Abschiebungen:Absurdistan Afghanistan

Landtag beschäftigt sich mit Abschiebungen und Gebietsreform

Ein Abschiebeflug am Baden-Airport in Rheinmünster im Jahr 2014.

(Foto: dpa)
  • In den nächsten Tagen dürften wieder Sammelabschiebungen nach Afghanistan stattfinden.
  • Die Bundesregierung hatte nach einem Anschlag in Kabul Ende Mai erklärt, die Sicherheitslage in Afghanistan neu bewerten zu wollen.
  • Doch es gehört zu Kalkül von Bund und Ländern, Abschreckung zu erzeugen.

Von Stefan Braun, Berlin

Der Zorn ist groß. Pro Asyl, aber auch Grüne und Linke sind entsetzt angesichts der Perspektive, dass bald wieder Menschen nach Afghanistan abgeschoben werden sollen. Entsprechende Berichte sind zwar nicht bestätigt worden; das würden die zuständigen Bundes- und Landesbehörden vor dem Abflug kaum machen. Aber die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass in den nächsten Tagen, vielleicht auch in der nächsten Woche wieder Flieger Richtung Afghanistan aufsteigen. In Leipzig oder Stuttgart, München oder Berlin.

Daran dürfte auch der jüngste Anschlag vom Donnerstag wenig ändern; wieder sind Dutzende Menschen getötet wurden. Dieses Mal hat es in der Provinz Helmand vor allem Polizisten und Soldaten getroffen. Die Provinz gilt schon lange als Hochburg der Taliban; es ist ein Anschlag, der die Moral ausgerechnet unter den besonders wichtigen Sicherheitsbehörden weiter untergraben dürfte.

Nicht wenige in Deutschland fragen nun, wie es sein kann, unter diesen Umständen schon wieder Abschiebungen zu planen. Hatte die Bundesregierung nach dem Anschlag in Kabul Ende Mai, bei dem auch die deutsche Botschaft schwer beschädigt wurde, nicht einen vorläufigen Stopp ausgerufen? Hatte sie nicht eine Neubewertung der Sicherheitslage angekündigt? Die Antworten darauf sind einfach: Ja, sie hat, beides. Aber der vorläufige Stopp, der dem Auswärtigen Amt Zeit für eine Neubewertung geben soll, galt von Anfang an nicht für alle.

Als Bundesinnenminister Thomas de Maizière nach dem verheerenden Anschlag erklärte, es werde angesichts der fürs erste nicht arbeitsfähigen Botschaft "in den nächsten paar Tagen" keine Sammelrückführungen geben, bezog sich das offensichtlich wirklich nur auf die "nächsten paar Tage". Und als einen Tag später, am 1. Juni, Regierung und Ministerpräsidenten über die Frage Abschiebungen berieten, beschlossen alle, Union und SPD ebenso wie Bundesregierung und Bundesländer, die Aussetzung der Abschiebungen zu begrenzen. Sie sollte nicht für schwere Straftäter und sogenannte islamistische Gefährder gelten.

Und sie sollte auch bei jenen nicht greifen, die bei der Feststellung ihrer Identität bewusst jede Kooperation verweigern. Wie zu hören ist, war der Thüringer Regierungschef Bodo Ramelow offenbar der einzige, der das ablehnte. Was umgekehrt auch heißt: alle anderen sind bei dieser Entscheidung mit an Bord geblieben.

Das macht den Beschluss in der Sache keinen Deut besser. Es klärt nur die Verantwortlichkeiten. Und macht deutlich, wer sich ethisch fragen muss, ob man in so einer Situation wirklich zwischen Straffälligen und Nicht-straffälligen unterscheiden sollte. Ist es ein bisschen weniger problematisch, diese Menschen in eine gefährliche Umwelt zurückzuschicken? Offensichtlich denken das ziemlich viele, von de Maizière über die Ministerpräsidenten bis zum bayerischen Innenminister Joachim Herrmann. Ja, selbst Angela Merkel, die Flüchtlingskanzlerin des Jahres 2015, hat keinen Einspruch erhoben.

Afghanistan wird Wahlkampfthema

Letzteres ist besonders interessant, weil Merkel längst mitbekommen hat, wie sehr das gerade in flüchtlingsfreundlichen Kreisen und Organisationen für Ärger und Distanz gesorgt hat. Merkel und die Bundesregierung wissen, wie sehr die Abschiebungen ein Klima der Angst ausgelöst haben. Offenkundig aber hat auch die Flüchtlingskanzlerin entschieden, an der Stelle Härte zu zeigen. Zum einen, um den Kritikern in den eigenen Reihen zu zeigen, dass sie hart sein kann; zum anderen aber, und das vor allem, um Abschreckung zu erreichen.

Die im Übrigen funktioniert auf zynische Weise nahezu perfekt. Bislang hat der Staat 2017 gerade mal knapp siebzig Leute wirklich abgeschoben, obwohl mehr als 14 000 ausreisepflichtig wären. Das heißt nicht, dass die Abschiebepraxis gar nicht so schlimm sein kann. Anders herum sollte man es lesen: Schon wenige Abschiebungen haben gereicht, um unter Flüchtlingen und ihren Helfern maximale Unsicherheit und Angst zu verbreiten.

Wer diese Stimmung kennt, ahnt, wie sehr das Thema zum Wahlkampfthema werden könnte. Zumal die Sache mit der Neubewertung der Sicherheitslage eine längere Geschichte werden könnte. Ursprünglich hatten das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium sie bis Ende Juli angekündigt. Und die Innenministerkonferenz erklärte vor wenigen Tagen, sie erwarte sie noch vor der Sommerpause.

In der Bundesregierung aber gibt es jetzt erste Politiker, die hinter vorgehaltener Hand andeuten, die Sache könnte womöglich bis nach der Bundestagswahl dauern. Der Grund: die eingegrenzte Abschiebung könnte für die SPD und ihr SPD-geführtes Außenministerium genau der richtige Kompromiss sein: Straftäter abschieben, andere Menschen schützen. Das klingt schon wie ein SPD-Plakat aus dem Wahlkampf.

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