Brexit-Referendum:Die Alten entscheiden, die Jungen tragen die Konsequenzen

People hold signs in Trafalgar Square during a 'Yes to Europe' rally for young people, in central London

Junge Leute auf dem Trafalgar Square: Sie wurden von den Alten überstimmt.

(Foto: REUTERS)

Hätten nur die jungen Wähler abstimmen dürfen, gäbe es keinen Brexit. Europas Bevölkerung vergreist, immer öfter bestimmen die Alten. Die Jungen müssen besser für ihre Interessen werben.

Kommentar von Ruth Eisenreich

Hätten an diesem Donnerstag in Großbritannien nur die Jungen abstimmen dürfen, die zwischen 18 und 49 Jahren, hätte es diese Fernsehbilder gegeben: Menschen mit blau-gelben Europaflaggen umarmen sich, Politiker in Berlin und Brüssel strahlen, eine klare Mehrheit hat für "Remain" gestimmt, das Vereinigte Königreich bleibt in der EU. Doch das Referendum ging anders aus. Entschieden haben das vor allem die Alten. Mit den Folgen müssen vor allem die Jungen leben. Der Brexit ist der Sieg der über 50-Jährigen über die Interessen der Generationen nach ihnen.

Die Alten bestimmen, die Jungen müssen für den Rest ihres Lebens die Konsequenzen tragen: Das wird in Zukunft immer häufiger passieren, weil in Europa die Bevölkerung altert. In Deutschland gab es schon bei der Bundestagswahl 2013 mehr als doppelt so viele Wahlberechtigte über 60 wie unter 30. Das beeinflusst nicht nur die Abstimmungen. Auch im politischen Alltag müssen die Parteien ständig darauf achten, nicht zu viele Ältere zu verprellen.

Europas junge Generation muss für ihre Interessen werben

Bei allem Respekt vor der Weisheit des Alters: Es ist ein Problem, wenn eine Gruppe weitreichende Entscheidungen durchsetzen kann, mit deren Folgen vor allem eine andere Gruppe leben muss. Da man nun nicht einfach eine Altersgrenze nach oben fürs Wahlrecht einführen kann, bei 65 oder 70 Jahren, braucht es eine andere Lösung. Die Generation, die da abgehängt zu werden droht, muss ihre Interessen stärker und entschiedener als bisher selber vertreten. Junge Menschen gehen zum Beispiel tendenziell seltener wählen als Ältere. Wollen sie nicht, dass über ihren Kopf hinweg entschieden wird, muss sich das ändern.

Für die Jungen bleibt es auch dann schwierig, sich durchzusetzen. Den Alten genügt es, auf die Stimmung der Gleichaltrigen und Gleichgesinnten zu setzen: Sie sind ja sowieso in der Mehrheit. Die Jungen dagegen müssen argumentieren, werben, ackern, um möglichst viele von den Alten zu überzeugen.

Das aber kann funktionieren, wie ein Beispiel aus Irland zeigt. Bevor die Iren im Frühling 2015 über die Ehe für Homosexuelle abstimmten, starteten Studenten die Kampagne #ringyourgranny, "Ruf deine Oma an". Junge Menschen sollten ihren Großeltern ihre Sicht erklären. Die Ehe für alle wurde angenommen, es stimmte sogar fast die Hälfte der Wähler über 65 im stark katholisch geprägten Irland für die Homo-Ehe.

Diese Kampagne könnte zum Vorbild werden: Bei wichtigen Zukunftsfragen müssen die Generationen miteinander sprechen, auf der politischen Bühne und beim Familienessen. Und warum sollten nicht die Älteren - nach dem Motto #ringyourgrandchild - vor der nächsten Wahl die Enkel anrufen und nach ihrer Meinung fragen? Die Weisheit des Alters kann auch darin bestehen, auf die Stimme der Jungen zu hören.

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