Das Erbe Helmut Kohls:Alles in ihrer Hand

Altkanzler Kohl wird 80

Der verstorbene Altkanzler Helmut Kohl zusammen mit seiner Ehefrau Maike Kohl-Richter.

(Foto: Ronald Wittek/dpa)

Seit dem Tod Helmut Kohls sorgt die Art der Nachlassverwaltung durch seine Witwe Maike Kohl-Richter für Irritationen. Doch wie die Geschichte anderer berühmter Männer zeigt, ist ihr Verhalten nicht ungewöhnlich.

Von Christian Mayer

Walter Kohl ist ein stattlicher Mann, der seinem Vater nicht nur ähnlich sieht, sondern offenbar auch etwas von dessen Tatkraft und Impulsivität geerbt hat. Aber auch er hatte keine Chance, als er am Mittwoch dieser Woche unangemeldet im schwarzen Anzug vor seinem Elternhaus in Ludwigshafen-Oggersheim stand, in Begleitung seiner beiden Kinder, den Enkeln Helmut Kohls.

Die Tür blieb verschlossen, da half es auch nicht, dass der Kanzlersohn immer wieder klingelte: Maike Kohl-Richter, die Witwe des am 16. Juni verstorbenen Altkanzlers, ließ sich nicht erweichen; sie bestimmt, wer Zugang zu ihrem Mann bekommt und wer außen vor bleibt.

Schwer enttäuscht und sichtlich um Fassung bemüht musste Walter Kohl den Ort seiner Kindheit verlassen, während die Fotografen und Fernsehteams das absurde Theater um den im Haus aufgebahrten Altkanzler festhielten. Der Anwalt der Witwe sprach anschließend davon, Walter Kohl habe den Eklat bewusst herbeiführen wollen, während sich der Kanzlersohn wiederum über das "pietätlose Verhalten von Maike Kohl-Richter" empörte.

Das Verhalten der Ehefrau, die auch beim Staatsakt der Europäischen Union für Helmut Kohl am kommenden Samstag alle Fäden in der Hand hält, kann man engstirnig oder egozentrisch finden. Man kann auch, eher dezent und diplomatisch, darauf verweisen, dass die Würdigung seiner Persönlichkeit im öffentlichen Interesse liege und keine reine Privatangelegenheit sei, wie das Bundestagspräsident Norbert Lammert getan hat, die Botschaft ist ja klar genug.

Die alleinige Entscheidungsbefugnis

Allerdings ist es nicht ganz ungewöhnlich, dass eine Witwe nach dem Tod ihres Mannes die Deutungshoheit über sein Leben an sich reißt, als letzte Insiderin, die es als ihre heilige Pflicht ansieht, ein nur ihr offenbartes Vermächtnis gegen alle äußeren Feinde zu verteidigen. Menschen, die dem zuletzt schwer kranken Helmut Kohl nahestanden, hatten geahnt, was nach seinem Tod passieren würde. Schließlich hatte Maike Kohl-Richter vor drei Jahren in einem Interview mit der Welt am Sonntag angekündigt: "Mein Mann hat festgelegt, dass ich für ihn sorgen sollte, falls er das einmal nicht mehr selber könnte, und dass ich die alleinige Entscheidungsbefugnis über seinen historischen Nachlass haben sollte."

Die alleinige Entscheidungsbefugnis: Das ist im Fall einer historisch bedeutsamen Person wie Helmut Kohl, der zwei Söhne aus seiner ersten Ehe mit Hannelore Kohl hat, ein gewagter Geltungsanspruch, den selbst Außenstehende als Provokation empfinden. Schaut man sich allerdings die Geschichte berühmter Politiker, Unternehmer oder Künstler an, die von ihren oft erheblich jüngeren Frauen überlebt wurden, dann findet man erstaunliche Parallelen.

Ob die frühere First Lady Nancy Reagan, die Künstler-Frau Eva Beuys oder die Dirigenten-Gattin Eliette von Karajan: Sie alle haben den Mythos ihrer Männer mit größter Sorgfalt und noch größerer Strenge gepflegt. Yoko Ono hat nach der Ermordung ihres jüngeren Ehemannes John Lennon selbst eine Weltkarriere gemacht, die Betreuung seines Werks ist aber bis heute ihre wichtigste Aufgabe geblieben.

Die Macht der Frauen berühmter Männer ist nicht grenzenlos

Als Willy Brandt 1992 starb, gab es eine ähnliche Konstellation wie jetzt im Fall Kohl: Brigitte Seebacher-Brandt, die dritte Ehefrau des Altkanzlers, sah sich ebenfalls als absolute Herrscherin über den Nachlass ihres Mannes. Den Streit mit der SPD, in der Willy Brandt als Ehrenvorsitzender und überragende Figur kultisch verehrt wurde, nahm sie genauso in Kauf wie den Konflikt mit den drei Söhnen aus der früheren Ehe mit Rut Brandt. Ähnlich stur wie Maike Kohl-Richter stellte sich die Historikerin Seebacher-Brandt auf den Standpunkt, ihr Mann habe ihr ein "klares Testament" hinterlassen, mit "sämtlichen Schriften, Akten und Papieren". Ein handgeschriebenes "Extrablatt" garantiere ihr "das Verfügungsrecht".

Nach erbitterten Auseinandersetzungen einigte sich die Witwe 1994 mit der SPD-Spitze darauf, den Nachlass Brandts im Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung zu verwahren, wobei sie sich die Verfügungsrechte sicherte. Ihre 2004 erschienene Biografie "Willy Brandt" war gewissermaßen die Fortschreibung dieses Anspruchsdenkens. Dass der SPD-Kanzler in diesem Buch zum patriotischen Konservativen umgedeutet wurde, der zuletzt Helmut Kohl nähergestanden haben soll als seiner eigenen Partei, stieß auf viel Kritik.

Wer zu dieser Eloge einer späten Ehefrau greift, erfährt vor allem eines: Dass es oft besser ist, im richtigen Moment zu schweigen, und dass Witwen nicht immer die kompetentesten Interpreten ihrer geliebten Männer sind. Auch wenn sie natürlich an der Quelle sitzen. Sie, und nur sie, wissen und fühlen, was der geliebte Mann gedacht hat und wie er die letzten Dinge regeln wollte: Diese Haltung ist maßlos, wenn eine gewisse Trauerphase einmal vergangen ist. Wenn es ihr nicht gelingt, irgendwann loszulassen, findet sich die Witwe als Gralshüterin wieder, eine Rolle, die sehr einsam macht.

Maike Kohl-Richter muss sich jetzt behaupten

In dieser Position, einer Art Pflege- und Wachdienst über den Tod hinaus, hat man allerdings alle Schlüssel in der Hand. Aus der intimen Nähe zum verstorbenen Ehepartner erwächst, testamentarisch abgesichert, eine natürliche Machtposition. Vor allem dann, wenn es gar kein anderes Korrektiv mehr gibt - bei Helmut Kohl darf immerhin noch der frühere Bild-Chefredakteur und Kohl-Trauzeuge Kai Diekmann die Tür in Oggersheim bewachen, eine Dienstleistung, die er wohl gerne anbietet.

Die Macht der Frauen berühmter Männer ist natürlich nicht grenzenlos. Ohne diplomatisches Geschick, Behauptungswillen und eigene Leistung kann man ein Erbe auch verspielen. Oder man läuft Gefahr, von seinen Gegnern ausgetrickst zu werden. Insofern ist es bemerkenswert, wie sich Liz Mohn, die zweite Ehefrau des Bertelsmann-Patriarchen Reinhard Mohn, seit Jahren an der Macht hält, als unangreifbare Herrin des Gütersloher Konzerns.

Die Witwe leitet nach wie vor die Gesellschafterversammlung und fungiert als Sprecherin der Familie, obwohl sie diese Funktion, so war es eigentlich vorgesehen, altersbedingt hätte abgeben sollen. Liz Mohn profitiert davon, dass ihr Mann sie noch zu seinen Lebzeiten offiziell als legitime Clanchefin inthronisierte - sie gilt aber auch als kompetente Macherin, vor der die Vorstandschefs strammstehen. Nicht minder geschickt agiert die bestens vernetzte Friede Springer bei dem Medienunternehmen, das ihr legendärer Ehemann Axel C. Springer aus dem Nichts aufbaute, um es dann mehrheitlich seiner fünften Ehefrau anzuvertrauen. Friede Springer würde niemals behaupten, die Chefin zu sein, das hat sie gar nicht nötig.

Auch Maike Kohl-Richter muss sich jetzt behaupten. Und sie muss sich entscheiden, ob ihr die nicht nur freudvolle Rolle der Alleinentscheiderin und Chefideologin des Kohl-Vermächtnisses wirklich guttut. Dafür ist sie mit 53 eigentlich viel zu jung.

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