Barack Obama: Warten auf den Retter:"Sozialistische Staaten von Amerika"

Die Rezession wird die Präsidentschaft Barack Obamas auf Jahre hinaus überschatten. Es droht ein gigantisches Staatsdefizit.

N. Piper, New York

Barack Obama hat die Wahl am 4. November mit der Forderung nach "Wechsel", gewonnen. Die Mehrheit vor allem der jungen Amerikaner haben das Gefühl, ihr Land habe sich acht Jahre lang in die falsche Richtung bewegt. Die Sehnsucht nach Umkehr verwandelte der junge Senator aus Illinois in Wählerstimmen.

Obamas Kabinett - hier geht's zur Grafik

Obamas Kabinettl



Doch im Laufe des Wahlkampfs hat sich die Bedeutung des Wortes "Change" gewandelt. Zwar geht es immer noch um die Gesundheitsreform, mehr Geld für die Schulen oder erneuerbare Energie. Das zentrale Thema aber ist die Wirtschaftskrise. Obama muss ein Land regieren, das sich gewandelt hat, aber zum Schlechteren.

Die Vereinigten Staaten stecken in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit der Großen Depression. Der gesamte Finanzsektor und die Autoindustrie stehen faktisch unter Staatskontrolle. "Wir leben in den Vereinigten Sozialistischen Staaten von Amerika," spottet der Ökonom Nouriel Roubini.

Defizit: 1,2 Billionen

Die Erwartungen an Obama sind übermenschlich. Von dem 47-Jährigen hängt ab, ob der Absturz ins Bodenlose gestoppt wird. Die Risiken zeigen sich vor allem im Staatshaushalt: Der Präsident muss die Konjunktur mit Ausgaben in beispielloser Höhe stabilisieren und zugleich verhindern, dass Zweifel an der Solidität der Finanzen aufkommen.

Eines der Wahlkampfthemen Obamas war die unsolide Haushaltspolitik seines Vorgängers George Bush. Doch die Zahlen, um die es im vergangenen Frühjahr ging, wirken lächerlich im Vergleich zur heutigen Realität. Nach der jüngsten Schätzung des Haushaltsbüros des amerikanischen Kongresses wird das Defizit dieses Jahres auch ohne neues Konjunkturprogramm auf 1,2 Billionen Dollar steigen; die Ursache sind Steuerausfälle wegen der Wirtschaftskrise, Mehrausgaben für Arbeitslose und vor allem das Rettungsprogramm für die Banken (bisher 350 Millionen Dollar).

Das Defizit entspricht 8,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Solche Werte hat Amerika zuletzt in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht. Nach dem Europäischen Stabilitätspakt dürfen sich Regierungen für höchstens drei Prozent des BIP neu verschulden.

Nun haben aber Obama und die Demokraten ein Konjunkturpaket von 825 Milliarden Dollar über zwei Jahre beschlossen. Dadurch wird sich das Defizit nach einer Studie der Deutschen Bank auf 11,1 Prozent des BIP erhöhen, ein Wert, der in einem Entwicklungsland als Indiz für den drohenden Staatsbankrott gelten würde.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Obama einen neuen, ehrlichen Stil der Politik einführen will.

"Sozialistische Staaten von Amerika"

In Amerika gibt es derartige Sorgen nicht. Die Renditen amerikanischer Staatspapiere bewegen sich in der Nähe historischer Tiefststände - ein Zeichen fast grenzenlosen Vertrauens in die Sicherheit dieser Papiere. Amerika gilt weiter als sicherer Hafen. Obama kann mit seiner Politik nur Erfolg haben, wenn es ihm gelingt, dieses Vertrauen trotz der schockierenden Zahlen zu bewahren.

Barack Obama: Warten auf den Retter: Düstere Aussichten: Die Rezession stellt Barack Obama vor große Aufgaben - und große Erwartungen.

Düstere Aussichten: Die Rezession stellt Barack Obama vor große Aufgaben - und große Erwartungen.

(Foto: Foto: AP)

Die Gefahren sind groß. Sobald ausreichend viele Anleger glauben, wegen der hohen Staatsschulden könne die Inflation steigen, dann gehen auch die Zinsen in die Höhe, die Belastung des Haushalts wird größer und private Kreditnehmer werden von den Märkten verdrängt. Diese Wirkung mit Namen "Crowding-Out-Effekt" ist in anderen Ländern nach einem exorbitanten Anstieg der Staatsverschuldung aufgetreten, zum Beispiel in Schweden 1992.

Ausgaben für Sozialversicherung steigen

Der neue Präsident steht vor einem Balanceakt: Er muss die Staatsschulden zurückführen, aber er darf es nicht zu früh tun, um den Aufschwung nicht zu gefährden, aber auch nicht zu spät, um private Investitionen nicht abzuschrecken.

Der Prozess der Umsetzung eines Konjunkturpakets birgt dabei eigene Gefahren. Wenn der Staat plötzlich Hunderte Milliarden Dollar ausgibt, strömen Heerscharen Lobbyisten und Interessengruppen nach Washington, um sich ihren Anteil zu sichern.

Es ist fast unvermeidlich, dass ein Teil des Geldes in Gefälligkeitsprojekte gehen wird. Viele Kongressabgeordnete werden versuchen, mit dem Geld Industriepolitik zu betreiben. Einige der möglichen Projekte passen zu den Zielen Obamas, etwa Investitionen in erneuerbare Energien und in die Infrastruktur, andere vermutlich nicht.

Es wird schwer für Obama, unter diesen Bedingungen einen neuen, ehrlichen Stil einzuführen. Als bemerkenswerte Vorsichtsmaßnahme schuf Obama ein neues Amt im Weißen Haus: den Chief Performance Officer. Die erste Inhaberin, die frühere McKinsey-Beraterin Nancy Killefer, soll jede Verschwendung im Budget bekämpfen.

Schließlich sind die mittelfristigen Haushaltsrisiken nicht abzusehen. Weil die Bevölkerung altert, drohen die Ausgaben für die Sozialversicherung und die Krankenversicherung der Rentner nach 2018 das Budget zu sprengen, und zwar unabhängig von den jetzt beschlossenen Schulden. Vom neuen Präsidenten wird viel mittelfristiges Denken verlangt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: