Affäre um G36 bei der Bundeswehr:"Hat das Verteidigungsministerium uns die Unwahrheit gesagt?"

Heckler & Koch

Mit der Treffsicherheit des G36 steht es nicht immer zum Besten - mit der Aufklärung der ganzen Misere überhaupt nicht, moniert die Opposition.

(Foto: Bernd Weissbrod/dpa)
  • Der Militärische Abschirmdienst ermittelte in der Affäre um das Sturmgewehr G36 womöglich doch, um herauszufinden, wie vertrauliche Informationen an Journalisten weitergegeben wurden.
  • Das legt ein Dokument nahe, das der SZ vorliegt. Darin berichtet ein Beamter, dass der MAD ermittelt habe, wer einen Journalisten über eine Besprechung zum Treffverhalten des G36 informiert habe.
  • Die Aussagen des Beamten stehen in Widerspruch zu bisherigen Angaben des Verteidigungsministeriums.

Von Christoph Hickmann, Berlin

In der Affäre um das Sturmgewehr G36 gibt es neue Hinweise, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD) entgegen bisherigen Darstellungen tatsächlich eingesetzt worden sein könnte, um die Weitergabe vertraulicher Informationen an Journalisten zu untersuchen. Bereits Ende des vergangenen Jahres berichtete ein Beamter der Wehrtechnischen Dienststelle 91 (WTD) in einer internen Anhörung über eine Besprechung beim damaligen Logistikamt der Bundeswehr, die für Ende 2011 angesetzt gewesen sei und bei der es um Ergebnisse zum Treffverhalten des Gewehrs gehen sollte. Zu dieser Besprechung habe sich "kurioserweise ein Journalist" angekündigt, der aber nicht zugelassen worden sei, sagte der Beamte laut Niederschrift der Anhörung, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

"In einer späteren Untersuchung durch den MAD" sei dann ermittelt worden, "durch wen" der Journalist "die Information erhalten hat", so der Beamte laut Dokument. "In der Folge wurde vereinbart, Informationen nur noch über private E-Mail-Postfächer auszutauschen. Solange diese Vereinbarung eingehalten wurde, sind auch keine Informationen an die Presse gelangt." Zu der Anhörung des Beamten kam es, weil 2014 offenbar interne Kritiker des G36 systematisch zur Rede gestellt wurden.

"Falsche einzelne Wahrnehmung"

Die Aussagen des Beamten stehen in Widerspruch zu bisherigen Angaben des Verteidigungsministeriums. So hatte der Parlamentarische Staatssekretär Markus Grübel (CDU) in einer Antwort auf eine parlamentarische Frage erst kürzlich geschrieben: "Der MAD hat im gesamten Kontext der G-36-Thematik ohne zeitliche Eingrenzung keine eigenen Ermittlungen oder Untersuchungen durchgeführt; er war an Ermittlungen oder Untersuchungen anderer nicht beteiligt; er war hierzu nicht beauftragt worden."

Hintergrund der parlamentarischen Anfrage war das Bekanntwerden der Tatsache, dass der Waffenhersteller Heckler & Koch Ende 2013 wegen Enthüllungen über das G36 den MAD einschalten wollte und für dieses Ansinnen Unterstützung aus der Rüstungsabteilung des Ministeriums bekam. Der MAD-Präsident lehnte ein Vorgehen des Dienstes damals ab.

Das Ministerium blieb trotz der neuen Hinweise bei seiner Darstellung, wonach der MAD nicht tätig geworden sei: Man habe bei dem Dienst angefragt und ausdrücklich versichert bekommen, dass es keine Befassung im Umfeld des G36 gegeben habe. Bei der in dem Dokument festgehaltenen Aussage des Beamten handele es sich "offensichtlich um eine falsche einzelne Wahrnehmung", sagte ein Sprecher.

Grüne wollen, dass Linke "endlich aufwacht"

Vor diesem Hintergrund forderten die Grünen erneut einen Untersuchungsausschuss. "Hat das Verteidigungsministerium uns die Unwahrheit gesagt oder nicht? Schon wieder kommen wir an einen Punkt, wo Aussage gegen Aussage steht und offensichtlich wird, dass der Verteidigungsausschuss diese Vorgänge nicht aufklären kann", sagte die Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger. "Nur ein Untersuchungsausschuss kann hier die Wahrheit ans Tageslicht befördern." Sie frage sich, was noch passieren müsse, damit die Linke, die sich kürzlich gegen einen solchen Ausschuss entschieden hatte, "endlich aufwacht". Der Linken-Abgeordnete Jan van Aken sagte mit Bezug auf die Aussage des WTD-Beamten, unter Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) sei "gelogen worden, und das müssen wir jetzt aufklären".

Vorwürfe erhob die Opposition zudem wegen einer weiteren neuen Erkenntnis zu den Vorgängen rund um das G36. So gab es für ein zentrales Gutachten zum G36 offensichtlich nie einen schriftlichen Untersuchungsauftrag. Wie das Ministerium dem Verteidigungsausschuss mitteilte, wurde das Fraunhofer Ernst Mach Institut 2013 lediglich "nach mündlicher Absprache" zwischen dem damaligen Institutsleiter und dem damaligen Leiter der Rüstungsabteilung mit einer Untersuchung des umstrittenen Gewehrs beauftragt. Es gebe "keinerlei schriftliche Vorgänge in Form einer Beauftragung", heißt es in einem Schreiben des Ministeriums, das den derzeitigen Kenntnisstand wiedergibt.

Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass die Munition der Grund für die Präzisionsprobleme sei. Auf dieses Ergebnis hin wurden dann intern die Kritiker zur Rede gestellt - letztlich kam es so zur Aussage des Beamten über den MAD. "Es macht mich extrem misstrauisch, dass zufälligerweise gerade der Auftrag für die Untersuchung, die als einzige das G36 von allen Fehlern freispricht, wahrscheinlich nur auf Zuruf vergeben wurde", sagte Brugger. Van Aken sagte: "Da wurde heimlich und ohne Spuren zu hinterlassen ein Gefälligkeitsgutachten bestellt und geliefert."

Ein Schiff wird kommen

Außer einem neuen Flugabwehrsystem auf der Basis des Meads-Projekts hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ein weiteres großes Rüstungsvorhaben in Angriff genommen. So soll die Bundeswehr ein sogenanntes Mehrzweckkampfschiff erhalten. Es soll mehrere Funktionen gleichzeitig erfüllen, die derzeit von verschiedenen Schiffstypen abgedeckt werden - unter anderem die Bekämpfung anderer Schiffe, von U-Booten und Flugobjekten. Statt etwa auf eine deutsche Entwicklung eines solchen Schiffs zu setzen, lässt das Ministerium den Auftrag europaweit ausschreiben. Im Ministerium heißt es, man hoffe durch diese Ausschreibung auf "erhöhten Wettbewerb und dadurch ein besseres Ergebnis für uns". Nach Angaben aus dem Ministerium wären derzeit vier Schiffe finanzierbar, wobei sechs Schiffe "bedarfsgerecht" wären. Das Vergabeverfahren werde etwa zwei Jahre dauern, mit dem ersten Schiff rechne man etwa für 2023. Der CDU-Verteidigungsexperte Henning Otte begrüßte die Entscheidung. Durch die europaweite Ausschreibung werde "der Auswahlprozess für die Bundeswehr und das Parlament um ein Vielfaches transparenter". Er begrüßte auch die Meads-Entscheidung, über welche die SZ bereits berichtet hatte: Das Flugabwehrsystem, das von 2025 an eingesetzt werden soll, diene "der Landesverteidigung und kann unsere Soldaten im Einsatz schützen".

Kritik kam hingegen von der Opposition. Die Kernfrage sei, "ob wir überhaupt für viele Milliarden Euro ein neues Luftverteidigungssystem beschaffen müssen, das neue zusätzliche Forderungen und Fähigkeiten erfüllen soll", sagte der Grünen-Haushaltspolitiker Tobias Lindner. "Hat dies angesichts der Haushaltslage wirklich die größte Priorität? Ich habe an dieser Entscheidung deutliche Zweifel." Wenn die Ministerin "dieses milliardenschwere Abenteuer eingehen" wolle, sei "ihr zu wünschen, dass sie ihre Hausaufgaben gemacht hat". Von der Leyen will mit einer Reihe von Kontrollmechanismen verhindern, dass sich im Fall Meads ein Rüstungsdesaster wie mit der Drohne Euro Hawk wiederholt. Christoph Hickmann

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