hat sie ihren am Freitag begonnenen Urlaub dafür unterbrochen.
Die Bluttaten der vergangenen Wochen hätten dies nötig gemacht, sagt sie. Etwa eine Stunde und 45 Minuten wird sie befragt. Schwerpunkt natürlich: Flüchtlingsfragen und die möglichen Zusammenhänge mit der Terrorgefahr. Merkel hat aber auch Fragen nach der Türkei, der Rente, dem Freihandelsabkommen TTIP und einer möglichen Kanzlerkandidatur beantwortet.
Sie bleibt dabei: "Wir schaffen das"
Merkel steht zur ihrer Flüchtlingspolitik. Immer wieder verweist sie auf die humanitären Werte, die zu Deutschland gehörten. Sie zitiert Artikel 1 des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Deutschland werde deshalb auch weiterhin Menschen in Not Asyl gewähren. Oder Hilfe nach der Genfer Flüchtlingskonvention anbieten, wenn sie vor Krieg und Terror flüchten.
Auch wenn das Asylrecht in den vergangenen Monaten drastisch verschärft wurde: An ihrem "Wir schaffen das" will sie nicht rütteln. "Wir bleiben bei unseren Grundsätzen." Und wo es Probleme gebe, würden diese gelöst. Allerdings, schränkt sie ein, habe sie nie behauptet, dass das eine einfache Aufgabe wäre. Sie ist aber überzeugt, dass "ein Verweigern einer humanitären Verantwortung ganz schlechte Folgen gehabt hätte".
"Kampf oder Krieg gegen Terror", aber nicht gegen den Islam
Ist nach Würzburg und Ansbach der islamistische Terror endgültig in Deutschland angekommen, wie einige Politiker sagen? Merkel antwortet gelassen. Das sei vorher doch auch schon so gewesen. Nur werde dies mit so einem Anschlag wieder in das Bewusstsein der Bevölkerung gerückt. Die Terrorgefahr sei nichts Neues. Aber: Sie "stellt unser Verständnis von Freiheit und Sicherheit auf die Probe", sagt sie. "Die Terroristen wollen unseren Zusammenhalt zersetzen und unsere Bereitschaft, Menschen in Not aufzunehmen". Sie würden Hass säen. "Dem stellen wir uns entschieden entgegen". Sie stellt fest: Wir "befinden uns in einem Kampf oder auch Krieg gegen den Terror." Aber: "Das ist kein Krieg oder Kampf gegen den Islam."
Wenn es Probleme gibt, wird von Politikern manchmal ein Katalog von Projekten erwartet, der es richten soll. Merkel bringt auch so einen Katalog mit. Lauter Einzelbaustellen, die meist längst schon in Betrieb sind. Es sei zwar nicht der Tag für "neue, zusätzliche Maßnahmen". Aber wo es Lücken gebe, müsse der Staat handeln. Neu etwa sei, dass die Täter den Sicherheitsbehörden bisher nicht aufgefallen seien.
Darum soll "wo immer notwendig" der Bund mehr Personal einstellen und die technische Ausstattung verbessern. Spätestens von Herbst an soll etwa eine zentrale Stelle zu Entschlüsselung der Internet-Kommunikation aufgebaut werden. Europaweit sollen alle Gefährder-Dateien zusammengelegt werden. Ein neues Waffenrecht soll den Online-Kauf von Kleinwaffen unterbinden.
Merkel will des Weiteren die tatsächliche Rückführung von straffälligen Ausländern in ihre Heimatländer voranbringen. Und nicht zuletzt die Kooperation mit ausländischen Geheimdiensten verbessern. Wenn Menschen jetzt Angst hätten, könne sie das verstehen. "Aber ich bleibe dabei, dass Angst nicht das politische Handeln bestimmen kann."
Merkel und eine erneute Kanzlerkandidatur
Wie zu erwarten, sagt sie dazu so gut wie nichts. Diese Frage werde sie zu einem geeigneten Zeitpunkt beantworten. "Dieser Zeitpunkt ist nicht heute." Wer nach Zeichen von Amtsmüdigkeit sucht, der wird sie nur schwerlich gefunden haben. Merkel war in allen angesprochenen Themen auf der Höhe. Erschöpft vom Zustand der Dauerkrise? "Erschöpfung würde ich nicht sagen. Aber ich bin nicht unterausgelastet." Klingt nicht danach, als würde sie 2017 nicht noch einmal antreten wollen.
Merkel und die Türkei
Das ist ein schwieriges Thema. Einerseits kann es ihr nicht egal sein, wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan nach dem Putschversuch das Land umpflügt, Tausende Beamten, Wissenschaftler und Journalisten festnehmen und Zeitungen wie Fernsehsender schließen lässt. Andererseits braucht sie Erdoğan als Partner, wenn es um den Kampf gegen den IS oder um die Flüchtlingsfrage geht.
Merkel hält sich mit offener Kritik zurück. Nur so viel: Sie habe Sorge, dass das rechtsstaatliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit "nicht immer im Vordergrund steht". Das habe sie dem türkischen Präsidenten auch mitgeteilt. Was den Beitrittsprozess der Türkei zur EU angeht, drückt Merkel das Bremspedal. Die Eröffnung neuer Verhandlungskapitel stehe jetzt "nicht auf der Tagesordnung".
Angleichung der Ost- und Westrenten
Gestritten wird in Berlin gerade über die Angleichung der Ost- an die Westrenten. Merkel will Ost- und Westrentner gleichbehandeln. Aber: Erst werde es noch "intensive Diskussionen" geben, sagt sie. Sie will verhindern, dass höhere Renten für Ostrentner zu einem Abschlag für die heute Arbeitenden führen. Finanzminister Wolfgang Schäuble sieht da erhebliche Finanzierungsschwierigkeiten. Merkels Botschaft: schwierig, aber machbar.
Freihandelsabkommen mit den USA, TTIP
Aus der SPD wurde TTIP schon für tot erklärt, das Freihandelsabkommen mit den USA habe keine Chance mehr. Merkel sieht das nicht so. Auf dem letzten EU-Rat habe die EU-Kommission die Staats- und Regierungschefs gefragt, ob die Verhandlungen weitergeführt werden sollen. Da sei das Votum klar gewesen: Ja, weitermachen.
"Entschieden wird am Ende", sagt Merkel. Sie jedenfalls beunruhige in keiner Weise, dass noch keine zufriedenstellenden Kompromisse öffentlich geworden seien. Sie kenne keine Verhandlung, in der "Kompromisse drei Monate vor Ende der Verhandlungen erkennbar wurden." Merkel steht zu TTIP. "Ich halte dieses Abkommen für absolut wichtig und richtig. Und in absolutem Interesse der EU. Ich kann nicht einsehen, warum die beiden größten volkswirtschaftlichen Regionen der Erde nicht die Standards setzen sollten."