USA: Selbstmordattentat:"Gewalt ist die einzige Antwort"

Lesezeit: 3 min

In Texas hat ein Mann aus Hass auf die Regierung sein Flugzeug in eine Steuerbehörde gesteuert. Im Internet formieren sich bereits die Sympathisanten.

Christian Wernicke

Er war der freundliche Nachbar, der sanft lächelnde Kumpel an der Bassgitarre. Der nette Kerl. Mit jenem Joe Stack, den sie bis Donnerstag kannten, hielten sie alle ein Schwätzchen, tranken sie gern eine Dose Bier.

Die Feuerwehr versucht, den Brand mitten in der texanischen Hauptstadt Austin unter Kontrolle zu bekommen. (Foto: Foto: AFP)

Nun, am Tag danach, sind sie ins Grübeln geraten: "Nie hat er einen im Stich gelassen, nie hatte er schlechte Laune", erinnert sich Ric Furley, der an der Seite des Computerexperten in Austin jahrelang in einer Band gerockt hat: "Aber jetzt müssen wir uns fragen: War das alles nur Fassade?"

Offenbar. Denn tief drinnen in ihm brodelte es schon lange. Seit dreißig Jahren, so hat es dieser Andrew Joe Stack III in seinem langen Abschiedsbrief beschrieben, fühlte sich der Kleinunternehmer ungerecht behandelt. Betrogen von allen - und vor allem vom Staat, von der verhassten Bundessteuerbehörde IRS, die ihn immer wieder um alles gebracht hat: "Ich schaue nicht länger zu, wie der große Bruder mein Aas bis auf die Knochen abnagt", fabuliert Sack gegen Ende seiner Abrechnung, "ich habe einfach die Schnauze voll."

Am Donnerstagmorgen um 9.12 Uhr hat Stack seine exakt 3200 letzten Worte ins Internet gestellt. Kaum verlässt er sein Haus, steht der Dachstuhl in Flammen. Stack rast in seinem Auto davon. Um 9.40 Uhr hebt sein Kleinflugzeug, eine Piper PA-28-236, von der Startbahn eines Flugplatzes am Nordrand von Austin ab. Und um 9.56 Uhr schlägt die voll betankte Maschine dann in jenes dunkel verglaste Bürohaus mitten in der texanischen Hauptstadt ein, wo täglich 190 IRS-Beamte Steuererklärungen prüfen und Mahnbescheide verfertigen.

Das Bild des Täters

Die Erde bebt, ein riesiger Feuerball setzt den Bau in Brand. Trotz der heftigen Flammen werden zunächst nur 13 Menschen verletzt. In der Nacht zum Freitag findet die Feuerwehr zwei verkohlte Leichen. Einer der Toten ist mutmaßlich Joe Stack. Der nette Kerl von gestern, nun ein Selbstmord-Attentäter.

Die Behörden haben die Flammen schnell unter Kontrolle. Die Stahlträger im Beton glühen noch, da kommt die Entwarnung: "Dies ist ein Einzelfall, kein Grund für Alarm", erklärt Austins Polizeichef Art Acevedo. Reflexartig waren zuvor zwei F-16-Kampfjets losgeschickt worden, um eventuell weitere Flugzeug-Attentäter abzufangen. Und im fernen Washington ließ sich Präsident Barack Obama von niemand geringerem als von John O. Brennan informieren, seinem Anti-Terror-Berater.

Innerhalb weniger Stunden gewinnen die Behörden ihr Bild vom Täter: Der neue Joe Stack wird als ein von krankhafter Wut zerfressener Mann geschildert, der - manchmal wirr, aber immer aggressiv - seinen Zorn gegen "das Monster der katholischen Kirche" ebenso richtet wie gegen Banken und Großkonzerne, ja gegen "alle da oben." Und die ihn, den kleinen Mann, immer wieder um sein Glück und um seine kargen Ersparnisse für den Lebensabend bringen.

Stack sieht sich, ausweislich seines in der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch verfassten Hass-Briefes, als Märtyrer im Kampf gegen den Staat. Viele seien schon für die Freiheit gestorben: "Wenn ich nicht meinen Leib hinzufüge zu den zu zählenden Leichen, wird sich nichts ändern." Im selben Absatz kommt Stack zu dem Schluss: "Gewalt ist die einzige Antwort." Und am Ende seines hasserfüllten Testament steht dies: "Gut, Mr. Big Brother IRS - lass uns etwas Neues versuchen - nimm mein Pfund Fleisch und schlafe wohl!"

Die Sicherheitsbehörden lassen Stacks Vermächtnis schnell vom Netz nehmen. Aber längst kursieren Kopien - und auf Facebook formieren sich blitzschnell zwei Dutzend sehr rechte Sympathisantengruppen. "Endlich ist ein Amerikaner aufgestanden gegen unsere tyrannische Regierung, die längst nicht mehr unserer Verfassung gehorcht", bloggt eine gewisse Emily Walters aus Kentucky. Das ist genau der Jargon, mit dem seit Monaten erzkonservative Vereine und Organisationen gegen die Politik von Barack Obama zu Felde ziehen.

200 Freunde binnen Stunden

Allen voran die sogenannte Tea-Party-Bewegung wettert sehr ähnlich gegen die von Obama geplante Gesundheitsreform und die Staatsverschuldung. Binnen Stunden schreiben sich bei Emily Walters 200 "Freunde" ein. Bevor es noch mehr werden, legt Facebook die virtuelle Truppe am Donnerstag still.

Den Nerv der entrüsteten Rechten hatte Joe Stack vor allem mit einer Philippika gegen die Wall Street getroffen. Als im vorigen Jahrhundert die Märkte zusammenbrachen, da wenigstens seien noch "die reichen Banker und Geschäftsleute aus dem Fenster gesprungen". Heute sei alles anders: Durch das Rettungspaket für Banken "stehlen sie von der Mittelschicht, um ihren Arsch zu retten", und "die Armen müssen für deren Fehler sterben." Solche Sätze ringen Gleichgesinnten wie einem gewissen Tyler Britten aus Texas im Internet Respekt ab: "Er hat sich für uns geopfert."

Und ein sehr prominenter Republikaner hat am Donnerstag eingeräumt, die Wut des Joe Stack sei jener Stimmung sehr ähnlich, die ihn erst kürzlich in den Senat zu Washington getragen habe. "Ich spüre nicht nur bei meiner Wahl, sondern auch seit ich in Washington bin, wie frustriert die Menschen sind", erklärt Scott Brown im konservativen Kabelkanal von Fox News. Brown ist, als der sensationelle Nachfolger des verstorbenen Demokraten Ted Kennedy aus dem liberalen Bundesstaat Massachusetts, einer der ganz neuen Helden der amerikanischen Rechten.

© SZ vom 20.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: