Buch von Thilo Sarrazin:"Diffamierend und verletzend"

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Kaum sind erste Auszüge aus Thilo Sarrazins Buch auf dem Markt, sieht sich sogar die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung in der Pflicht, den Thesen zu widersprechen. Auch der SPD-Chef schaltet sich ein.

Der Titel der Abendveranstaltung ist durchaus passend. "Kassandrarufe zur Zukunft Deutschlands". Das Haus der Kulturen der Welt lädt im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals in Berlin zum Gespräch mit Thilo Sarrazin. Der streitbare Spitzenbeamte der Bundesbank darf am 25. September Werbung für sein Buch "Deutschland schafft sich ab" machen und seine Thesen zur Zukunft der Republik unters Volk bringen.

Sarrazins Sprüche
:"Kalt duschen ist viel gesünder"

Thilo Sarrazin hat ein Problem mit Zuwanderern: Sie seien weniger gebildet und würden sich überdurchschnittlich vermehren. Seine umstrittensten Aussagen in Bildern.

Doch schon vier Wochen vor dem Ereignis regt sich Protest gegen den Auftritt Sarrazins. Der Migrationsrat Berlin-Brandenburg fordert, den Referenten auszuladen. Man müsse der "rassistischen Hetze" Sarrazins ein Ende setzen, statt ihm auch noch eine Bühne zu geben.

Grund für die neue Aufregung dürfte die Veröffentlichung erster Auszüge aus Sarrazins Buch in der Bild sein. Das Boulevardblatt schenkt dem Vermarktungskönig unter Deutschlands Beamten gleich eine eigene Serie. Titel von Teil eins: "Wenn ich den Muezzin hören will, buche ich eine Reise ins Morgenland."

Sarrazin schlägt munter Brücken ins chinesische Kaiserreich und zu den alten Römern, um seine These zu belegen, dass Zuwanderung - vor allem aus muslimischen Ländern - Deutschland schade, ach was: geradezu in seiner Existenz gefährde. "Ich möchte, dass meine Urenkel in 100 Jahren noch in Deutschland leben können", schreibt der einstige Berliner Finanzsenator und steigert sich zum Finale zu der Formulierung: "Ich möchte nicht, dass wir zu Fremden im eigenen Land werden."

Schuld an dem Schlamassel tragen nach Sarrazins Überzeugung viele. Vor allem natürlich die Migranten selbst. Er erklärt: "Die mangelnde Integration liegt an den Attitüden der muslimischen Einwanderer". Schuld sind aber auch Politiker, Medien und überhaupt alle, die etwas zu dem Thema sagen: "In Deutschland arbeitet ein Heer von Integrationsbeauftragten, Islamforschern, Soziologen, Politologen, Verbandsvertretern und eine Schar von naiven Politikern Hand in Hand und intensiv an Verharmlosung, Selbsttäuschung und Problemleugnung."

Maria Böhmer - als Politologin, Politikerin und Integrationsbeauftrage der Bundesregierung nach Sarrazins Logik gleich dreifach schuldig - sieht sich angesichts solcher Vorwürfe nun sogar zu einer ausführlichen Replik veranlasst. "Sarrazins pauschale Polemik gegen muslimische Migranten ist diffamierend und verletzend", heißt es in dem Schreiben.

Vor allem aber seien Sarrazins Thesen wissenschaftlich nicht haltbar: "Es gibt keine Studien, die eine grundsätzliche mangelnde Integrationsbereitschaft der Muslime in Deutschland belegen."

Wie falsch die Pauschalurteile von Sarrazin seien, zeige eine am Montag vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung veröffentlichte Studie zur Bildung türkischstämmiger Migranten. Danach wechseln bei gleicher Leistung und ähnlichem sozialen Hintergrund türkische Kinder häufiger auf die Realschule oder das Gymnasium als deutsche Kinder.

Am Ende geht Böhmer in die Gegenoffensive: "Thilo Sarrazin hätte als Berliner Finanzsenator sieben Jahre die wichtige Aufgabe gehabt, Schulen mit einem hohen Migrantenanteil speziell zu fördern. Das Versagen ist offensichtlich. Seine Amtszeit waren sieben verlorene Jahre für Berlin."

Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel kündigte sogar an, das Buch des SPD-Genossen zu überprüfen. Er werde untersuchen, ob Sarrazin in seinem Buch Charakterurteile über Ausländer fälle. "Wenn er das macht, ist das eindeutig rassistisch", sagte Gabriel in Worms. Sarrazin agiere in der Debatte mit "sprachlich gewalttätigen Aussagen".

Zu einem Parteiausschlussverfahren wollte Gabriel sich jedoch nicht im Detail äußern. Eine solche Entscheidung müsse gerichtsfest sein. Er fügte noch hinzu: "Wenn Sie mich fragen, warum der noch bei uns Mitglied sein will - das weiß ich auch nicht."

© sueddeutsche.de/höl/woja/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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