Prozess in den Niederlanden:Skandalarzt zu drei Jahren Gefängnis verurteilt

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Der 68-jährige Angeklagte vor dem Gerichtsgebäude in Almelo (Foto: dpa)

Mit Fehldiagnosen unheilbarer Krankheiten trieb ein niederländischer Arzt zahlreiche Patienten in die Verzweiflung. Jetzt hat ein Strafgericht den 68-Jährigen zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt - wegen schwerer Körperverletzung.

Wie ein "Gott in Weiß" soll er aufgetreten sein, ein charismatischer, von sich überzeugter, aber auch freundlicher und einfühlsamer Arzt, der seine Ausstrahlung nicht einmal auf den traditionellen weißen Kittel gründete, sondern oft in Sakko und Wildlederweste ins Sprechzimmer kam. So erschien der niederländische Neurologe Ernst J. S. auch vor Gericht. In einer Arztpraxis oder einem Krankenhaus wird er nach seiner Verurteilung jedoch wohl nie mehr arbeiten.

In den Medien war J. S. als Skandalarzt oder gar "Dr. Frankenstein" bekannt geworden, weil er über Jahre absichtlich grausame Fehldiagnosen gestellt hatte. Bei mehr als 200 Patienten in den Niederlanden stellte er unheilbare Krankheiten wie Alzheimer oder multiple Sklerose fest. Sie wurden unnötigerweise operiert oder nahmen überflüssige und teils schädliche Medikamente. Dazu mussten sie den Schock einer Horrornachricht ertragen, die ihr ganzes Leben auf den Kopf stellte. Eine Frau brachte sich nach einer falschen Diagnose um.

Jetzt ist nach mehreren Monaten vor dem Gericht in Almelo das Urteil in dem wohl größten medizinischen Strafprozess der Niederlande gefallen. J. S. ist wegen schwerer Körperverletzung aufgrund der Fehldiagnosen schuldig gesprochen und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Der 68-Jährige habe bei neun Patienten "absichtlich" unheilbare Krankheiten festgestellt und ihnen dadurch großen körperlichen und psychischen Schaden zugefügt, urteilte das Strafgericht. Die Anklage beschränkte sich auf neun eindeutige Patientenschicksale, die J. S. in einem Krankenhaus in Enschede behandelt hatte. Nach Ansicht der Richter ist der Arzt auch schuld am Suizid der Patientin.

Fehldiagnosen als Straftat

Der ehemalige Doktor musste sich wegen der Fehldiagnosen, aber auch wegen Urkundenfälschung, Veruntreuung und Diebstahls von Rezepten verantworten. Letztere Vergehen hatte J. S. gestanden, eine falsche Diagnose, so argumentierte die Verteidigung, sei jedoch keine Straftat. Das gehöre nun einmal zum Beruf des Arztes, hatte der Angeklagte selbst in seinem Schlusswort gesagt.

Die Staatsanwaltschaft hatte sechs Jahre Gefängnis ohne Bewährung gefordert. Für sie stand fest: Die falschen Diagnosen waren keine bedauerlichen Kunstfehler, sondern böse Absicht. J. S. habe den Patienten großes psychisches und körperliches Leid zugefügt, sagte Staatsanwältin Marjolein van Eykelen. Der ehemalige Arzt habe anderslautende Untersuchungsergebnisse ignoriert und sogar Diagnose-Testbögen falsch ausgefüllt.

Der 68-Jährige brachte zwar vor Gericht sein Bedauern zum Ausdruck, bot Gespräche an und bekannte sich "moralisch schuldig". Zugleich beharrte er aber darauf, dass er sich nichts vorzuwerfen und sorgfältig gearbeitet habe und betonte, dass er wieder so handeln würde. Der Öffentlichkeit warf er eine "Hexenjagd" gegen sich vor. Zugleich bekannte er allerdings, in einer persönlichen Krise gesteckt und an Medikamentensucht gelitten zu haben. Gegen den Entzug seiner Approbation ging J. S. in Berufung.

Der Arzt war 2003 vom Krankenhaus in Enschede entlassen worden. Der nun beendete Prozess warf auch die Frage auf, ob die Aufsichtsbehörden versagt haben. Denn bis Anfang 2013 praktizierte J. S. weiter an deutschen Kliniken, darunter in Heilbronn und Worms. Dort wurde ebenfalls Anzeige erstattet. Um die deutschen Fälle ging es in Almelo aber nicht.

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