Afghanistan-Einsatz:Obama erwägt vollständigen Abzug aller US-Soldaten

Lesezeit: 2 min

Der Frust wächst: Laut US-Medien ist US-Präsident Obama so verärgert über Hamid Karsai, dass er überlegt, die US-Truppen 2014 komplett aus Afghanistan abzuziehen. Die Verhandlungen über ein Stationierungsabkommen nach dem Ende des Nato-Einsatzes stocken - was auch am Rosenkrieg der Staatschefs liegt.

Das Verhältnis zwischen US-Präsident Barack Obama und Afghanistans Präsident Hamid Karsai gilt seit langem als zerrüttet. Im Lauf der Jahre hat sich das einst herzliche Verhältnis der beiden Staatschefs deutlich abgekühlt und ist nun an einem Tiefpunkt angekommen. Der jüngste Nadelstich Washingtons gegen Kabul: Das Weiße Haus erwägt offenbar, die US-Soldaten 2014 komplett aus Afghanistan abzuziehen.

Die Verstimmung zwischen Obama und Karsai schwelt schon seit einiger Zeit. Der Afghane fühlt sich vom Westen respektlos behandelt und fordert von den USA eine Beziehung "auf Augenhöhe". Sein Land soll nicht wie ein Gegenstand, sondern wie ein "Verbündeter" behandelt werden, sagte Karsai im Frühjahr in einem SZ-Interview. Obama wiederum hält seinen einst wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus für unzuverlässig - dies ging etwa aus den von Wikileaks enthüllten US-Depeschen hervor. Das Umfeld von Karsai sei korrupt und auch die Millionen-Beträge, die der Geheimdienst CIA seit Jahren im afghanischen Präsidialamt abgibt ( mehr hier), haben die Kooperation nicht verbessert.

Washington versucht dennoch immer wieder, das gestörte persönliche Verhältnis provisorisch zu kitten. Schließlich muss dies nicht mehr lange halten: Karsai kann bei der Präsidentenwahl im kommenden Jahr nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Doch bis dahin muss man miteinander auskommen.

Den diplomatischen Schmusekurs auf Zeit beendeten die Amerikaner im Juni ungewollt, als sie direkte Friedensgespräche mit den Taliban in deren neuem Verbindungsbüro in Doha ankündigten. Karsai fühlte sich hintergangen und reagierte brüskiert: Er lehnte nicht nur seine Teilnahme an den Verhandlungen ab, sondern legte auch die Gespräche über ein Stationierungsabkommen auf Eis, das den Status der nach 2014 in seinem Land verbleibenden US-Soldaten regeln soll.

Verheerende Videokonferenz

Am 27. Juni unternahmen die beiden Präsidenten bei einer Videokonferenz den Versuch, die Wogen zu glätten. Doch dies misslang gründlich, wie die New York Times unter Berufung auf US-Offizielle berichtete. Karsai beschuldigte demnach die USA, einen Separatfrieden mit den Taliban anzustreben.

Dies habe im Weißen Haus zu ernsthaften Überlegungen geführt, die "Zero-Option"-Karte zu spielen, also dem störrischen Partner am Hindukusch mit dem völligen Truppenabzug zu drohen. In diesem Fall, so berichtet die Zeitung unter Berufung auf ungenannte amerikanische und europäische Quellen, würde die geplante Nato-Mission nach 2014 unwahrscheinlich. Bei einem vollständigen US-Abzug würde nach Darstellung der Zeitung auch Deutschland - das bis zu 800 Soldaten nach 2014 in Aussicht gestellt hat - alle Truppen zurückholen.

Derzeit haben die USA noch 63.000 Soldaten im Land, nach ursprünglichen Abzugs-Planungen sollten Ende 2014 noch zwischen 6000 und 10.000 im Land bleiben - hauptsächlich Ausbilder, aber auch Spezialkräfte für die Terrorismusbekämpfung und den Drohneneinsatz. Diese Resttruppe wünscht sich das afghanische Volk dringend als Sicherheitsgarantie. Doch der Machtpoker zwischen Karsai und Obama scheint darauf wenig Rücksicht zu nehmen.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: