100 Tage Franziskus:Papst der Bescheidenheit

Pope Francis hugs a child as he arrives to lead the weekly audience in Saint Peter's Square at the Vatican

Papst Franziskus herzt einen kleinen Jungen auf dem Petersplatz in Rom

(Foto: REUTERS)

Es ist keine Seltenheit, dass 80.000 Menschen zur wöchentlichen Generalaudienz kommen. Die Beliebtheit von Papst Franziskus steigt und steigt. Unkonventionell ist er, nimmt sich Freiheiten und verändert allein damit die katholische Kirche. In Rom wächst nun die Spannung: Wen macht der Pontifex zum Chef der Kurie?

Von Andrea Bachstein, Rom

Wie hingekleckste, bunte Punkte leuchten die Schirme aus der Menge auf dem mächtigen Rund. So wollen sich die Menschen gegen die sengende Sonne schützen. Ungefähr 80.000 stehen an diesem Mittwochmorgen auf dem Petersplatz. Dabei ist gar nichts Besonderes zu erwarten. Es ist nur die wöchentliche Generalaudienz des Papstes. Doch die ist eine ungeheure Attraktion geworden, seitdem der Mann in Weiß Franziskus heißt. 100 Tage sind es an diesem Freitag, dass Jorge Mario Bergoglio im Amt ist. Dabei hatte er sich wegen seiner 76 Jahre gar keine Chancen ausgerechnet, im Konklave zum Papst gewählt zu werden.

Und nicht nur zur Generalaudienz strömen viel mehr Menschen als zuvor. Auch zum sonntäglichen Angelus-Gebet kommen sie, nach dem das Oberhaupt der Katholiken in aller Welt den Gläubigen stets "ein schönes Mittagessen" wünscht. An diesem Mittwoch wünscht der neue Mann der Kirche den Menschen auf dem Petersplatz noch etwas ganz anderes. "Lasst uns nicht auf den Weg der Trennung, des Streits zwischen uns gehen", ruft er. "Alle gemeinsam, alle gemeinsam mit unseren Unterschieden, aber einig, das ist der Weg von Jesus." Er erzählt all das mit diesem ihm typischen Fluss der Worte, als seien sie ihm gerade eingefallen und als freue er sich an solch simplen Botschaften. Dazu legt er den Kopf schief und lächelt.

Seine schlichte Art, die einfache Sprache, die Botschaften, die davon handeln, dass Geld nicht wichtiger als Menschen sein dürfe, dass die Ärmsten wichtiger sind als Aktienkurse, er sich eine arme Kirche wünsche - all das fasziniert nicht nur gläubige Katholiken. Am Donnerstag, vor einer Delegation der UN-Ernährungsorganisation FAO, nannte er den Hunger in der Welt "einen Skandal". Es müsse Schluss sein damit, die Versprechen an die Armen nicht zu halten. Mancher hält ihn für einen Linken, dabei ist Franziskus in gesellschaftspolitischen Fragen konservativ. Dieser Mann, der nach seiner Wahl sagte, er komme vom anderen Ende der Welt, bringt Umgangsformen mit, die viel lebendiger wirken als die seines Vorgängers Benedikt XVI., den das Alter unbeweglich gemacht hatte, der sich nicht gegen Protokoll und Sicherheitsvorschriften auflehnte.

Ein Papst zum Anfassen

Franziskus hat das vom ersten Tag an gemacht. Er lässt sich nicht in die aufwendige Kleidung stecken, die Benedikt manchmal zu erdrücken schien, trägt auch weiter seine schwarzen Treter (mitsamt den Einlagen), in denen er aus Buenos Aires nach Rom kam, und nicht so feine, rote Slipper wie sein Vorgänger. Er sucht die Menschen bei fast allen Auftritten, lässt sich Dutzende Babys reichen und herzt und segnet sie, schüttelt Hunderte Hände, er steigt vom Papamobil hinab zwischen die Leute, und auf dem Gefährt steht er ohne die schützende Glaskuppel. So einen Papst zum Anfassen hat es jahrzehntelang nicht gegeben.

