Abtreibungsgesetz:Die Fruchtbarkeit der Frau ist Privatsache

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Demonstranten protestieren vor dem Haus von Jarosław Kaczyński. Der Vorsitzende der konservativen Regierungspartei PiS plant in Polen weiter eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes. (Foto: AP)

Der Entwurf für ein strengeres Abtreibungsgesetz in Polen ist vorerst vom Tisch. Doch Kaczyński und seine Partei geben nicht auf - dabei ist ihnen das Thema in Wahrheit egal.

Ein Gastbeitrag von Ludwika Włodek

Zwei Mal war ich schwanger, ich habe zwei Kinder (die medizinische Rechenformel dafür, dass ich weder abgetrieben habe noch eine Fehlgeburt hatte). Ich verhüte mit einer Spirale. Warum schreibe ich darüber? Eigentlich ist das doch meine Privatangelegenheit, die niemanden außer mich und meinen Arzt etwas angeht. Oder?

Die Fruchtbarkeit der Frauen war noch nie ihre Privatangelegenheit. Seit jeher ist die Kontrolle darüber, ob, wie und wessen Kinder sie gebären, ein Instrument der Machtausübung. Das hatte ich nur vergessen in den vergangenen 20 relativ ruhigen Jahren, als das Thema Abtreibung in der Öffentlichkeit meines Landes wenig präsent war. Wirksam war ein Kompromiss, der in Wirklichkeit keiner war - was ich auch vergessen hatte.

Ähnlich dachten viele Frauen. Schließlich haben wir unsere Gynäkologen, die die Pille verschreiben. Und falls wir doch ungeplant schwanger würden, könnten wir in unsere Wohnungen auch noch ein weiteres Babybett stellen. Und wenn wir wirklich kein Kind mehr wollten? Dann gab es immer noch die Pille danach oder die Abtreibungspille. Letztere ist zwar in Polen nicht zugelassen, aber schließlich sind wir versiert im Umgang mit dem Internet. Und wenn es auch für dieses Mittel zu spät wäre? Dann würden wir eben nach Tschechien fahren oder in die Slowakei. Eine Abtreibung kostet dort zwischen 350 und 400 Euro. Viel Geld, das sich aber wieder reinholen lässt.

Und wenn wir unter einen der drei erlaubten Fälle im polnischen Abtreibungsgesetz fallen sollten? Wenn wir vergewaltigt worden wären, wenn die Schwangerschaft unser Leben gefährden würde oder wenn der Embryo schwere genetische Defekte aufwiese? Wir würden kaum eine zweite Alicja Tysiąc werden, die im Jahr 2000 schwanger wurde und der man eine legale Abtreibung verweigerte, obwohl sie durch die Geburt ihr Sehvermögen zu verlieren drohte.

Ludwika Włodek, 40, ist Journalistin und Soziologin. Als Assistenzprofessorin lehrt sie an der Universität Warschau und schreibt u.a. für die Gazeta Wyborcza. (Foto: Krzysztof Dubiel/n-ost)

Ich stellte mir vor, ich müsste an einer Eileiterschwangerschaft sterben

Der Fall gelangte bis nach Straßburg, am Ende musste der polnische Staat Alicja Tysiąc 25 000 Euro Entschädigung zahlen. Wir dagegen wären sicher sofort nach Tschechien gereist, ohne uns damit aufzuhalten, in Polen für eine legale Abtreibung zu kämpfen.

Aus meiner Komfortzone riss mich erst der Entwurf für ein neues, extrem rigides Antiabtreibungsgesetz, den im Frühjahr das konservative Bürgerkomitee "Stoppt Abtreibung" mit einer Unterschriftenaktion in Leben rief und der bei der konservativen Mehrheit im Parlament auf fruchtbaren Boden fiel. Radikale Abgeordnete lobten den Entwurf und verteufelten die "eugenische Abtreibung", die der polnische Staat ihrer Meinung nach billigt, indem er die Abtreibung von Embryonen mit schwerwiegenden Gendefekten zulässt.

Anfang Juli gelangte der radikale Entwurf, unterzeichnet von einer halben Million Bürger, vor das Parlament, den Sejm. Vorgesehen waren Haftstrafen von bis zu fünf Jahren - nicht mehr nur für die Ärzte, sondern auch für die Frauen. Gestattet sein sollte die Abtreibung erst in einer "akut lebensbedrohenden Situation für die Frau".

