Zwölf Stämme:Gericht billigt Entzug des Sorgerechts nach Prügeln

Klosterzimmern

40 Kinder hatte die Polizei aus den Sekten-Gemeinschaften in Klosterzimmern und in Wörnitz geholt und in Heimen untergebracht.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)
  • Angesichts des Risikos "einer systematischen und regelmäßigen körperlichen Züchtigung von Kindern" seien die deutschen Gerichte verpflichtet gewesen, die Kinder in Obhut zu nehmen, entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
  • 2013 gab es Berichte von Aussteigern der Sekte über "Gehirnwäsche und Prügel, um den Willen der Kinder zu brechen".
  • Daraufhin schritten die Jugendämter ein und ordneten die Unterbringung von etwa 40 Kindern in Pflegefamilien oder Heimen an.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat den Entzug des Sorgerechts für Mitglieder der für ihre brutalen Erziehungsmethoden berüchtigten Sekte "Zwölf Stämme" gebilligt. Die Straßburger Richter wiesen am Donnerstag die Beschwerden von vier Familien gegen Deutschland ab, deren Kinder in Pflegefamilien und Heimen untergebracht worden waren. Die Eltern hatten den deutschen Behörden einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Schutz des Familienlebens vorgeworfen.

Angesichts des Risikos "einer systematischen und regelmäßigen körperlichen Züchtigung von Kindern" seien die deutschen Gerichte verpflichtet gewesen, die Kinder in Obhut zu nehmen, heißt es in dem Urteil. Die deutsche Justiz habe damit eine "unmenschliche oder erniedrigende Behandlung" verhindern wollen, die laut der Europäischen Menschenrechtskonvention verboten sei.

Jahrelang hatte die Sekte die Behörden beschäftigt. Die Mitglieder wollten ihre Kinder nicht in öffentliche Schulen schicken, 2002 holte die Polizei die Kinder trotz massiven Widerstands der Eltern ab, um die Schulpflicht durchzusetzen. Schließlich wurde es der Sekte gestattet, selbst eine private Schule zu betreiben, in der dann weder Sexualkunde noch die Evolutionstheorie vorkamen.

2013 eskalierte die Situation nach Meldungen über Kindesmisshandlungen. Zehn Aussteiger berichteten von "Gehirnwäsche und Prügeln, um den Willen der Kinder zu brechen". Wieder rückte die Polizei an und nahm zahlreiche Kinder in Obhut. Das Jugendamt brachte sie in Heimen und bei Pflegefamilien unter.

Eine prügelnde Lehrerin der "Zwölf Stämme" wurde 2016 vom Landgericht Augsburg wegen gefährlicher Körperverletzung und Misshandlung von Schutzbefohlenen zu zwei Jahren Haft verurteilt. Laut ihrem Geständnis hatte die 56-Jährige ihre Schüler mit Ruten geschlagen. Ein Kind wurde bis zu achtmal am Tag misshandelt. Ein Junge bekam 30 Schläge, weil er stotterte oder falsch vorlas.

Die Sekte ist derweil nach Tschechien umgezogen - Prügelstrafen sind dort nicht gänzlich verboten. Die letzten Mitglieder verließen Bayern Anfang vergangenen Jahres. Bei den Behörden wurde befürchtet, dass die Sekte nun jeglicher Kontrolle entzogen ist.

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