Er sucht ihre Nähe, und sie suchen die seine. Die Menschen strömen herbei in der Hoffnung, dass er sie berührt. Aus aller Welt erzählen sie am Petersplatz enthusiastisch, wie er ihnen aus dem Herzen spreche, wie sehr ihnen die Bescheidenheit gefällt, die Franziskus predigt und lebt. Dazu gehört, dass er sich weigert, in die Päpstlichen Appartements im Apostolischen Palast umzuziehen. Zu groß, zu aufwendig, zu weit weg von anderen Büros seien sie, hat er wissen lassen. Nur zum Angelus-Gebet und zum Empfang offizieller Gäste geht er dorthin. Sonst wohnt er weiter im Domus Santa Marta, dem Gästehaus des Vatikan, in dem die Kardinäle während des Konklaves untergebracht waren. Zwei Zimmer hat er dort, isst im Speisesaal mit den anderen Gästen und Vatikan-Angestellten, stellt sich auch am Selbstbedienungsbuffet an. Und bei seinen Morgenandachten in der schlichten Kapelle von Santa Marta dabei sein zu können, gilt jetzt unter Katholiken als extrem begehrenswert.

Rätselraten im Vatikan

Stil und Form des Papsttums sowie die Sprache des Pontifex haben sich in diesen drei Monaten mit dem so authentisch wirkenden Franziskus unübersehbar gewandelt. Unkonventionell ist er, nimmt sich Freiheiten. Doch was Franziskus über die neue Bescheidenheit hinaus in der Kirche, im Vatikan verändern will, darüber gibt es nur eins: Rätselraten - in der Kurie und außerhalb. Verunsicherung herrsche bei vielen in der vatikanischen Maschinerie, ist zu hören, weil sie nicht wissen, was kommt. Klar ist nur: Franziskus teilt den Wunsch vieler Kardinäle außerhalb Roms, die Kurie zu reformieren, effizienter zu machen.

Ein Novum hat er schon beschlossen. Er holt sich ein Beraterteam: Acht Kardinäle aus allen Erdteilen sollen ihm von Oktober an beim Regieren helfen - und bei der neuen Kurienverfassung. Über Inhalte ist aber bisher nichts Konkretes zu erfahren, auch in Personalfragen zeichnet sich noch wenig ab. Viele Amtsträger sind vom neuen Papst nur vorläufig bestätigt worden. Sie wissen nicht, ob sie bleiben. Wer gedacht hätte, Franziskus würde schnellstmöglich den wegen Ungeschicklichkeiten umstrittenen Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone ersetzten, hat sich getäuscht. Aber auf Dauer wird der zweite Mann des Vatikan wohl doch nicht bleiben: Es heißt, Bertone sei auf Wohnungssuche im Vatikan, bisher lebt er in einer Dienstwohnung. Ende des Monats dürfte es so weit sein. Das Kardinalsteam ist ein Hinweis darauf, dass Franziskus mehr Kollegialität wünscht, und Marco Tosatti, einer der besten Vatikan-Kenner Italiens, meint, Bertone werde wohl der letzte Kardinalstaatssekretär mit so viel Macht gewesen sein. Tosatti nennt den Argentinier "Papst der halben Ankündigungen" - einen Mann der Andeutungen, aber noch nicht der klaren Linien.

Auch an einer anderen Vertrauensstellung hat Franzikus noch nichts geändert: Erzbischof Georg Gänswein, Privatsekretär von Benedikt, ist weiter Präfekt des Päpstlichen Haushalts. Die beiden wirken ganz harmonisch miteinander. Für den Sommer indes hat Franziskus unkonventionelle Pläne: Er will im heißen Rom bleiben und nicht hinaus in die Albaner Berge ziehen, in die Papstresidenz in Castel Gandolfo. Das nehmen sie ihm dort schon ein bisschen übel: Sie fürchten, dass der neue Papst sie ärmer macht - weil nun vielleicht weniger Touristen kommen.

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