Mordanklage gegen Oscar Pistorius:Ende einer Ikone

Lesezeit: 3 min

Wurde dem bekennenden Waffennarr Oscar Pistorius seine Paranoia zum Verhängnis? Der als Adrenalin-Junkie bekannte Sportler soll sich 2009 bereits an einer 19-Jährigen vergriffen haben. Doch ist der Paralympics-Star ein kaltblütiger Mörder? Das Idol einer ganzen Nation jedenfalls gibt es nicht mehr.

Von Tobias Zick, Nairobi

Das Verfahren ist kaum angelaufen, da wird auf den Straßen von Johannesburg bereits ein moralisches Urteil vollstreckt. Ein Werbeplakat mit dem Bild von Oscar Pistorius hängt schlaff kopfüber aus der Halterung, Arbeiter demontieren eine Ikone. Der südafrikanische Nationalheld, vom Magazin Time zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt gezählt: ein kaltblütiger Mörder? Oder ein schwer behandlungsbedürftiger Waffennarr, dem in seiner Paranoia vor Einbrechern der Finger am Abzug entglitten ist?

Das weiß im Moment wohl nur er selbst. Pistorius' Freundin Reeva Steenkamp jedenfalls ist tot, mit mehreren Schusswunden am frühen Morgen des Valentinstages im Haus des Star-Athleten aufgefunden. Außer Pistorius und Steenkamp war laut Polizei zur Tatzeit niemand anders zugegen. Und die Tatwaffe, eine Neun-Millimeter-Pistole, war auf seinen Namen registriert.

Am Freitagmorgen in Pretoria, auf dem Weg vom Polizeiauto in den Gerichtssaal, verbirgt Oscar Pistorius, in dunkelblauem Anzug und Krawatte, mit aller Macht sein Antlitz, er zieht sich sein Jackett über den Kopf und hält ein Notizbuch vor sein Gesicht. Drinnen, auf der Anklagebank, schlagen ihm sein Vater und sein Bruder, die hinter ihm Platz genommen haben, immer wieder ermutigend auf die Schulter. Als dann der Staatsanwalt die Anklageschrift verliest und die Worte "vorsätzlicher Mord" fallen, bricht Pistorius in Schluchzen und Wimmern aus, schlägt die Hände vors Gesicht. "Beruhigen Sie sich, setzen Sie sich hin", sagt Richter Desmond Nair und vertagt die weitere Anhörung auf Dienstag und Mittwoch kommender Woche; dann soll entschieden werden, ob der Angeklagte gegen Kaution freikommt. Bis dahin bleibt er in Gewahrsam der Polizei.

Später am Freitag lässt Pistorius über seinen Manager eine Stellungnahme verbreiten, in der er den Mordvorwurf "aufs Schärfste" zurückweist. Im übrigen müssten "alle unsere Gedanken heute bei der Familie und den Freunden von Reeva Steenkamp sein - unabhängig von den Umständen dieser schrecklichen Tragödie".

Im Kampf-Modus in die Küche

Was sich in der Tatnacht wirklich abgespielt hat, bleibt weiterhin rätselhaft. Eine Sprecherin der südafrikanischen Polizei sagte, es sei bei Pistorius bereits zu "häuslichen Zwischenfällen" gekommen - weitere Details wollte sie zunächst nicht nennen. Der Paralympics-Star hat seit längerem einen Ruf als Adrenalin-Junkie, er ist schon mal mit seinem Schnellboot schwer verunglückt und saß 2009 eine Nacht im Gefängnis, weil er sich auf einer Party an einer 19-Jährigen vergriffen haben soll. Aus seiner schweren Paranoia vor Einbrechern und seinem mehr als leidenschaftlichen Hang zu Waffen machte er selbst keinen Hehl. In einer Twitter-Nachricht im vergangenen Jahr schrieb er: "Es geht nichts darüber, nach Hause zu kommen, die Waschmaschine laufen zu hören, zu denken, es sei ein Eindringling, und dann im Kampf-Modus in die Küche zu gehen."

Früheren Zeitungsberichten zufolge glich sein Schlafzimmer einer Waffenkammer: neben dem Bett ein Revolver, am Fenster ein Maschinengewehr. Ein Reporter der New York Times, der ihn im vergangenen Jahr für ein Porträt besuchte, berichtet, dass Pistorius ihn zu einem Schießstand gefahren und ihm eine Pistole in die Hand gedrückt habe. Nach einigen Treffern auf die Zielscheibe habe der Sportler dem Reporter anerkennend gesagt, mit mehr Übung könnte er "ziemlich tödlich werden". Auf die Frage, wie oft er selbst zu diesem Schießstand komme, habe Pistorius geantwortet: "Ab und zu, wenn ich nicht schlafen kann."

Nike zieht Werbespot zurück

Der US-Sportartikelhersteller Nike hat nun eine Werbekampagne zurückgezogen und Plakate und Bilder vom Markt genommen, die Pistorius in einem Startblock zeigen, dazu der Slogan: "Ich bin die Kugel in der Kammer". Andere Sponsoren wie der Prothesen-Hersteller Ossur erklärten, sie wollten zunächst das Gerichtsverfahren abwarten, ehe sie entscheiden, ob sie weiter mit dem Sportler zusammenarbeiten. Dass Pistorius in absehbarer Zeit seinen Status als Idol zurückerlangen kann, ist allerdings mehr als fraglich. "Ein Leben liegt in Scherben", schreibt die Zeitung Pretoria News, "seine glitzernde Zukunft ist vorbei. Der tiefe Fall von Oscar Pistorius scheint zu verheerend, um sich davon noch einmal zu erholen."

Am Tag vor der Tat hatte Reeva Steenkamp noch in Vorfreude auf den Valentinstag getwittert: "Was habt ihr für eure Liebsten morgen in petto?" Nach den tödlichen Schüssen sagte ihr Vater im Interview mit einem südafrikanischen Fernsehsender: "Ihr ganzes Leben, alles, was sie hätte erreichen können, bleibt unerfüllt. Sie ist jetzt bei den Engeln." Von der irdischen Bildfläche verschwunden ist sie allerdings noch längst nicht: Das britische Boulevardblatt The Sun druckte am Freitag auf seiner Titelseite ein Bikini-Foto des Opfers. Dazu, in Anspielung an den Start eines Sprintrennens: "3.00: 3 Schüsse. Schreie. Stille. 3.10: 3 weitere Schüsse."

Das südafrikanische Fernsehen will am Samstag, wie seit längerem geplant, die in Jamaika aufgezeichnete Folge einer Reality-Show ausstrahlen, in der Reeva Steenkamp mitspielt. Man trauere mit der Familie des Opfers, erklärten die Produzenten, aber die Sendung solle gezeigt werden: "Die Folge dieser Woche wird Reevas Andenken gewidmet sein." Live auftreten wollte Reeva Steenkamp kommende Woche in einer Schule in Johannesburg - im Rahmen einer Veranstaltung zum Thema Gewalt gegen Frauen.

© SZ vom 16.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: