Nach Zugunglück in Frankreich:Lokführer verhinderte offenbar noch größere Katastrophe

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Bretigny-sur-Orge in Frankreich: Zahlreiche Tote und Verletzte bei Zugunglück (Foto: AFP)

Der Zug sprang aus den Schienen, zerriss in zwei Teile und raste in einen Bahnhof: Bei einem schweren Zugunglück im französischen Brétigny-sur-Orge sterben sechs Menschen, 30 werden verletzt. Augenzeugen sprechen von unerträglichen Szenen. Dem Lokomotivführer ist es offenbar zu verdanken, dass nicht noch weitere Züge entgleisten.

Unter grellem Scheinwerferlicht haben französische Rettungskräfte nach dem schweren Zugunglück in Brétigny-sur-Orge die verkeilten Waggons nach möglichen Überlebenden abgesucht. Wie es zu dem Unfall mit mindestens sechs Toten und 30 Verletzten kommen konnte, blieb auch am Samstagmorgen ein Rätsel. Augenzeugen berichteten von schockierenden Szenen, während Ermittler die Trümmerlandschaft nach Hinweisen auf den Auslöser der Katastrophe suchten.

Das schwerste Zugunglück in Frankreich seit 25 Jahren hatte sich am späten Freitagnachmittag wenige Kilometer außerhalb von Paris ereignet, als der Intercity-Zug mit 385 Passagieren am Bahnhof von Brétigny-sur-Orge im Département Essonne entgleiste. Er war auf dem Weg von der Hauptstadt in das knapp 400 Kilometer weiter südlich gelegene Limoges.

Nach Angaben der staatlichen Eisenbahngesellschaft SNCF entgleiste der Zug 200 Meter vor der Bahnhofseinfahrt auf Höhe einer Weiche. Ein Defekt an einem Weichenteil könnte die Ursache des Unglücks sein, wie die französische Bahngesellschaft SNCF am Samstag mitteilte. Alle vergleichbaren Teile an anderen Orten würden nun kontrolliert, sagte Bahnchef Guillaume Pepy.

Laut einem Polizisten fuhr der Intercity "mit großer Geschwindigkeit" in den Bahnhof ein, als er in "zwei Teile gerissen" wurde. Ein Teil des Zugs sei weitergefahren, der zweite Teil mitsamt den Passagieren auf den Bahnsteig gerast und dort umgestürzt. Die Wucht des Aufpralls war so groß, dass noch hunderte Meter weiter Trümmerteile in der Ortschaft verstreut lagen. Überhöhte Geschwindigkeit als Unglücksursache schloss das Verkehrsministerium dennoch aus.

Dass sich keine noch größere Katastrophe ereignete, war laut SNCF wohl allein dem Lokomotivführer zu verdanken: Als er das erste Holpern des Zuges bemerkte, habe der Mann rasch alle Warnsysteme aktiviert und dadurch den Schienenverkehr in der Gegend gestoppt. Pepy zufolge verhinderte er damit einen Frontalzusammenstoß mit einem entgegenkommenden Zug. Doch auch so bezifferte Regierungschef Jean-Marc Ayrault die vorläufige Opferbilanz gegen Mitternacht auf sechs Tote und 30 Verletzte, darunter acht Schwerverletzte. Kinder waren einem Sanitäter zufolge nicht unter den Leichen.

Zugunglück in Frankreich
:Endstation Brétigny-sur-Orge

Der Zug spang aus den Schienen, raste in den Bahnhof und zerriss in zwei Teile: Bei einem schweren Zugunglück im französischen Brétigny-sur-Orge sterben sechs Menschen, 30 werden verletzt. Präsident Hollande besucht den Unfallort

Brétignys Bürgermeister Bernard Decaux sprach von einem "apokalyptischen Anblick". Ein Zugpassagier sagte, als er sich aus dem Waggon befreit habe, habe er über "eine Person steigen müssen, deren Kopf abgerissen war". Ein zufällig am Bahnsteig stehender Augenzeuge konnte den Anblick der eingeklemmten Opfer nur schwer ertragen. "Ich habe gezittert wie ein Kind. Menschen haben geschrien, ein Mann war über und über mit Blut bedeckt", sagte er. "Es war wie in einem Kriegsgebiet."

Präsident François Hollande begab sich noch am Abend zur Unglücksstelle, an der rund 300 Feuerwehrleute, 20 Ärzteteams und acht Rettungshubschrauber im Einsatz waren. Hollande zufolge dürfte die Identifizierung der Opfer noch "sehr lange" dauern. Das Unglück von Brétigny-sur-Orge ist die größte Zugkatastrophe in Frankreich seit 1988. Bei einem Unglück im Pariser Bahnhof Gare de Lyon waren damals 56 Menschen ums Leben gekommen.

© Süddeutsche.de/AFP/dpa/Reuters/fran/jasch - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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