Angela Merkel in der EU:Vom Gipfelengel zum Racheengel

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Hat mehr mit Alexis Tsipras gemein, als man auf den ersten Blick meinen könnte: Bundeskanzlerin Anegla Merkel. (Foto: Getty Images)

Man kann der Kanzlerin nicht vorwerfen, zu wenig für Europa zu tun. Aber Merkels Politik gründet sich vor allem auf wirtschaftliche Argumente.

Ein Kommentar von Nico Fried

Vor zehn Jahren war es noch relativ einfach, ein guter Europäer zu sein. Und günstig: Im Dezember 2005, Angela Merkel war ganz neu im Amt, verständigten sich die Mitgliedsstaaten der EU auf die Finanzplanung für die folgenden Jahre. Den entscheidenden Durchbruch bewirkte damals die Kanzlerin: Sie überließ Polen, das bis zuletzt die Verhandlungen blockiert hatte, 100 Millionen Euro, die eigentlich für die neuen Bundesländer vorgesehen waren. Kazimierz Marcinkiewicz, der damalige polnische Ministerpräsident, lobte Merkel prompt für eine "sehr schöne und wunderbare Geste der Solidarität". Die Kanzlerin sei sein persönlicher "Gipfelengel" gewesen.

Zehn Jahre später hat Merkel vergangenes Wochenende auf dem Krisentreffen der Euro-Zone in Brüssel an einem Kompromiss maßgeblich mitgewirkt, mit dem Griechenland 86 Milliarden Euro in Aussicht gestellt worden sind. Das sind 85 Milliarden und 900 Millionen Euro mehr als damals das Geschenk für Polen. Am Freitag hat der Bundestag dafür den Weg freigemacht.

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Ja, es handelt sich um Kredite, die an harte Bedingungen geknüpft sind. Aber es sind auch nicht die ersten Milliarden, die nach Griechenland fließen. Und ihre Rückzahlung ist eher ungewiss. Allein die Summen, um die es heute geht, zeigen, wie sehr sich die Europäische Union verändert hat. Trotzdem gilt die Kanzlerin vielen nun als Rädelsführerin einer Operation gegen die aufsässige Linke in Athen, mit dem Ziel, den Ministerpräsidenten zu erpressen, seine Regierung zu entmachten und ein ganzes Volk zu demütigen.

Lässt es Angela Merkel - zum Racheengel mutiert - an traditioneller europäischer Solidarität fehlen? Es gehört schon eine gehörige Portion Sentimentalität, um nicht zu sagen: Gefühlsduselei dazu, wenn man das Europa von heute mit den Mitteln von gestern gepflegt sehen will. 2005, das war noch einmal die Methode Helmut Kohl in einem Europa, das sich kurz zuvor um zehn Staaten erweitert hatte. Ein Europa, das mit der Einbindung des früheren Ostblocks die Nachkriegsgeschichte zu einem guten Ende brachte. Für Deutschland galt da stets: Der Kompromiss ist wichtiger als die Kosten. So hatte sich das Land über Jahrzehnte zurecht verhalten, auch aus Dankbarkeit dafür, überhaupt wieder in einen Kreis zivilisierter Staaten aufgenommen worden zu sein und später auch noch die Wiedervereinigung geschenkt zu bekommen.

Dieses Friedensprojekt Europa ist Merkel nicht fremd. Jüngst hat sie auf dem Balkan selbst gesehen, welche Anziehungskraft die Union noch immer für Europäer hat, die nicht dazugehören. Und sie hat, ganz nebenbei, erlebt, welche Hoffnungen dabei Albaner, Serben und Bosnier in sie als Person setzen. Auch der Konflikt um die Ukraine hatte seinen Anfang in der Attraktivität Europas - und lehrt seit mehr als einem Jahr zugleich, dass der Frieden bis heute harte Arbeit geblieben ist. Man kann Merkel schwerlich vorwerfen, dass sie für dieses europäische Gut zu wenig tut.

Merkel und Tsipras haben mehr gemein, als es auf den ersten Blick scheint

Richtig ist aber auch, dass die Kanzlerin für die bestehende EU und deren Zukunft eine Vorstellung hat, die vorrangig ökonomischen Erfordernissen folgt. Das Europa der Kanzlerin ist kein Europa mehr, das sich im Blick zurück auf schlimme Zeiten vor allem um sich selbst dreht. Im Gegenteil: Ihr wichtigstes Argument für Europa ist die gebündelte Kraft einer Gemeinschaft von 28 Staaten und 500 Millionen Menschen in einer globalisierten Welt, in der wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit mit über Wohl und Wehe entscheidet. Man kann das geradezu traditionalistisch nennen, weil die EU einst als Wirtschaftsgemeinschaft gegründet wurde. Aber natürlich steckt darin auch eine Bedrohung, weil das Primat der Ökonomie notwendigerweise vieles von dem gefährdet, was die Einzigartigkeit und den Zusammenhalt Europas über Jahrzehnte ausgemacht hat. Es ist auch dieser Zwiespalt, der die Griechenland-Krise zum Konflikt eskalierte.

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Dabei haben Angela Merkel und Alexis Tsipras mehr gemein, als es auf den ersten Blick erscheint: Beide müssen auch für Fehler ihrer Vorgänger büßen. Merkel badet aus, dass Helmut Kohl und Gerhard Schröder mit der Einführung des Euro das politisch Visionäre lebten und sich ums Kleingedruckte zu wenig scherten. Getreu der Europa-Hymne sollten alle Menschen erst mal Brüder werden, Rechnung kommt später. Gab es für diese Nonchalance zumindest noch eine historische Legitimation, so leidet Tsipras vor allem daran, dass die Leichtigkeit des Seins, die mit dem Euro in Griechenland Einzug hielt, seinen Vorgängern zu lange gestattete, auf die Modernisierung des Staatswesens wie der Wirtschaft zu verzichten.

Ein großes Manko Merkels besteht darin, dass sie in der Euro-Krise von anderen Regierungen eine Reformbereitschaft einfordert, die sie selbst nie unter Beweis stellen musste. Als Merkel Kanzlerin wurde, hatte Deutschland dank Schröder jenen Umbau schon hinter sich, den sie nun schon seit Jahren von anderen Staaten erwartet. Mehr noch: Ihre erste wirtschaftliche Herausforderung, die Finanzkrise, musste die Kanzlerin zwar mit Geschick, aber nicht gerade mit sozialer Härte lösen. Statt dessen durfte sie Wohltaten gewähren. Das reichte von Garantien für Sparer, über Schutzschirme für Banken bis zu Kurzarbeitergeld, Abwrackprämie und Steuersenkungen. Beinahe hätte sie sogar Opel mit Staatsknete gerettet.

Genau das Gegenteil erwartet die Kanzlerin nun aber von den Krisenstaaten. Vielleicht liegt es auch am Bemühen, diesen Widerspruch vergessen zu machen, dass die Methode Merkel so streng an ökonomischer Theorie ausgerichtet ist. So aber reduziert die Kanzlerin auch die Politik auf eine mathematische Formel: Vertretbar ist eine Lösung, wenn die Vorteile die Nachteile überwiegen. So hat sie es selbst nach dem Gipfel-Marathon von Brüssel gesagt. Sie unterstellt damit eine objektive Messbarkeit selbst da, wo es sich unbestreitbar um einen durch und durch politischen Kompromiss gehandelt hat, dessen ökonomische Folgen gerade nicht wirklich absehbar sind.

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