Neuauflage des Prozesses:Der Fall Bill Cosby wird neu verhandelt - nach #metoo

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Für Bill Cosby geht es noch immer darum, ob er im Jahr 2004 eine Uni-Mitarbeiterin sexuell missbraucht hat. Doch die "Me Too"-Debatte hat einiges geändert.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Schauspieler Bill Cosby wird von seinem entschlossen blickenden Sprecher Andrew Wyatt zum Gerichtsgebäude in der Kleinstadt Norristown, Pennsylvania, geführt. Davor protestieren ein paar Leute - unter ihnen die Schauspielerin Nicolle Rochelle, die einst in "The Cosby Show" aufgetreten ist und sich nun mit Filzstift die Namen mutmaßlicher Cosby-Opfer auf den nackten Oberkörper geschrieben hat. Die Fernsehbilder des ersten Verhandlungstags des neu aufgerollten Prozess gegen Bill Cosby unterscheiden sich kaum von denen vor zehn Monaten. Im vergangenen Juni war der Prozess geplatzt, weil die Geschworenen sich nicht auf ein Urteil einigen konnten.

Jetzt wartet im Gerichtssaal wieder Richter Steven O'Neill, der den ersten Prozess gegen Cosby für ergebnislos erklärt hatte. Das amerikanische Recht schreibt bei Strafprozessen eine einstimmige Entscheidung vor, Cosby wird deshalb noch immer vorgeworfen, im Januar 2004 die damalige Uni-Mitarbeiterin Andrea Constand betäubt und danach sexuell missbraucht zu haben. Es sind dieselben Vorwürfe, derselbe Angeklagte, derselbe Richter. Und doch ist mittlerweile vieles anders.

Enthüllungen über Filmproduzent Harvey Weinstein oder Schauspieler Kevin Spacey haben die "Me Too"-Debatte ausgelöst. Den Männern wird vorgeworfen, ihre Prominenz und ihren Einfluss missbraucht zu haben, mitunter bishin zu Vergewaltigung. In einigen Fällen wird strafrechtlich ermittelt, doch Cosby ist bislang der einzige Prominente, der sich wegen sexueller Nötigung vor Gericht verantworten muss. Der Verlauf dieser Verhandlung wird deshalb von vielen als Indiz dafür gewertet, welche gesellschaftlichen Veränderungen die Debatten, die im Internet unter den Hashtags #metoo oder auch #Timesup geführt werden, herbeigeführt haben.

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Man muss sich noch einmal ins Gedächtnis rufen, was beim ersten Prozess geschehen ist, um zu verstehen, was nun passieren dürfte. Cosbys Verteidiger haben damals behauptet, dass das Verabreichen eines Schlafmittels harmlos sei, dass eine Frau die Umarmung eines Mannes als sexuelles Interesse zu interpretieren habe oder dass Griffe an die Innenseite des Oberschenkels oder an den Reißverschluss der Hose romantische Gesten seien. Das klingt heute noch hanebüchener als schon vor zehn Monaten.

Cosby hat nun einen neuen Verteidiger. Tom Mesereau, der bereits Mike Tyson und Michael Jackson vertreten hat, dürfte eine andere Strategie verfolgen als sein Vorgänger Brian McMonagle, zumal die nicht zu leugnenden Fakten erneut genannt werden dürften: Cosby hat zugegeben, dass er seine Ehefrau Camille immer wieder betrogen hat und dass er sich Schlafmittel besorgt hat, um mit jungen Frauen zu schlafen. Er hat auch eingeräumt, dass er seinen Finger in die Vagina von Constand gesteckt hat, ohne sich darum zu scheren, ob sie das möchte - und dass er Ruhm und Reichtum dazu missbraucht hat, all die Affären jahrzehntelang geheim zu halten.

Cosby, heute 80 Jahre alt, hatte sich etwa im Jahr 2006 von einer Zivilklage freigekauft, nachdem die strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn eingestellt worden waren. Im Gegensatz zum ersten Prozess vor zehn Monaten wollen nun sowohl Kläger als auch Verteidiger den Geschworenen gegenüber thematisieren, dass Cosby damals knapp 3,4 Millionen Dollar bezahlt hat. Warum? Nun, Staatsanwalt Kevin Steele wertet die hohe Summe in seinem Eröffnungs-Plädoyer als Eingeständnis der Schuld, Verteidiger Mesereau dürfte es so interpretieren, dass Constand geldgierig sei.

Mesereau darf die mutmaßlichen Opfer nun keinesfalls respektlos behandeln oder gar angreifen, das dürfte ihm sonst als "Victim Shaming" vorgeworfen werden, als Verhöhnung der Opfer. "Es geht bei dieser Verhandlung wegen fehlender Indizien einzig darum, wem die Geschworenen glauben werden", sagt Barbara Ashcroft, die an der Temple University Jura lehrt und an den ersten strafrechtlichen Ermittlungen gegen Cosby im Jahr 2005 beteiligt gewesen ist: "Gesetzgebung und Beweislage haben sich nicht verändert, sehr wohl aber das gesellschaftliche Klima."

Verteidiger will sich mit der Glaubwürdigkeit der Frauen beschäftigen

Cosby wird von mehr als 60 Frauen beschuldigt, sie missbraucht zu haben, die Staatsanwaltschaft möchte möglichst viele davon befragen. Bei der ersten Verhandlung hat Richter O'Neill neben Constand nur eine weitere Zeugin zugelassen, nun dürfen fünf weitere Frauen aussagen - darunter das einstige Supermodel Janice Dickinson. Mesereau hat bereits angekündigt, sich im Kreuzverhör weniger mit den Details der Aussagen beschäftigen zu wollen als mit der Glaubwürdigkeit der Zeuginnen. Am ersten Prozesstag weist er etwa auf die mögliche Drogenvergangenheit einer Frau hin, die in den kommenden Tagen befragt werden soll.

Richter O'Neill, dem aufgrund des Berufs seiner Frau Deborah (sie berät an der University of Pennsylvania unter anderem Studenten, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind) von der Verteidigung Befangenheit vorgeworfen worden war, stellte bei der Auswahl der Geschworenen klar, dass die "Me-Too"-Debatte keine Auswirkungen auf diese Verhandlung haben dürfe. Er befragte die mehr als 250 Kandidaten nach ihrer Meinung zu den Debatten und schickte sie weg, wenn die Antworten zu stark in die eine oder andere Richtung tendierten.

Doch natürlich spielt die aktuelle gesellschaftliche Debatte eine wichtige Rolle bei diesem Prozess. Es geht darum, wen die zwölf Geschworenen für glaubwürdiger halten: die mutmaßlichen Opfer oder den Angeklagten, der bei einer Verurteilung wohl den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen dürfte.

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