Statement von Conchita Wurst:HIV ist der Schrecken genommen, nicht aber das Stigma

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Conchita Wursts öffentliches Statement, HIV-positiv zu sein, entlarvt längst überwunden geglaubte Diskriminierung. Doch gerade durch Stigmatisierung drohen neue Infektionen.

Kommentar von Karin Janker

Es sollte wie eine Befreiung klingen, aber die Öffentlichkeit nimmt es auf wie eine Beichte: Conchita Wurst ist HIV-positiv, "seit vielen Jahren", wie es in einem Instagram-Post der österreichischen Kunstfigur, Sängerin und Mode-Ikone heißt. Tom Neuwirth, der Conchita Wurst geschaffen hat, sah sich zu diesem Coming-Out genötigt, weil ein Ex-Freund ihm gedroht hatte, mit der Information an die Öffentlichkeit zu gehen.

Die Frage ist: Wie hätte die Öffentlichkeit in diesem Falle reagiert? Fraglos hat Conchita Wurst in persönlicher Hinsicht das Richtige getan und dem Erpresser seine Macht genommen, indem er die Deutungshoheit über seinen eigenen Gesundheitszustand (Virus "seit vielen Jahren unterbrechungsfrei unter der Nachweisgrenze") für sich beansprucht. Und es schlägt ihm - neben einigen dumpfen homophoben Kommentaren - zu Recht viel Sympathie für diesen Schritt entgegen. Mehr als 30 000 Menschen gefällt der Post auf Instagram, viele spenden Trost und Beifall.

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Der Sänger sagt, er wolle sich von niemandem Angst machen lassen - und weiter für Entstigmatisierung kämpfen.

Doch ist anzunehmen, dass dieses Wohlwollen geringer ausgefallen wäre, wenn Conchita Wurst geoutet worden wäre und beschlossen hätte, das Private privat zu lassen, also keine öffentliche Erklärung abzugeben. Die Angst davor brachte ihn überhaupt erst dazu, das Statement zu veröffentlichen. Tom Neuwirth hat einmal in einem Interview gesagt, er wolle, dass die Leute sich angesichts seiner "ungewöhnlichen Erscheinung Gedanken machen - über sexuelle Orientierung, aber genauso über das Anderssein an sich". Einmal mehr erteilt die Diva mit dem Vollbart eine Lektion über ihren Umgang mit Minderheiten und allem, was nicht der Norm entspricht. Wie frei ist eine Gesellschaft, in der Menschen, die mit HIV infiziert sind, erpressbar sind?

Die Theoretikerin und Kritikerin Susan Sontag hat bereits Ende der 1980er Jahre in ihrem Essay über "Aids und seine Metaphern" die Stigmatisierung Infizierter problematisiert. Vieles von dem, was damals aus medizinischer Sicht galt, ist längst überholt. Heute können Menschen mit einer HIV-Infektion diese dank Medikamenten so gut unterdrücken, dass sie beinahe die Lebenserwartung eines gesunden Menschen erreichen können. Die Medikamente senken außerdem drastisch das Risiko, jemanden anzustecken. Zumindest für Mitteleuropa erscheint die soziale Ausgrenzung HIV-Infizierter, die in den 1980ern angesichts von Spiegel-Artikeln wie "Tödliche Seuche Aids" noch salonfähig erschien, ebenso unmoralisch wie aus der Zeit gefallen.

Eine HIV-Infektion erscheint leicht auf ein persönliches Fehlverhalten zurückführbar

Und dennoch ist HIV ein Stigma geblieben. Den Griechen diente das Stigma, als Brandzeichen oder Schnitt ins Fleisch, dazu, das unmoralische Handeln eines Menschen für alle sichtbar zu machen. Auch eine HIV-Infektion erscheint leicht auf ein persönliches Fehlverhalten zurückführbar: Ist der Infizierte nicht selber schuld - war er nicht so unvorsichtig wie unmoralisch? In vielen, vielleicht den meisten Fällen stimmt das nicht, das Vorurteil aber bleibt. Der Krankheit Aids ist der Schrecken genommen, nicht aber das Stigma.

Zumal vor allem ausgegrenzte Minderheiten betroffen sind: Nach wie vor - und durch den medizinischen Fortschritt sogar immer mehr - scheint HIV ein Problem der ärmsten Regionen der Erde, von Drogenabhängigen und Homosexuellen. Auch das stimmt so einfach nicht, aber das Klischee überlagert die Fakten. Das Stigma der Verunreinigung, das diesen Gruppen ohnehin anhängt, wird durch HIV nur verstärkt. Die Infektion macht vogelfrei: 1998 wurde die südafrikanische Sozialarbeiterin Gugu Dlamini zu Tode geprügelt, nachdem sie im Radio verkündet hatte, dass sie HIV-positiv ist.

Gugu Dlamini wurde damals für ihre Erkrankung bestraft, in der heutigen mitteleuropäischen Gesellschaft zeichnet sich ein gegenläufiger Trend ab: Krankheit wird zunehmend als Strafe für eigenes Fehlverhalten angesehen. Davon betroffen sind nicht nur HIV-Infizierte, sondern auch Krebspatienten, die womöglich nicht gesund genug gegessen, nicht früh genug mit dem Rauchen aufgehört oder nicht die notwendige positive Lebenseinstellung gehabt haben. Problematisch ist an solchem Umgang mit Krankheit vor allem, dass die Stigmatisierung selbst für neue Erkrankungen sorgen kann. Wer sich etwa im Fall von HIV nicht traut, sich testen zu lassen, über seine Infektion zu sprechen oder eine Therapie zu beginnen, gefährdet nicht nur andere, sondern vor allem auch sich selbst.

Conchita Wursts Statement kann deshalb ein Schritt sein, das Stigma zu brechen. Aids sollte als Krankheit betrachtet werden, eine HIV-Infektion nicht als Strafe und nicht als Schande. Und nicht als etwas, das man öffentlich beichten müsste.

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