Skandal um verseuchtes Tierfutter:"Wir haben viel zu wenig Personal"

Lesezeit: 3 min

Der Dioxin-Skandal bedeutet auch ein Versagen der staatlichen Aufsicht über Lebensmittel und Futter. Lebensmittelkontrolleur Martin Müller über Löcher im System, zu billiges Essen und den Alltag staatlicher Warentester.

Daniela Kuhr

Der Skandal um Dioxin im Tierfutter weitet sich immer mehr aus. Gut 4700 Zuchtbetriebe sind gesperrt, Hunderttausende Eier müssen vernichtet werden, auch Schweinefleisch ist betroffen. Zudem wurde am Freitag bekannt, dass ein Betrieb offenbar schon seit März 2010 von den Verunreinigungen wusste. Wie kommt es, dass die Kontrollen in Fällen solchen Ausmaßes nicht greifen?

"Bedenkenlos sollte man nie essen": Interne Kontrolle in einem Fleischbetrieb. (Foto: dapd)

Natürlich ist es eine Binse, dass es hundertprozentige Sicherheit nicht geben kann. Und dass auch der Verbraucher seinen Anspruch auf billige Ware überdenken muss. Trotzdem ist das Kontrollsystem bei Futter und Lebensmitteln erschreckend lasch. Etwa 1200 zusätzliche Stellen bräuchte man, um die Verfahren angemessen sicher zu machen, schätzt Martin Müller, Vorsitzender des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure.

SZ: Der Dioxin-Skandal hat wieder gezeigt, wie mangelhaft die Kontrolle bei Futter und Lebensmitteln ist. Können Verbraucher noch bedenkenlos essen?

Müller: Bedenkenlos sollte man nie essen. Jeder Konsument muss sich im Klaren darüber sein, dass Lebensmittel heutzutage sehr billig sind. Ein lückenloses Kontrollsystem, in dem jeder einzelne Schritt der Produktion mit hundertprozentiger Sicherheit überprüft wird, würde Ernährung viel zu teuer machen. Wir sind also darauf angewiesen, die Kontrollen auf Stichproben zu beschränken.

SZ: Wie entscheidet denn ein Kontrolleur, welchen Betrieb er wie oft besucht?

Müller: Das entscheiden nicht die Kontrolleure aus dem Bauch heraus, sondern ihre Eingaben in den Computer. Die Futter- und Lebensmittelkontrolle ist bei uns risikoorientiert gestaltet. Das heißt, ein Betrieb, der zum Beispiel Fleisch verarbeitet, wird deutlich häufiger überprüft als etwa ein Getränkehersteller. Manche Betriebe werden deshalb täglich, andere nur alle drei Jahre überprüft.

SZ: Kennen die Kontrolleure nicht auch ihre Pappenheimer?

Müller: Zumindest trägt das Verhalten in der Vergangenheit zur Risikobewertung bei. Ist ein Betrieb immer vorbildlich sauber, muss er seltener besucht werden als ein Unternehmen, bei dem sich in jeder Ecke Schimmelflecken ausbreiten. Auch die Frage, wie häufig der Betrieb seine Produktion selbst kontrolliert, ist für uns wichtig.

SZ: Das müssen Sie erklären.

Müller: Na, in erster Linie ist ja nicht der Staat dafür verantwortlich, dass Futter- und Lebensmittel einwandfrei hergestellt werden, sondern die Betriebe selbst. Sie sind deshalb verpflichtet, ihre Abläufe regelmäßig selbst zu überprüfen. Wenn ein Unternehmer da ein gutes System installiert hat, rutscht er in unserer Bewertung gleich eine Stufe höher.

SZ: Im aktuellen Fall soll der Betrieb bereits im März bei einer Eigenkontrolle erhöhte Dioxinwerte festgestellt haben.

Müller: Zu dem Fall kann ich nichts sagen. Aber natürlich ist jeder Betrieb, der bei sich Verunreinigungen über Grenzwerte hinweg feststellt, verpflichtet, das sofort an die Behörden zu melden. Wer das unterlässt, macht sich strafbar.

Lebensmittelskandale
:Guten Appetit

BSE-Erreger im Steak, Frostschutzmittel im Wein, nun Dioxin im Ei: Lebensmittelskandale verursachen regelmäßig Aufregung und Proteste der Verbraucherschützer. Die größten Skandale.

Bildern

SZ: Melden die staatlichen Kontrolleure sich eigentlich an?

Martin Müller ist der Vorsitzendes des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure. (Foto: E. Fiegel/oh)

Müller: Das wäre ja schrecklich. Das Gesetz gibt uns vor, zu jeder Zeit, in der der Betrieb geöffnet ist, unangemeldet vorbeizuschauen.

SZ: Was genau überprüfen Sie denn?

Müller: Futtermittelkontrolleure sehen sich in erster Linie an, ob das Futter verunreinigt ist. Dazu entnehmen sie Proben, die im Labor untersucht werden. Wir Lebensmittelkontrolleure gehen weiter. Für uns ist die Gesamtsituation eines Betriebs viel wichtiger als für die Futtermittelkontrolleure. Uns interessiert auch, wie hygienisch es zugeht. Denn manchmal ist etwas zwar ungefährlich, aber eklig. Wir fragen uns also: Würden Verbraucher, die sähen, was wir sehen, diese Produkte gern essen?

SZ: Das klingt alles so straff durchorganisiert. Wieso haben die Kontrollen im Dioxin-Fall dann doch versagt?

Müller: Man muss erst mal herausfinden, was genau passiert ist, bevor man beurteilen kann, wer hier wo versagt hat. Insgesamt aber steht für mich eines fest: Unser Kontrollsystem ist viel zu löchrig. Im Jahr 2009 wurden etwa von 1,1 Millionen Lebensmittelbetrieben nur 545000 kontrolliert. Das ist gerade mal jeder zweite.

SZ: Woran liegt das?

Müller: Ganz einfach, wir haben viel zu wenig Personal. Bundesweit sind 2500 Lebensmittelkontrolleure unterwegs. Wir bräuchten bis zu 1200 mehr. Es darf doch nicht vom Zufall abhängen, ob Schlampereien oder gar kriminelle Machenschaften aufgedeckt werden.

SZ: Sind teure Lebensmittel sicherer?

Müller: Leider nicht zwangsläufig. 2009 hat die Stiftung Warentest Lachs getestet. Ausgerechnet die Ware eines Nobelkaufhauses schnitt jedoch am schlechtesten ab. Der Lachs dort war mit Abstand der teuerste von allen Proben - und der am stärksten mit Keimen belastete.

SZ: Wieso fällt das der Stiftung Warentest auf, aber nicht den staatlichen Lebensmittelkontrolleuren?

Müller: Vorsicht. Vielleicht ist es ihnen auch aufgefallen: Anders als die Stiftung Warentest dürfen sie ihre Ergebnisse jedoch nicht publik machen, sondern in diesem Fall nur ein Bußgeld oder eine Strafanzeige veranlassen. Meines Erachtens sollte das geändert werden. Verbraucher haben ein Recht darauf zu erfahren, wie ihr Lieblingsmetzger oder ihre Stammkneipe bei Kontrollen abschneidet.

© SZ vom 08.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: