Hurrikan "Irma":Rückkehr in die zerstörte Heimat

Lesezeit: 4 min

Den Ort Goodland auf Marco Island im Südwesten von Florida hat Irma besonders verwüstet. In dieser Straße leben Bob und Lisa Anderson. (Foto: Thierry Backes)

Die vor Hurrikan "Irma" geflohenen Menschen fahren heim. In Tampa kehren sie sofort in den Alltag zurück. Die Bewohner im südlichen Florida müssen ihre verwüsteten Orte erst wieder aufbauen.

Von Thierry Backes, Marco Island

Der Whirlpool liegt jetzt im Vorgarten des Nachbarn. Auf der anderen Seite des Kanals. Dabei hatte Lisa Anderson die Wanne bis an den Rand mit Wasser gefüllt, damit Irma sie nicht mitnimmt. Es hat nichts genützt. Der Hurrikan riss auch Teile des Daches herunter, zerfetzte einen Unterstand und den Schuppen. Dann kam die Sturmflut. Sie zerstörte die Batterie des Golfcarts und machte erst vor der Haustür des Trailers Halt. "Wir sollten uns glücklich schätzen", sagt Anderson. "Aber ich fühle mich gerade nicht glücklich."

Die Sechzigjährige lebt mit ihrem Mann Bob in dem Dörfchen Goodland am östlichen Zipfel von Marco Island. Hier, im Südwesten von Florida, ging Irma am vergangenen Samstag um 15.35 Uhr mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 209 km/h "an Land", wie die Amerikaner sagen. Nur die Florida Keys hat der Hurrikan noch härter getroffen.

Die Sonne brennt auf die Palm Avenue hinunter. Bob Anderson, 56, wischt sich den Schweiß von der Stirn und dreht den Wasserhahn auf. Seit einer Stunde haben sie endlich wieder fließendes Wasser, und so kann Bob endlich den nach Fäkalien stinkenden Schlamm aus dem Mangrovenwald von der Terrasse spülen.

"Wir sollten uns glücklich schätzen": Lisa und Bob Anderson vier Tage nach dem Durchzug von Irma. (Foto: Thierry Backes)

Strom haben die Andersons vier Tage nach dem Hurrikan noch immer nicht. Ohne Strom kein Licht, kein Kühlschrank, keine Klimaanlage. Welche Folgen das haben kann, wurde am Mittwoch deutlich: In einem Altersheim an der Ostküste Floridas starben acht Rentner, weil die Klimaanlage nach einem Stromausfall versagte.

Damit hat Irma alleine in den USA 36 Menschen das Leben gekostet. Der Hurrikan war zwar nicht der Monstersturm, den alle erwartet haben, aber eben doch ein verheerendes Unwetter. Das ist die eine Wahrheit.

Die andere Wahrheit ist: Für die große Mehrheit der Menschen in Florida, die zu einer Evakuierung aufgerufen wurden, war Irma nicht viel mehr als ein großer Schreck, kombiniert vielleicht mit einem unerwünschten Urlaub.

Am Dienstag kehren die Ersten von ihnen über die Interstate 95 zurück in die Heimat, man erkennt sie an den Orangen auf den Nummernschildern des "Sunshine State". Ben Iozzo, 26, steuert seinen Honda Civic auf den Parkplatz des "Florida Welcome Center" bei Yulee, direkt hinter der Grenze zu Georgia. Pinkelpause.

Kanister voller Benzin, ein rares Gut in Florida: Ben Iozzo macht sein Auto fit für die Weiterfahrt nach Tampa. (Foto: Thierry Backes)

Iozzo war mit seiner Freundin Megan nach North Carolina geflohen, jetzt sind es nur noch vier Stunden bis nach Hause, und von Freunden weiß er längst: "Die Wohnung in Tampa hat nichts abbekommen, sogar die Vasen vor der Haustür haben überlebt."

Die Toiletten im Willkommenszentrum sind "out of order", das Büro unbesetzt, man kehre zurück, wenn der Sturm vorbeigezogen sei, heißt es. Immerhin hat jemand Dixie-Klos vor die Tür gepflanzt, inklusive Waschbecken aus Hartplastik. Während seine Freundin Megan sich schon mal anstellt, inspiziert Ben Iozzo einen Benzinkanister. Er hat ihn extra in eine Plastiktüte gewickelt, weil es so gestunken hat im Auto.

Benzinkanister sind in diesen Tagen ein rares Gut in Florida. So wie das Benzin selbst. Schon in Georgia warnt eine Anzeigetafel den Rückreiseverkehr: "No Gas This Exit". Zwischen Orlando und Tampa regelt ein Polizist den Verkehr an den Zapfsäulen. Und je näher man an das Krisengebiet rückt, desto länger werden die Schlangen an der Tankstelle.

Denn wenn niemand Strom hat, brauchen alle Benzin. Für ihre Generatoren. "Mein Verlobter wartete gestern zweieinhalb Stunden an der Walmart-Tankstelle gegenüber", sagt Megan Groves, 31. Sie wuchtet die Kettensäge ins Auto, die sie eben bei Lowe's erstanden hat, einem Baumarkt im Gewerbegebiet an der US-Route 41 vor Marco Island. "Ich habe die letzte bekommen", sagt sie, "dabei haben die angeblich erst vor zwei Stunden eine neue Lieferung gekriegt."

Vor dem Baumarkt Lowe's bei Marco Island stehen die Menschen Schlange. Nach Irma brauchen sie vor allem Wasser, Gummistiefel und Kettensägen. (Foto: Thierry Backes)

Lowe's ist einer der ganz wenigen Läden in der Gegend, die überhaupt offen haben. Unterstützt von einer Polizeistreife, lassen die Mitarbeiter Kunden trotzdem nur in kleinen Gruppen rein; raus kommen sie mit Taschenlampen, Paletten mit Wasserflaschen und Hochdruckreinigern. Generatoren aber, die sind ausverkauft bei Lowe's.

Anders als die meisten ist Megan Groves mit ihrem Verlobten und ihrer Tochter Alexa, zwölf, auf Marco Island geblieben, als Irma anrückte. "Das war schon krass", sagt Alexa. "Wir haben uns ein Loch in die Holzplanke geschnitten. Die Mülleimer und die Straßenschilder wirbelten umher, und dann ist fast ein Baum auf unser Haus gefallen." Er landete direkt neben dem Haus, deshalb die Kettensäge.

In Bonita Springs stehen noch große Flächen unter Wasser. (Foto: Thierry Backes)

In Bonita Springs, 50 Kilometer nördlich, brauchen sie eher Gummistiefel. Schon von der Interstate 75 sieht man Fußballfelder, die komplett unter Wasser stehen; man erkennt sie nur an den verbogenen Toren, die über den Platz verstreut liegen. Die zentrale Beach Road ist kaum passierbar ohne Allradantrieb. Und wäre das McDonald's-Restaurant nicht ohnehin geschlossen, böte sich jetzt ein Drive-Through-Witz an.

Hochwasser sind nach wie vor ein Problem in Florida, etwa in Jacksonville. Nur die Bucht von Tampa ist dem Hurrikan mal wieder entkommen. Als Irma kurzzeitig Kurs auf die Stadt an der Golfküste nahm, war sie das große Thema bei den Nachrichtensendern. Die Tampa Bay gilt als besonders anfällig für Sturmfluten. Doch wenn man die Bewohner von Davis Islands, einer niedriggelegenen Villensiedlung, darauf anspricht, winken sie ab. Lägen nicht ein paar abgefallene Palmwedel in den Parks herum, würde nicht ein Mitarbeiter die Holzplatte vor einem Geschäft abmontieren, man wüsste in Tampa gar nicht, dass die Stadt nur knapp einem Desaster entkommen ist.

Die Stadt Tampa weiter nördlich hat fast nichts abbekommen vom Sturm. (Foto: Thierry Backes)

Das lässt sich vielleicht noch besser an Walt Disney World illustrieren, dem Freizeitparkkonglomerat bei Orlando. Obwohl Irma am Sonntag ziemlich direkt über die Gegend gezogen ist, haben die Parks schon am Dienstag wieder geöffnet. Und so laufen einem Mike Wazowski und Celia schon auf dem Parkplatz vor dem Magic Kingdom über den Weg. Kenny und Lauren haben sich in die Figuren der "Monster AG" verkleidet - für eine Halloweenparty.

In Goodland auf Marco Island dürfte es hingegen noch dauern, bis es wieder so aussieht wie vorher. Irma hat Wohnwagen umgekippt und zerrissen, kaum einen Baum verschont und im Hafen ein zweigeschossiges Gerüst mit Motorbooten zusammengefaltet. Die Heilsarmee rückt mit einem Foodtruck an und verteilt Klamotten, Wasser und Suppe. Bob Anderson stemmt eine Ladung Schutt in die Tonne und quatscht mit den Nachbarn. Er sieht das ohnehin etwas weniger dramatisch als seine Frau. "Ich bin überglücklich", sagt er. "Als wir vergangene Woche wegfuhren, um dem Hurrikan zu entkommen, dachte ich: Das war's! Wir verlieren das Haus." Jetzt muss er nur ein wenig aufräumen.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Hurrikan-Zwischenbilanz
:Warum die USA bei "Irma" Glück im Unglück hatten

Millionen Menschen ohne Strom, vereinzelte Gebiete unbewohnbar - und doch war "Irma" nicht der Jahrhundertsturm, den alle erwartet haben. Eine erste Bilanz.

Von Thierry Backes, Savannah (Georgia)

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: