Prozess um falschen Kreuzfahrt-Schiffsarzt:Der Hochsee-Hochstapler

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Denny H. wählte sich das Kreuzfahrtschiff Aida Vita als Arbeitsplatz. (Foto: AidaCruises)

In Berlin steht ein Mann vor Gericht, der es bis zum Kreuzfahrt-Schiffsarzt brachte - ohne Medizin studiert zu haben. Eine Ex-Kollegin sagt: "Der hatte etwas Unheimliches an sich."

Von Thomas Schmoll, Berlin

Hochstapler sind mitunter recht eloquente Selbstdarsteller, die das Mehr-Schein-als-sein perfekt beherrschen. Sie geben gerne damit an, was für Superstars sie doch angeblich sind. Der Krankenpfleger Denny H. aus Stendal in Sachsen-Anhalt zum Beispiel ist so ein Typ. Fünf Jahre lang schaffte er es, Familie, Freunde, mehrere Arbeit- und Auftraggeber, Dutzende Kollegen und sogar die eigene Ehefrau davon zu überzeugen, er sei in Wirklichkeit Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin.

Neuerdings aber verzichtet der 41-Jährige auf Prahlerei. In der Untersuchungshaft machte er Gebrauch von seinem Recht zu schweigen. Doch auch das brachte Nachteile mit sich: "Hätte er gestanden, auf der Aida den falschen Arzt gemimt zu haben, hätten wir vermutlich nicht weiter gebohrt. Dann wäre er mit einer Bewährungsstrafe davongekommen", sagt die Berliner Staatsanwältin Ina Kinder, die sich seit mehr als einem halben Jahr mit dem Fall befasst.

Vollnarkosen verabreicht vom Laiendarsteller

Aber so begann die Juristin, die Vergangenheit eines Menschen zu durchleuchten, der ihren Erkenntnissen zufolge mit enormer krimineller Energie trickste und täuschte. Ergebnis der Ermittlungen: H. muss sich ab diesem Donnerstag nicht nur wegen Hochstapelei vor dem Berliner Landgericht verantworten, sondern auch wegen gefährlicher Körperverletzung. 41 Patienten soll der Laiendarsteller in Vollnarkose von bis zu 90 Minuten versetzt haben, als er in Berliner Praxen ohne ausreichende Qualifikation als Anästhesist herumdokterte. ​Zudem werden ihm knapp zwei Dutzend weiterer Fälle fragwürdiger Behandlung​en vor allem auf einem Aida-Schiff zur Last gelegt. "Dass niemand zu Schaden kam, ist reines Glück", sagt Kinder.

Sein Wissen darüber, wie man Menschen in Tiefschlaf versetzt, hatte H. während seiner mehrjährigen Tätigkeit am Stendaler Johanniter-Krankenhaus gesammelt. Dort arbeitete er auf der Intensivstation, bevor er sich im Juli 2010 ein Jahr freistellen ließ. In jener Zeit beschloss er, sein Leben als einfacher Krankenpfleger zu beenden und als "Doktor Denny Cato H." Karriere zu machen. Den Vornamen "Cato" erfand er hinzu. Seiner Familie gaukelte er offenbar vor, ein "medizinisches Fernstudium" erfolgreich abgeschlossen zu haben.

Was trieb ihn an? Geld? Geltungsdrang? Oder beides? "Wir wissen es nicht. Das Motiv liegt im Dunkeln", sagt Staatsanwältin Kinder. Fest stehe, dass er die Urkunden zur Zulassung als Mediziner (Approbation) und zum angeblichen Doktortitel so gut fälschte, dass die Berliner Ärztekammer und seine Arbeitgeber darauf hereinfielen.

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7500 Euro brutto für einen falschen Schiffarzt

Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) beschäftigte Denny H. von Oktober 2010 bis März 2014 für ein monatliches Salär von 6500 Euro brutto in der Region Nord-Ost, die Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern einschließt. Die Institution verließ der Medizinmann später nach einem bizarren Arbeitsrechtsstreit. Im Sommer 2013 war ein Kollege im Rostocker DSO-Büro kollabiert, dem jemand heimlich Atropin in den Kaffee getan hatte, ein häufig genutztes Narkosemittel, das der Volksmund als Tollkirschengift kennt. Das Opfer trug keine bleibenden Schäden davon, erstattete aber Anzeige. Der damalige Kollege vermutete, H. habe ihn vergiften wollen.

Doch die zweijährigen Ermittlungen liefen ins Leere, das Verfahren wurde Mitte 2015 eingestellt. Inzwischen hatte Denny H. den Spieß umgedreht und seinen Kollegen, einen echten Anästhesisten, sowie die DSO wegen angeblichen Mobbings auf Schadenersatz von 39 000 Euro verklagt. Die Stiftung stimmte einem Vergleich zu, das Atropin-Opfer gewann vor zwei Instanzen. Nun wird dem falschen Arzt auch versuchter und vollendeter Prozessbetrug zur Last gelegt. Nach seinem Abgang bei der DSO heuerte Denny H. beim Kreuzfahrtriesen Aida Cruises an. Das Unternehmen erkundigte sich nach eigenen Angaben bei der DSO und der Berliner Charité über ihn. Die Antworten fielen jeweils positiv aus.

Auf dem Dampfer Aida Vita dürfte für Denny H. dann wohl ein Traum in Erfüllung gegangen sein. Seinen Dienst durfte er fortan in Schiffarztuniform verrichten. Das Monatsgehalt lag bei 7500 Euro brutto. Die Probezeit bestand Denny H. auch hier ohne Probleme. Was allerdings auch daran gelegen haben dürfte, dass er Fachgespräche mied - und die Herausforderungen an einen Arzt auf Kreuzfahrtschiffen meist eher gering sind. Schwierige Fälle werden nämlich sofort mit dem Helikopter an Land gebracht. Schon bei der DSO hatte H. nicht behandelt, er hatte es dort nur mit Toten zu tun. Mit Fachbegriffen kannte er sich ganz gut aus.

Während der Kreuzfahrten sollen ihn mehr als 1000 Gäste aufgesucht haben. Auch hier schöpfte niemand Verdacht. Der eine oder andere wunderte sich zwar über die merkwürdige Art des Schiffsdoktors, Spritzen zu setzen, oder dass ein von ihm verschriebenes Medikament nicht anschlug. Doch Reisende beschrieben ihn zugleich als sympathisch und freundlich. ",Der war ja so nett', habe ich immer wieder zu hören bekommen", berichtet Staatsanwältin Kinder über die Befragung der Betroffenen.

Die Meinungen über Denny H. gehen im Kreise früherer Kollegen und Bekannter hingegen weit auseinander. Bei der Crew der Aida Vita war er sehr beliebt. Die meisten Ex-Kollegen bei der DSO wiederum machten drei Kreuze, als er von Bord ging: "Anfangs fand ich ihn cool", sagt eine Ex-Kollegin. "Je länger ich ihn kannte, desto mehr war ich auf der Hut vor ihm. Der hatte etwas Unheimliches an sich."

Über private Dinge erzählte Denny H. so gut wie nie etwas - und wenn doch, war meist Alkohol im Spiel. Frühere Kollegen verblüffte der Krankenpfleger mit philosophischen Einsichten. Ein ehemaliger DSO-Mitarbeiter erinnert sich: "Er sagte, wir alle haben unseren Körper für eine bestimmte Zeit geliehen, bewohnen ihn nur so lange und müssen ihn zurückgeben, wenn die Zeit vorbei ist." Da sei dem Kollegen der Gedanke gekommen: "Der hat nicht alle Latten am Zaun."

So flog der falsche Arzt auf

Seine letzte Reise auf dem Traumschiff endete dann recht abrupt in Miami. Amerikanisches Wachpersonal begleitete Denny H. zum Flughafen. Als er am 4. Dezember 2015 in Berlin-Tegel landete, erwarteten ihn seine Freundin, aber auch deutsche Polizisten. Auf die Schliche war dem Hochstapler die Berliner Ärztekammer gekommen, als sie im Sommer 2015 seinen Antrag auf einen neuen Arztausweis bearbeitete.

Der falsche Arzt wollte sich damals "Cato" als zusätzlichen Namen eintragen lassen. Der Stendaler, der im April 2011 geheiratet hatte - die Ehe hielt zwei Jahre -, hatte zwei Eheurkunden vorgelegt. Doch nur auf einer tauchte der Name "Cato" auf. Eine Anfrage der Ärztekammer beim Standesamt Wernigerode brachte Klarheit, dass "Cato" eine Erfindung von Denny H. war. Sein Hund hatte so geheißen.

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Beim Prozessauftakt brach der Angeklagte allerdings sein Schweigen und gestand: Er habe sich fünf Jahre lang mit gefälschten Dokumenten als Mediziner ausgegeben und auch praktiziert. Dafür bitte er um Entschuldigung. Angeklagt ist H. allein wegen 63 Fällen von Körperverletzung. Zudem geht es um Betrug, Urkundenfälschung und das unbefugte Führen eines akademischen Grades.

© SZ vom 14.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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