Absturz von Flug 4U9525:"Er hat die ganze Zeit kein Wort gesprochen"

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Als der Kapitän das Cockpit verlässt, übernimmt Andreas Lubitz das Kommando. Er schließt sich in und leitet den Sinkflug ein - offenbar bewusst, davon geht die Marseiller Staatsanwaltschaft aus.

Von Paul Munzinger

Der Absturz der Germanwings-Maschine war kein Unfall. Das ist das Ergebnis der Auswertung der am Dienstag gefundenen Blackbox. Der Co-Pilot habe den Sinkflug des Flugzeugs bewusst und absichtlich herbeigeführt, teilt Brice Robin, Staatsanwalt in Marseille, auf einer Pressekonferenz am Flughafen Marignane mit. Das Verhalten des Copiloten weise darauf hin, dass er "den Willen hatte, das Flugzeug zu zerstören", so Robin.

Von einem Journalisten gefragt, ob es sich um einen Suizid handele, sagte Robin, dass er dieses Wort nicht in den Mund nehmen wolle. Doch die Frage zu stellen, sei gerechtfertigt. Dagegen gebe es keinerlei Hinweise darauf, dass es sich um einen Terroranschlag handele.

"Die Piloten sprechen miteinander, ganz normal, höflich"

Über den Copiloten wollte Robin zunächst nichts sagen. Nur soviel: Es handele sich um einen deutschen Staatsbürger. Fragen nach dem familiären Umfeld, nach dem ethnischen Hintergrund, nach der Religion wehrt er ab. Dann verrät er den Namen doch: Andreas Lubitz., 27 Jahre alt. Robin buchstabiert den Namen für die Journalisten.

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Die Auswertung des Stimmenrekorders erlaubt die Rekonstruktion der letzten halben Stunde auf Flug 4U9525. Die ersten 20 Minuten verlaufen der Schilderung Robins zufolge unauffällig. "Die Piloten sprechen miteinander, ganz normal, höflich, wie auf jedem anderen Flug. Der Kapitän geht dann das Briefing für die Landung in Düsseldorf durch, der Copilot antwortet ganz normal. Seine Antworten wirken lakonisch."

Andreas Lubitz sperrt sich ein, reagiert nicht mehr

Dann geht der Kapitän zur Toilette. Er bittet den Copiloten, das Kommando zu übernehmen. Auf dem Band ist zu hören, wie ein Sitz zurückgeschoben wird und wie eine Tür sich schließt. Sie wird sich nicht mehr öffnen.

Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sind die Cockpit-Türen speziell gesichert. Ohne Code kommt niemand hinein. Doch selbst dann lässt sich die Tür von innen verriegeln. Das geschieht offenbar in der Germanwings-Maschine. Andreas Lubitz hat sich eingesperrt, auf Rufe und Klopfen des Kapitäns reagiert er nicht. "Man hört deutlich auf dem Stimmenrekorder, dass der Kapitän heftig gegen die Tür hämmert und den Copiloten auffordert, die Tür zu entriegeln", so Robin.

Auch die Flugsicherung, die mehrmals versucht, Kontakt zur Maschine aufzunehmen, erhält keine Antwort mehr. Im Cockpit, so schilderte es Robin, herrscht während der letzten acht Minuten vor dem Absturz Stille. Andreas Lubitz spricht kein Wort mehr.

Erst kurz vor dem Aufprall sind Schreie der Passagiere zu hören

Seit einigen Monaten erst arbeitete er als Pilot für Germanwings, sagte Robin. Doch er sei in der Lage gewesen, das Flugzeug alleine zu fliegen. Als der Kapitän das Cockpit verlassen hat, leitet L. den Sinkflug ein - bewusst: "Eine Veränderung der Höhe kann nur mit Absicht herbeigeführt werden", sagt Robin. "Er hatte keinen Grund, das zu tun." Mit 1000 Metern pro Minute sinkt das Flugzeug, "wie bei einer Landung", so der Staatsanwalt.

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Bis zuletzt ist L. offenbar am Leben und bei Bewusstsein. Sein Atem sei ruhig und gleichmäßig gewesen, sagte Robin. "So atmet niemand, der gerade einen Herzinfarkt erleidet." Anzeichen von Panik gebe es nicht.

Als der Boden dem Flugzeug gefährlich nahe kommt, ertönt ein Alarm, der die Besatzung warnen soll. In diesem Moment hört man Schläge - "als versuche jemand die Tür einzuschlagen", so Robin. Kurz vor dem Aufprall gibt es ein lautes Geräusch: wahrscheinlich ein erster Einschlag des Flugzeugs auf einem Berghang. Danach sei das Flugzeug am Berg zerschellt.

Die Passagiere ahnten wohl bis kurz vor dem Absturz nichts. Schreie, so teilte Robin mit, waren erst unmittelbar vor dem Aufprall der Maschine zu hören.

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