Wäre es in Kraft getreten, hätte das neue Gesetz für viele Polinnen ihre ohnehin verschwindend geringen Chancen auf eine legale Abtreibung zunichte gemacht. Die Vorstellung, ich müsste an einer Eileiterschwangerschaft sterben, da kein Arzt mir helfen würde, aus Furcht, die akute Gefahr für mein Leben nicht hinlänglich beweisen zu können, nahm mit einem Mal Gestalt an.

Und da verfiel eine berühmte polnische Schauspielerin, Krystyna Janda, auf die Idee mit dem "Schwarzen Montag", also einem Frauenstreik in ganz Polen. Am Montag, dem 3. Oktober kleidete ich mich in Schwarz und ging zur Demonstration, zusammen mit fast 100 000 Frauen. Noch nie war mir bewusst, wie weit die regierenden Politiker in meine privaten Angelegenheiten eingreifen wollten.

Die Regierungspartei erschrak ganz eindeutig über diesen Protest, den sie zuerst hatte lächerlich machen wollen. Wenige Tage später empfahl die Menschenrechtskommission im Sejm auf den ausdrücklichen Wunsch Jarosław Kaczyńskis, des Vorsitzenden der Regierungspartei, den Entwurf "Stoppt Abtreibung" fallen zu lassen - was auch tatsächlich geschah.

Das ist jedoch erst der Beginn der Schlacht. Kaum war der Entwurf abgelehnt, bezichtigten konservative Kreise die PiS des Verrats. Und das, obwohl Premierministerin Beata Szydło die Ablehnung des Gesetzesentwurfs durch die Zusage auszugleichen versuchte, dass der Staat künftig Eltern behinderter Kinder besser unterstützen wolle.

Kaczyński ist in eine Falle geraten. Seit Jahren bemüht er sich darum, dass rechts von der PiS nur noch die Wand ist. Die Wahl gewonnen hat er dank der Unterstützung des konservativen Teils der polnischen katholischen Kirche, inklusive dem fundamentalistischen Milieu um den Radiosender Radio Maryja und dessen Leiter, den Redemptoristen-Pater Tadeusz Rydzyk. Der geballte Aufschrei zum Schutz der "ungeborenen kleinen Kinder" hat Kaczyński gezeigt, dass Rydzyk nicht nur eine geteilte Kasse will, sondern auch die geteilte Macht. Er will die Herrschaft über die Seelen.

Kaczyński fürchtet um seine Machtposition innerhalb der Partei

Ich glaube nicht, dass die Frage der Abtreibung dem PiS-Vorsitzenden Kaczyński jemals besonders am Herzen lag. Früher stimmte er viele Male gegen radikale Entwürfe und geriet darüber in Konflikte mit katholischen Fanatikern. Damals bekam seine Gruppierung jedoch nur bis zu 25 Prozent Unterstützung. Seit die PiS allerdings praktisch das gesamte rechte Spektrum unter ihren Schirm geholt hat, kann sie allein regieren.

Der Frauenprotest vermochte Kaczyński vielleicht zu erschrecken, doch ein drohender Machtverlust infolge einer Teilung der Rechten erscheint ihm gefährlicher. Und deshalb sagte der Parteivorsitzende auch bereits wenige Tage, nachdem der Sejm den Entwurf "Stoppt Abtreibung" abgelehnt hatte, in einem Interview: "Wir werden darauf hinarbeiten, dass selbst Fälle von Schwangerschaften, bei denen das Kind zum Sterben verurteilt ist, dennoch in eine Geburt münden, damit das Kind getauft und beerdigt werden kann."

Kaczyński versucht zu lavieren: zwischen seinen eigenen, weniger radikalen Ansichten zum Abtreibungsverbot - und der Kompromisslosigkeit jener Lobby, die ihm zur Macht verholfen hat. Seine Entscheidung wird bestimmt für die sicheren Verbündeten ausfallen, selbst wenn er privat etwas anderes denkt.

Dann jedoch werden sich diejenigen von ihm abwenden, die die Pis vor allem wegen ihrer sozialen Versprechen gewählt haben. Auch sie wollen nicht, dass die Regierung über ihr Privatleben bestimmt.

Polen
:Die Abtreibungsgegner der Neu-Rechten sind vor allem gegen Frauen

Viele neue Rechte, wie Donald Trump, die AfD und auch Polens Jaroslaw Kaczynski verteidigen niemanden so inbrünstig wie die Ungeborenen. Damit wollen sie Frauen ihre Version vom Glück vorschreiben.

Kommentar von Nadia Pantel

Übersetzung: Lisa Palmes

© SZ vom 20.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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