Aufklärungspannen nach NSU-Mordserie:Druck auf Innensenator Henkel steigt

Lesezeit: 3 min

Die Pannen bei der Aufklärung der Neonazi-Mordserie häufen sich. Grünen-Innenexperte Ströbele vermutet ein "geradezu strafbares Verhalten" bei den Berliner Behörden. SPD-Abgeordnete im NSU-Untersuchungsausschuss fordern von Innensenator Henkel uneingeschränkte Kooperation - oder seinen Rücktritt.

Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) gerät im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags immer stärker unter Druck. Der Grünen-Vertreter im Ausschuss zu den Neonazi-Morden, Hans-Christian Ströbele, wandte sich am Montag im RBB-Inforadio gegen die Überlegungen Henkels, einen Sonderermittler mit der Angelegenheit zu betrauen.

Innensenator Frank Henkel (CDU) sieht sich im NSU-Untersuchungsausschuss scharfer Kritik ausgesetzt. Kooperiert er nicht, so fordert SPD-Abgeordnete Eva Högl seinen Rücktritt. (Foto: dapd)

"Er soll uns mal ganz schnell die Informationen geben", sagte Ströbele an die Adresse Henkels. "Wir wissen ja bis heute noch nicht, welche Informationen die Berliner hatten und was sie vor allem mit den Informationen gemacht haben", sagte Ströbele weiter. Es sei ja geradezu ein strafbares Verhalten, wenn sie Unterlagen für sich behalten hätten. So hätten die Berliner Behörden auf mehrfaches Nachfragen nicht eingeräumt, dass ein V-Mann der Polizei ein NSU-Unterstützer gewesen sei. "Das kann man nur als Lüge bezeichnen", betonte Ströbele.

Das "Allerschlimmste" sei jedoch, sagte Ströbele, dass die Behörden durchaus über Hinweise und Indizien auf die Zwickauer Terrorzelle verfügt hätten. "Wenn man denen systematisch nachgegangen wäre, dann wäre möglicherweise dieses Terrortrio früh gestoppt worden, und dann wären Menschen nicht ermordet worden."

"Der Versuch von Herrn Henkel, die Aktenvorlage durch Einsetzung eines Sonderermittlers zu verschleppen, ist eine Unverschämtheit", sagte die SPD-Vertreterin im Untersuchungsausschuss, Eva Högl, der Süddeutschen Zeitung. "Seit März sind die betreffenden Akten zusammengestellt und bereits dem GBA (Generalbundesanwalt; Anm. d. Red.) vorgelegt. Entweder der Berliner Innensenator übermittelt die Akten jetzt unmittelbar dem Ausschuss oder er sollte zurücktreten, weil er offenbar immer noch nicht verstanden hat, worum es hier geht."

"Wer glaubt, er könne irgendetwas unter den Teppich kehren, der muss damit rechnen, irgendwann über den Teppich zu stolpern", drohte auch der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) im "Morgenmagazin" des ZDF. Das Verhalten sei ein "Skandal und nicht zu entschuldigen". Es könne nicht sein, dass der Untersuchungsausschuss nur durch Nachfragen und zum Teil durch Zufälle Informationen von den zuständigen Behörden bekomme, sagte Edathy.

Auch die Linken-Abgeordnete Petra Pau warf Henkel vor, die Aufklärung der NSU-Nazi-Mordserie zu blockieren. Damit düpiere er den Bundestag und verhöhne die Opfer. "Anstatt über den x-ten Sonderermittler zu sinnieren, sollte sich Berlins Innensenator die fehlenden Akten unter den Arm klemmen und sie höchstselbst zum Bundestag tragen."

Ehemaliger Innensenator Körting verlässt Kommission

Der ehemalige Berliner Innensenator und Amtsvorgänger Henkels, Ehrhart Körting (SPD), hat sich bereits aus der Bund-Länder-Kommission zur Aufklärung des Rechtsterrorismus zurückgezogen. Er wolle angesichts der Affäre um einen V-Mann des Berliner Landeskriminalamtes "nicht den Anschein von Befangenheit erwecken", berichtet der Berliner Tagesspiegel (Dienstagausgabe). Körting habe deshalb den Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, Lorenz Caffier, über seinen Rückzug aus dem Gremium informiert. Eine Sprecherin Caffiers bestätigte den Vorgang.

Die Innenministerkonferenz hatte im Dezember 2011 auf Vorschlag von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) die Einsetzung der vierköpfigen Kommission beschlossen. Das Gremium soll Versäumnisse bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen analysieren und Vorschläge für Reformen der Sicherheitsarchitektur unterbreiten.

Ein Sprecher Henkels hatte am Wochenende erklärt, Henkel denke intensiv über die Einsetzung eines Sonderermittlers nach. So will er aufklären lassen, ob Fehler gemacht wurden, nachdem das Berliner LKA im Jahr 2002 Hinweise zu dem möglichen Aufenthaltsort der Terrorgruppe erhalten hatte. Dies lehnt Ströbele heftig ab. Der Untersuchungsausschuss des Bundestages sei der Sonderermittler, sagte er im RBB.

In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass die Berliner Sicherheitsbehörden einen V-Mann hatten, der bereits 2002 Hinweise auf den Verbleib der untergetauchten Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) gegeben haben soll. Die Berliner Behörden gaben die Akten zu dem Mann aber nicht an den Ausschuss weiter und sagten auf Anfrage, sie hätten keinerlei Unterlagen zu den Neonazi-Morden.

Der V-Mann soll sich mindestens fünfmal mit der Polizei getroffen haben. Ende der neunziger Jahre soll er die drei NSU-Mitglieder mit Sprengstoff versorgt haben, von 2000 bis 2011 soll er dann dem LKA als Quelle gedient haben. Der Mann ist einer von 13 Beschuldigten, gegen die die Generalbundesanwaltschaft im Zusammenhang mit der Mordserie des NSU ermittelt.

Friedrich hält Zukunft des Militärischen Abschirmdienstes offen

Die Ermittlungspannen sorgten am Wochenende für Streit in der schwarz-gelben Koalition. Während Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sich für eine Abschaffung des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) einsetzte, verbat sich Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) eine Einmischung von "nicht zuständigen" Kabinettskolleginnen. FDP-Chef Philipp Rösler sprang seiner Parteifreundin bei.

In der Debatte hat Bundesinnenminister Friedrich unterdessen keine Garantie für den Fortbestand des MAD in der jetzigen Form abgegeben. "Ich halte es für wichtig, dass wir selbstverständlich wissen, was in unseren Streitkräften vor sich geht. Dieses Ziel ist das Entscheidende und nicht die Frage, wie das Ganze organisiert ist", sagte Friedrich der Leipziger Volkszeitung.

© Süddeutsche.de/afp/dpa/dapd/fran/mahu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: