Barack Obama und Abtreibung:Es lebe die Reform

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"Kill the bill"-Plakate und "Babymörder"-Rufe: Bei der Verabschiedung der Gesundheitsreform von Präsident Obama ging es am Ende um Leben und Tod - und dann wieder um gar nichts.

B. Vorsamer

Barack Obama wollte als US-Präsident Gräben überbrücken und die Polarisierung der amerikanischen Politik überwinden. Es ist ihm nicht gelungen. Während das Repräsentantenhaus über die Gesundheitsreform debattierte, protestierten in Washington Tausende gegen das Gesetz. "Kill the bill!", skandierten sie (dt.: Tötet das Gesetz!) und sie drohten mit einem "Gemetzel im Herbst", also bei den nächsten Kongresswahlen.

Schon gegen Obamas Steuerreform waren vor Monaten zahlreiche Konservative auf die Straße gegangen. Mit Hilfe der aggressiven Tea Party-Bewegung und der ehemaligen Kandidatin für die Vizepräsidentschaft, Sarah Palin, haben sie ein Meinungsklima gegen den Präsidenten und seine Reformen geschaffen.

Hitzig ging es auch bei der Debatte im Kapitol zu. Die Beschimpfungen gipfelten im Ruf "Babymörder!" für den Abgeordneten Bart Stupak, einem demokratischen Abtreibungsgegner, der vor dem Repräsentantenhaus für den Entwurf der Regierung argumentierte. Dass die Reform nur mit einer hauchdünnen Mehrheit verabschiedet wurde - kein einziger Republikaner stimmte dafür und auch einige demokratische Abgeordnete votierten gegen den Präsidenten - zeigt, wie parteipolitisch aufgeladen die Stimmung in Washington ist.

Es ist also fast folgerichtig, dass der am Ende entscheidende Punkt das Thema Abtreibung war, eines der polarisierendsten Themen der amerikanischen Politik.

Mehrere konservative Demokraten hatten damit gedroht, der Reform nicht zuzustimmen, falls sie staatliche Gelder zur Finanzierung von Abtreibungen einsetze. Obama jedoch war auf ihre Stimmen angewiesen, um eine Mehrheit zusammenzubekommen.

Vertreter des Weißen Hauses verhandelten also bis zuletzt mit den demokratischen Abtreibungsgegnern, als deren Wortführer Bart Stupak auftrat, um die Details eines Reformzusatzes, der noch einmal klarstellt: Der Staat finanziert keine Abtreibungen. Das nämlich ist in den USA seit 1976 durch das Hyde Amendment verboten.

Das Magazin New Yorker bewertete den Zusatz für die Reform treffend als "most consequential and most inconsequential", also als den folgenreichsten und zugleich unbedeutendsten Kompromiss in der amerikanischen Geschichte. Er ist wichtig, weil es nur so möglich war, die Gesundheitsreform zu verabschieden. Und er ist unwichtig, weil er gar nichts ändert, sondern nur die geltende Gesetzeslage zur Finanzierung von Abtreibungen anerkennt.

Dass der Reformzusatz offensichtlich ein guter Kompromiss war, ist daran zu erkennen, dass Kritik von links und rechts erschallt. Nancy Northup vom Center for Reproductive Rights kritisierte, dass die Reform einer von vornherein verfehlten Politik Glaubwürdigkeit schenke. Der Vorsitzende von Americans United for Life, Charmaine Yoest, beklagte, dass der Zusatz Abtreibungen nicht ausreichend einschränke.

In Deutschland verwundert es viele, weshalb Abtreibung in den USA ein derart spaltendes Thema ist. Hierzulande wurde die Diskussion in den siebziger Jahren geführt und seitdem ist der Abbruch einer Schwangerschaft nach den Kriterien des Paragraphen 218a straflos. In den USA entschied das Verfassungsgericht ebenfalls 1973 im Urteil Roe vs. Wade, dass ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen dem Recht auf Privatheit widerspreche.

Trotzdem erhitzt das Thema dort bis heute die Gemüter. Die Vertreter von Pro-Life (Abtreibungsgegner) und Pro-Choice (Abtreibungsbefürworter) stehen sich unversöhnlich gegenüber, vor jeder Geburtsklinik bauen sich überzeugte Evangelikale mit Embryo-Bildern auf und beschimpfen Patientinnen als Mörderinnen.

Die öffentliche Meinung ist gespalten: Eine knappe Mehrheit spricht sich in Umfragen für das Recht auf Abtreibung aus, etwas weniger sind genauso überzeugt dagegen. Unentschieden ist bei diesem Thema kaum jemand.

In diesem Meinungsklima kam der große Versöhner Barack Obama mit dem Prinzip der Überparteilichkeit nicht weit - und zeigte stattdessen, dass er ganz pragmatisch sein kann, wenn es drauf ankommt. Als erster Präsident seit mehr als einem halben Jahrhundert hat er es geschafft, eine maßgebliche Reform des amerikanischen Gesundheitssystems durchzusetzen.

Mit ihm können sich die 31 Millionen Amerikaner freuen, die zuvor keinen Zugang zu Krankenversicherung hatten - und all diejenigen, die schwer erkranken, und nun nicht mehr von ihren Versicherern gekündigt werden können. Schlechter stehen mit Obamas Reform Angestellte da, die mehr als 200.000 Dollar im Jahr verdienen (für sie steigen die Beiträge), und die Versicherungswirtschaft, die kranke Versicherungsnehmer nun nicht mehr so leicht los wird.

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