Prozesse gegen Hells Angels:Mord und Prostitution im Franchise-System

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Feste Strukturen, klare Hierarchien: Wenn stimmt, was ein Ex-Rocker in seinem Prozess vor dem Kieler Landgericht aussagt, könnte es der Anfang vom Ende der Hells Angels in Deutschland sein. Die Anschuldigungen richten sich vor allem gegen den Hannoveraner Rocker-Chef Frank Hanebuth. Der tut das Geständnis in Kiel als Aufschneiderei ab.

Frederik Obermaier, Kiel

Der Zeuge kommt aus einem geheimen Versteck, er trägt eine schusssichere Weste, eine Sondereinheit der Polizei begleitet ihn. "Für alle Fälle", sagt ein Beamter. Für den Fall also, dass die Rocker der Hells Angels anrücken. Der massige Mann, den die Beamten in Handschellen in den Saal 132 des Kieler Landgerichts führen, war selbst ein Rocker. Er sitzt seit über einem Jahr in Untersuchungshaft, er soll zwei Frauen zur Prostitution gezwungen haben.

Übermächtiger Hells-Angels-Boss? Frank Hanebuth bestreitet alle Anschuldigungen aus einem Rocker-Prozess in Kiel. (Foto: dapd)

Acht Monate lang hat er geschwiegen, dann hat Steffen R. ausgepackt. Er hat von Höllenengeln erzählt, die Menschen einschüchtern, foltern, töten. Er hat von Polizisten erzählt, die sich von den Rockern kaufen lassen. Vor allem aber hat er einen Mann belastet: Frank Hanebuth, Ex-Boxer, Präsident der Hells Angels Hannover. Wenn es stimmt, was Steffen R. erzählt, könnte es das Ende der Hells Angels Germany einläuten.

Die Hells Angels, erzählt R. am Dienstag, seien wie ein Franchise-Unternehmen: Man darf den Namen führen und die Kutte tragen, aber dafür gibt es strikte Vorgaben von oben. Wie viele Totenkopf-Pullover man pro Monat kaufen muss, wem man einen "Hausbesuch" abstattet ("Das heißt in unserer Sprache, dass auf jemanden geschossen oder die Kniescheibe kaputtgehauen wird"). Vor allem aber: wer getötet werden soll. Die Befehle kamen laut R. immer "von oben" - und ganz oben stehe bei den Hells Angels in Deutschland Frank Hanebuth. Zu ihm fließe auch das Geld. Durch seine Aussage hofft Ex-Rocker R. auf Strafmilderung.

Vor zwei Wochen stürmte die Anti-Terror-Einheit GSG 9 Hanebuths Anwesen in Bissendorf-Wietze, einem noblen Vorort von Hannover. Beamte in Kampfmontur seilten sich von einem Hubschrauber ab, brachen das Gartentor auf, erschossen Hanebuths Hirtenhund und schleppten kofferweise Beweismaterial davon. Zeitgleich durchsuchten Hunderte Polizisten bundesweit Rockertreffs, Puffs und Kneipen. Es war einer der größten Polizeieinsätze gegen das organisierte Verbrechen in Deutschland. Auslöser waren die Aussagen von Steffen R., der jetzt mit offenem Mund den Anschuldigungen lauscht. "Imperator" nennt sich der 40-Jährige selbst, "Kugelblitz" nannten ihn seine Kumpel. Wegen seines Übergewichts.

Bislang bestehen die Hells Angels darauf, dass es keinen Deutschlandchef gibt. Jeder Club sei sein eigener Chef. Einen Chef der Chefs gebe es nicht, auch Hanebuth sei das nicht. Doch R. erzählt davon, wie er vor zwei Jahren das "Deutschland-Meeting", also das Treffen aller deutschen Hells-Angels-Präsidenten, in Kiel bewachte. Auch Hanebuth sei dort gewesen. Er habe den Rockern 5000 Euro Belohnung in Aussicht gestellt, für jeden Polizisten, der vor bevorstehenden Razzien warnt.

Feste Strukturen und klare Hierarchie

Wenn es stimmt, was Steffen R. vor dem Landgericht Kiel erzählt, haben die Hells Angels in Deutschland feste Strukturen und eine klare Hierarchie, kriminell sind sie noch dazu. Prostituierte, die aussteigen wollten, müssen laut R. 3000 bis 5000 Euro an die Hells Angels zahlen. Wenn diese Anschuldigungen zutreffen, hätte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich eine gute Vorlage für ein bundesweites Verbot. Bislang sind nur einzelne Chapter, wie die Ortsgruppen sich nennen, verboten. Nicht aber die Hells Angels generell.

Vor Gericht erzählt R., im Knast habe er Leute der Big House Crew, also verurteilte Hells Angels, kennengelernt. Ein Höllenengel habe ihm dann nach der Entlassung Geld geliehen, davon habe er im Kieler Hafenviertel einen Sozialladen aufgebaut. Schirmherrin sei Heide Simonis gewesen, nach außen sollte alles aussehen wie die Erfolgsgeschichte eines Geläuterten. R. aber baute im Geheimen die "Legion 81" auf. Eine Truppe, die nach seinen Erzählungen die schmutzigen Jobs für die Hells Angels in Kiel übernahm. Im Rotlichtviertel am Hafen, im "Eros-Center", im "Sex City" und im "Tiffy Club" will heute zwar niemand mehr einen Steffen kennen. Er selbst aber beharrt darauf, im Kieler Rotlichtmilieu für die Hells Angels gearbeitet zu haben. 50 Prozent der Einnahmen habe der Rockerclub von den Prostituierten kassiert. Es war ein Job, mit dem R. sich hocharbeiten wollte. Endlich sollten ihn die Leute respektieren.

Vor einigen Tagen hat R. ausgesagt, dass ihn seine Eltern früher schlugen; er sei abgehauen, irgendwann landete er in einem Erziehungsheim. Dort sah er, wie ein 15-Jähriger sich aus Verzweiflung mit Benzin übergoss und anzündete. "Da habe ich beschlossen, ich möchte nie wieder Opfer sein im Leben", sagt er heute. Deswegen wollte er später auch ein Motorradrocker, ein Hells Angel, werden, hat für sie Nutten kontrolliert, Waffen beschafft und die Jungs von den verfeindeten Bandidos abgezogen.

Er sei kurz davor gewesen, "full member", also ein Vollmitglied zu werden, erzählt R. im Landgericht. Eine Panzerglasscheibe trennt ihn von den Journalisten und den Rockern. Einer von ihnen hatte vergangene Woche gezischt: "Der ist tot." Das war, als R. von der Weihnachtsfeier erzählt hatte. Mit Hanebuth und anderen führenden Hells Angels sei er am Tisch gesessen und habe gehört, was es mit dem "Seehundröcheln" auf sich hat. R. hatte es schon oft gehört, es war ein Running Gag unter den Kieler Höllenengeln: zu jaulen wie ein Seehund, wie ein Heuler. Bei der Weihnachtsfeier will R. dann erfahren haben, was es damit auf sich hat: es sei das Geräusch, dass Tekin Bicer machte, bevor er starb.

Bicer wird seit zwei Jahren vermisst. Er verschwand im April 2010, sein Ford Escort wurde in der Nähe des Kieler Hafens gefunden, sein Handy funkte noch zwei Tage lang aus der Gegend, der 47-Jährige tauchte jedoch nicht mehr auf. Angeblich hatten Kurden ein Kopfgeld auf Bicer ausgesetzt. Dieses Geld wollten die Hells Angels kassieren, erzählt R. Mehrere Höllenengel hätten Bicer in einer Autowerkstatt in der Kieler Innenstadt stundenlang gefoltert, dann habe man ihm ins Gesicht geschossen. Das sei der Moment gewesen, als Bicer zu röcheln begann. Einen Augenblick später habe der "sergeant at arms", der Sicherheitschef der Kieler Hells Angels abgedrückt. Die Leiche Bicers sei dann in Altenholz, ein paar Kilometer außerhalb von Kiel, im Fundament einer neu gebauten Lagerhalle versenkt worden. "Die Entscheidung hat Hanebuth getroffen und grünes Licht gegeben, dass wir ihn entsorgen", sagt R.

Vergebliche Suche im Fundament

Seit zwei Wochen sucht die Polizei in der Lagerhalle nach der Leiche. Spürhunde sollen angeschlagen haben, Spezialisten des Bundeskriminalamtes waren mit einem Bodenradargerät im Einsatz. Metergroße Stücke des Betonbodens fräste das Technische Hilfswerk heraus. Eine Leiche wurde bislang aber noch nicht gefunden. Ein Ermittler des Landeskriminalamtes sagt vor Gericht, R. sei glaubwürdig. Doch es bleiben Zweifel.

Ob R. denn überhaupt schon mal in der Halle war, fragt der Oberstaatsanwalt. "Nein." Ob er die Leiche gesehen habe? "Nein." Also weiß er alles nur vom Hörensagen? "Richtig."

Weihnachtsfeier im Führungszirkel

Hannover, Badenstedter Straße 46b, früher eine Werkhalle, heute "Angels Place": Das Hauptquartier der Hannoveraner Hells Angels. An der Wand prangt der Deathhead, der Totenkopf, daneben Bilder verstorbener Brüder. Hier feiern Hanebuth und seine Jungs jedes Jahr Weihnachten, sie grillen, grölen, lassen Reifen qualmen. Eingeladen sind Freunde, Familien - und Hells Angels aus der ganzen Bundesrepublik. Hier will R. 2010 am Tisch mit dem Führungszirkel gesessen haben, hier will er von dem Mord gehört haben.

Der Typ ist geisteskrank!", behauptete Hanebuth in der Bild-Zeitung, "ich kenne den überhaupt nicht". Mittlerweile der schweigt der Hannoveraner Kiez- König. Sein Anwalt Götz von Fromberg hat ihm dazu geraten. Hanebuth schickt daher "Django" vor: Einen kräftigen Mittfünfziger, Cargohose, Jeansjacke, Walrossbart.

Rudolf Triller, wie Django im echten Leben heißt, ist ein Hells Angel der ersten Stunde und mittlerweile eine Art Pressesprecher der Hells Angels in Deutschland. Er begrüßt einen mit einem schmerzhaften Händedruck, dann poltert er los: Steffen R. sei ein "Lügenbold", Hanebuth kenne den gar nicht, bundesweite Führungszirkel gebe es nicht - und selbst wenn: "So ein kleiner Supporter wie der wäre da sicher nicht am Tisch gesessen." Die Botschaft, die Django der Presse gern vermitteln würde, ist klar: Steffen R. ist ein Aufschneider und die Hells Angels sind in Wahrheit ganz liebe Jungs.

© SZ vom 06.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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