Atomausstieg:Die Strahlkraft alter Ideen

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CDU und FDP wollen der Kernkraft noch eine Chance geben - sie wissen nur nicht wie. Unterdessen wird klar, dass Kraftwerksbetreiber wegen der Bundestagswahl auf Zeit spielten.

M. Bauchmüller und D. Brössler

Der Glückwunsch kam von unerwarteter Stelle. Er gratuliere den Grünen zum "besten Ergebnis seit Bestehen", schrieb RWE-Chef Jürgen Großmann in Briefen an die beiden Spitzenkandidaten Renate Künast und Jürgen Trittin nach der Bundestagswahl. Man solle sich doch wieder mal zu einem "High-Level-Gespräch" zusammensetzen. Dann solle ein Thema sein, "wie wir bürgerkriegsähnliche Zuständfe bei der Kernenergie in Zukunft vermeiden können".

Man habe die Drohung mit solchen Zuständen aus dem Wahlkampf der Grünen herausgehört, fügte ein Konzernspecher an. Der Brief aus Essen jedenfalls zeugt von Nervosität. Dabei ist längst nicht klar, wohin die Reise geht mit den deutschen Kernkraftwerken. Zwar sind sich Union und FDP einig, die "Übergangstechnologie" Atom noch eine Weile länger zu betreiben, länger jedenfalls als die bislang festgelegten 32 Jahre Betriebszeit je Reaktor. Aber jenseits dessen ist so ziemlich alles unklar. Gibt es einen Zuschlag auf die 30 Jahre, etwa acht oder zwölf Jahre mehr? Oder werden die Laufzeiten völlig geöffnet, wie es die Union gerne hätte?

Sollten sich die Koalitionäre für letzteres entscheiden, könnte nur noch die Sicherheit der Reaktoren über deren Laufzeit bestimmen. Wann aber ist ein Kernkraftwerk sicher? Muss es etwa einem Terrorangriff standhalten? Dann müssten auf einen Schlag mindestens fünf ältere Reaktoren vom Netz, denn diese Sicherheit versprechen allenfalls die jüngeren Anlagen.

"Für mich bedeutet Brückentechnologie, dass eine Brücke einen Anfang und ein Ende hat", sagt der FDP-Umweltpolitiker Horst Meierhofer. "Und dieses Ende hätte ich gerne konkretisiert." Doch die Verhandlungen zwischen Union und FDP stocken. "Null Fortschritt" konstatierten Verhandlungsteilnehmer ernüchtert.

Die Kernkraft-Betreiber haben keine Zeit mehr

Nicht leichter wird die Frage der Gegenleistung. Schließlich sind die 17 deutschen Kernkraftwerke zum großen Teil schon abgeschrieben. Und die Betreiber selbst hatten einst in den Atomausstieg eingewilligt, mit Rot-Grün schlossen sie sogar einen Vertrag darüber. Abgeschriebene Kernkraftwerke länger laufen lassen, das bringt Zusatzgewinne; und die sollen die Konzerne abgeben, zumindest teilweise. "Die Gelder gäben uns eine Chance, etwa den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben", sagt Baden-Württembergs Umweltministerin Tanja Gönner. Doch über Art und Umfang der Atomabgabe will derzeit niemand spekulieren.

Zudem wachen in der Union die Sympathien, statt einer Atom-Novelle erst einmal ein umfassendes Energiekonzept zu erarbeiten. Das brächte Zeit, schließlich könnte der Streit um die Details genau in den nordrhein-westfälischen Wahlkampf hineinfallen. Doch so viel Zeit haben die Betreiber der ältesten deutschen Kraftwerke nicht mehr. Die vereinbarte Lebensdauer zweier deutscher AKWs könnte im kommenden Jahr ablaufen. Insgesamt fünf Reaktoren müssten in den nächsten zwei Jahren daran glauben, sollte sich am Atomausstieg einstweilen nichts ändern.

Zeitgewinn ist die oberste Maxime der Kraftwerksbetreiber. Wie sie sich über den Wahltermin retteten, zeigen besonders eindrucksvoll Dokumente aus dem Karlsruher EnBW-Konzern. Schon 2007 verhängte er über sein Kernkraftwerk Neckarwestheim 1 (1976) den "optimierten Betrieb". In internen Unterlagen, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, ist die Rede vom "Einsenken des Leistungsbetriebs an Wochenenden und nachts".

"EnBW hat die Öffentlichkeit getäuscht"

Dies, so legten die Konzernstrategen dar, könne zwar den Verdacht eines "verschleppten Betriebs zur Erreichung der nächsten Wahlperiode" erwecken, lasse sich aber auch wirtschaftlich begründen. Führende Politiker von Union und FDP sollten in den Plan eingeweiht werden. Aber: "Von einer proaktiven Unterrichtung der Presse ist abzuraten." Umweltschützer sind empört. "EnBW hat die Öffentlichkeit über Jahre hinweg getäuscht, um ihren Schrottmeiler über die Bundestagswahl zu mogeln", kritisiert Tobias Münchmeyer von Greenpeace. EnBW wies diese Darstellung zurück. Die geringere Produktion sei seit längerem bekannt und ausschließlich betriebswirtschaftlichen Gründen geschuldet, sagte ein Konzernsprecher.

Doch auch der EnBW-Spitze schwant, dass Schwarz-Gelb noch lange nicht das Überleben von Neckarwestheim bedeutet. Denn schärfere Sicherheitsauflagen, so räumte EnBW-Chef Hans-Peter Villis neulich ein, könnten den Weiterbetrieb älterer Meiler unrentabel machen. In diesem Fall müssten die Grünen fürchten, bei ihrem Kernthema in die Defensive zu geraten. Die Abschaltung alter Meiler ist schließlich eine alte Forderung der Partei.

Keinen Zweifel lassen die Grünen daran, dass sie den Konflikt mit der Atomindustrie temparamentvoll austragen wollen. "Die Atomkraftwerksbetreiber haben den mühsam errungenen Atomkonsens einseitig aufgekündigt", klagt die grüne Fraktionschefin Künast. " Den heraufziehenden Konflikt schaffen Herr Großmann und Co. - nicht die Menschen, die von ihrem Recht auf Meinungsfreiheit, ihrem Demonstrationsrecht und dem schlichten Recht, den Stromanbieter zu wechseln, Gebrauch machen."

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