Neonazi als Informant:Im Bett mit Thomas S.

Neonazi Thomas S. besorgte Sprengstoff für die Zwickauer Terrorzelle und hatte ein Verhältnis mit der mutmaßlichen Terroristin Beate Zschäpe. Das Berliner Kriminalamt konnte ihn später als V-Mann gewinnen - wie ehrlich er bei den Aussagen war, ist äußerst fragwürdig.

John Goetz und Tanjev Schultz

Eines Tages standen sie einfach vor seiner Tür. Der Neonazi Thomas S. wohnte in Chemnitz, als Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bei ihrem braunen Kameraden klingelten und um einen "Pennplatz" baten. So hat er es jedenfalls vor Kurzem den Ermittlern erzählt. Thomas S. kümmerte sich um die drei aus Jena und quartierte sie bei einem Freund ein, zu Beginn des Jahres 1998 war das. Das Trio blieb ein paar Monate in Chemnitz, bis es auf seiner Flucht vor der Polizei nach Zwickau weiterzog.

Mutmasslicher Terroristen-Helfer soll V-Mann der Polizei gewesen sein

Nicht nur das Berliner Kriminalamt suchte die Zusammenarbeit mit dem mutmaßlichen NSU-Helfer.

(Foto: dapd)

Mittlerweile kennt man das Trio als Zwickauer Zelle und als Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Thomas S. wird beschuldigt, die drei unterstützt zu haben. Auf ihrem Weg in den Untergrund hatte das Trio mehrere Helfer, S. ist ein besonderer: Er hatte einmal, wie er es selbst nennt, ein "Techtelmechtel" mit Beate Zschäpe. Und wie sich jetzt herausstellt, hatte er lange Zeit auch ein Techtelmechtel mit der Polizei.

Die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses im Bundestag staunten, als sie erfuhren, dass S. jahrelang dem Landeskriminalamt (LKA) in Berlin als "Vertrauensperson" gedient hat. Zwischen 2000 und 2011 lieferte er der Polizei Informationen, darunter auch angebliche Hinweise auf das flüchtige Trio. Von dessen Taten - der NSU wird für zehn Morde verantwortlich gemacht - will er aber bis zum Auffliegen der Zelle nichts gewusst haben. Als das Trio 1998 auf der Flucht war, hatte die Mordserie des NSU noch nicht begonnen.

Angeblich hatte Thomas S. später keinen Kontakt mehr zu den dreien. Er behauptet, das Trio habe sich von ihm fernhalten wollen in der Annahme, die Polizei werde ihre Suche sicher bei ihm beginnen. Andere aus dem NSU-Umfeld sagen dagegen, Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt seien "enttäuscht" von Thomas S. gewesen. Sie hätten sich mehr Hilfe erhofft.

Informant war "Schlüsselperson" in der rechten Szene

Die Rolle von S. wird durch seine spätere Tätigkeit als V-Mann der Polizei noch undurchsichtiger. Im Jahr 2002 soll er dem LKA einen Tipp gegeben haben, der die Fahnder zu dem Trio führen sollte. Der Hinweis beruhte jedoch nur auf Hörensagen, und vielleicht wollte Thomas S. die Polizei auch nur an der Nase herumführen oder den Anschein erwecken, Informationen zu liefern. Noch heute bezweifeln Ermittler, dass sich S. je von der Neonazi-Szene gelöst hat. Andere verweisen darauf, dass er sich seit Jahren nichts mehr zuschulden kommen ließ.

Als Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in den Neunzigerjahren Thomas S. kennenlernten, war der heute 44-Jährige noch eine "große Nummer" bei den Neonazis in Sachsen. So haben es nicht nur andere Beschuldigte erzählt. Ermittler sprechen von ihm als einer "Schlüsselperson der rechtsextremen Szene". S. gehörte zur gewaltbereiten "Blood & Honour"-Truppe und zu einer Gruppe, die sich "88er" nannte. Die Zahl steht für "Heil Hitler". Bei Rechtsrock-Konzerten lernte S. das Trio kennen. Zschäpe sei eigentlich immer mit den beiden Uwes zusammen gewesen, hat S. berichtet: "Ohne die Uwes war mit ihr nichts los."

Wegen einer Massenschlägerei saß Thomas S. Mitte der Neunzigerjahre im Gefängnis, dort soll er regelmäßig Post von Mundlos bekommen haben, im Namen des Trios, unterschrieben mit den Worten: "Deine drei Jenaer". Die drei haben ihn auch besucht. Als er freikam, soll er die Affäre mit Zschäpe begonnen haben, auf einer Party habe es "gefunkt", ein paar Monate in den Jahren 1996 und 1997 soll die Liebschaft gedauert haben.

Unkoordinierte Arbeit der Behörden

Etwa in dieser Zeit besorgte Thomas S., wie er selbst bereits gestanden hat, dem Trio auf Wunsch von Mundlos gut ein Kilogramm Sprengstoff; S. will nicht genau gewusst haben, wofür. Er war auch dabei, als Mundlos und Böhnhardt in braunen Hemden und Koppel in die Gedenkstätte Buchenwald einmarschierten. Die Gruppe bekam Hausverbot.

Immer wieder geriet Thomas S. damals in den Fokus der Polizei und des Verfassungsschutzes in Sachsen und Thüringen. Offenbar haben vor dem Berliner LKA schon andere Behörden versucht, Thomas S. zur Kooperation zu bewegen. Aus geheimen Akten geht hervor, dass der Staatsschutz in Brandenburg Ende August 1997 Thomas S. gebeten hat, ihn über Skin-Konzerte zu unterrichten. S. habe sich darüber "amüsiert". S. hat ausgesagt, dass 2003 "oder so" noch einmal zwei LKA-Beamte aus Thüringen und Sachsen zu ihm gekommen seien und nach dem Trio gefragt hätten. Er habe aber nichts gesagt. In dieser Zeit war er jedoch auch schon mit der Berliner Polizei im Geschäft.

An Thomas S. zeigt sich exemplarisch, wie die Behörden der verschiedenen Bundesländer weitgehend unkoordiniert gearbeitet haben. Und wie sie zwar lange Zeit dicht - vielleicht sogar zu dicht - dran waren an den Freunden und Unterstützern des Trios, es ihnen aber nicht gelungen ist, die drei zu finden.

Nach dem Abtauchen des Trios beteiligte sich Thomas S. am Vertrieb von CDs der Rechtsrock-Band Landser. Die Band wurde später als kriminelle Vereinigung verboten. Thomas S. packte damals vor den Ermittlern aus und machte sich so bei seinen braunen Kameraden unbeliebt. Sie sollen ihm eine ordentliche Abreibung verpasst haben. Vielleicht war das der Moment, an dem Thomas S. entschied, sich auf die Staatsgewalt einzulassen und ihren Schutz zu suchen. Im Landser-Prozess jedenfalls zeigte er sich kooperativ und kam mit einer Bewährungsstrafe davon.

Informanten trieben ihr eigenes Spiel mit den Behörden

In dem Prozess belastete S. auch Jan W., einen ehemaligen Kompagnon. Im Schutt des von Zschäpe nach dem Auffliegen des NSU in Brand gesetzten Hauses in Zwickau fanden die Ermittler dann seltsamerweise eine Vernehmungsakte zu Jan W. Auch er ist ein mutmaßlicher Unterstützer des Trios gewesen.

Unklar ist bisher, was genau Thomas S. als Spitzel der Berliner Polizei über das Trio und sein Umfeld erzählt hat - und wie ehrlich er dabei war. Im November 1999 berichtete ein anderer V-Mann - in diesem Fall einer des Verfassungsschutzes in Thüringen -, S. habe eine Spende für das untergetauchte Trio abgelehnt, weil die drei mittlerweile kein Geld mehr benötigen würden. Der NSU verübte, wie man heute weiß, etliche Banküberfälle, um sich zu finanzieren. Würde die Aussage der Quelle stimmen, könnte S. noch 1999 direkten Kontakt zum Trio gehabt oder zumindest von den Raubüberfällen gehört haben. Thomas S. hat jedoch in Vernehmungen gesagt, die Information von 1999 sei nicht richtig. Wenn er die Wahrheit sagt, würde also der andere V-Mann gelogen haben: So geht es zu in der Schattenwelt der Geheimdienste und des Staatsschutzes.

Die V-Mann-Enthüllung nährt nun den Verdacht, der Staat könnte selbst verwickelt sein in die Verbrechen des NSU. Bisher zeigt der Fall allerdings nur, dass all die Spitzel nicht geholfen haben und sie womöglich ihr eigenes, böses Spiel trieben. Das ist schlimm genug.

Auch für Thomas S. gilt die Unschuldsvermutung, und bisher fehlen klare Belege dafür, dass er die Terrorzelle nach seiner Hilfe als Wohnungsbeschaffer weiterhin gedeckt und unterstützt hat. Vielleicht war Thomas S. genauso überrascht wie die Öffentlichkeit, als sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem missglückten Banküberfall selbst erschossen haben und so die NSU-Zelle aufgeflogen ist. Das war ausgerechnet am 4. November 2011. Thomas S. hatte Geburtstag.

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