Flugzeugabsturz in Frankreich:Ein Dorf versucht das Chaos zu ordnen

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"Wir sind ein winziger Ort. Hier passiert normalerweise nicht so viel", sagt ein Anwohner des Dorfes Seyne-les-Alpes, wo Rettungskräfte im nahegelegenen Bergmassiv noch immer das Trümmerfeld absuchen. (Foto: Getty Images)

Hoteliers stellen kostenlos Zimmer, ein Jugendzentrum wird zur Notunterkunft für Angehörige: Der Touristenort Seyne-les-Alpes versucht sich nach dem Absturz der Germanwings-Maschine zu sortieren - und erntet dafür Lob von höchster Stelle.

Von Oliver Klasen, Seyne-les-Alpes

Es kommt darauf an, die Dinge irgendwie zu ordnen - auch wenn das extrem schwer ist, an Tag eins nach dem schlimmen Flugzeugunglück in den französischen Alpen. Man muss ordnen, selbst wenn es für die Gendarmerie erst mal nur darum geht, eine riesige Traube von Medienleuten auf einem zugigen Ackergelände dazu zu bewegen, die Straße für die Bergungskräfte frei zu halten. Hier, in einer Senke, zwei Kilometer entfernt von Seyne-les-Alpes, dem Ort, der am nächsten an der Absturzstelle liegt, starten die Hubschrauber zu ihrer Aufklärungsmission in das unwegsame Bergmassiv.

Flugunfall-Experten werden dort in das etwa zwei Hektar große Trümmerfeld abgesetzt. Auch Rechtsmediziner, die Leichen bergen sollen oder das, was von ihnen übrig ist. Das Abseilen vom Helikopter aus bis zu 90 Metern Höhe ist die einzige Möglichkeit, um rasch Helfer an die Unfallstelle zu bringen. Insgesamt 200 Retter und Bergungsexperten sollen inzwischen an dem Ort sein, wo Flug 4U9525 an einem Berg zerschellt ist. Immerhin: Das Wetter ist am Mittwochmittag besser als vorausgesagt. Der Himmel reißt auf, sogar die Sonne zeigt sich. Das erleichtert den Piloten der Hubschrauber die Arbeit.

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Wrackteile im Bergmassiv, sprachlose Politiker, eine Stele in Erinnerung: Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen herrscht Fassungslosigkeit. Die Einsatzkräfte operieren in extrem schwierigem Gelände.

Mini-Supermarkt, Pizza-Bude und eine Brasserie

Seyne-les-Alpes ist normalerweise ein Touristenort mit 1400 Einwohnern, ein paar Bäckereien, Mini-Supermarkt, Pizza-Bude und einer Brasserie mit nachgemachten Tour-de-France-Trikots an der Wand. Von hier brechen Langläufer im Winter oder Wanderer im Sommer zu ihren Touren auf. Klar, dass so ein Ort nicht darauf eingerichtet ist, einen derartigen Ausnahmezustand zu bewältigen und beispielsweise Hunderte Journalisten zu beherbergen.

"Wir sind ein winziger Ort. Hier passiert normalerweise nicht so viel. Ich habe noch nie jemanden von den Medien gesehen. Erst recht nicht einen Präsidenten oder eine Bundeskanzlerin", sagt etwa Thierry Martino, der direkt gegenüber, wo sich drei Staats- und Regierungschefs zu einer Pressekonferenz versammeln, einen kleinen Baustoffhandel betreibt.

Ordnung hineinbringen, die schrecklichen Dinge sortieren und das, was nötig ist, nach und nach erledigen. Das müssen die aus mehreren Ländern angereisten Experten, die Rettungskräfte von Gendarmerie, Feuerwehr und Militär, aber auch die Einwohner von Seyne in den kommenden Tagen bewältigen.

Merkel: "Menschen zeigen beispiellose Hilfsbereitschaft"

Ihr Engagement ist das Erste, was Angela Merkel in ihrer kurzen Ansprache am Nachmittag erwähnt: "Die Menschen hier in der Region zeigen eine beispiellose Hilfsbereitschaft, ein unfassbares Engagement und ein großes Herz." Gemeinsam mit dem französischen Präsidenten François Hollande und mit Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy hat die Bundeskanzlerin die Unglücksstelle besucht, mit Helfern und mit Angehörigen der Passagiere gesprochen.

Merkels Aufgabe ist es in diesem Moment nicht, Dinge zu ordnen. Sie will ihre Dankbarkeit zeigen. "Es tut gut, dass wir in dieser schweren Stunde Nähe und Solidarität erfahren. Das ist gelebte deutsch-französische Freundschaft", sagt die Kanzlerin. Sie schließt an Hollande an, der von "einem tiefen Gefühl der Solidarität und Brüderlichkeit in Europa" spricht. Man habe alle Kräfte mobilisiert und werde alles dafür tun, sämtliche Toten zu bergen und sämtliche Trümmerteile sicherzustellen, damit man die Ursache der Katastrophe aufklären könne.

Aber so sehr sich die Rettungskräfte auch anstrengen: Die entscheidende Frage, die die Angehörigen der Passagiere und Besatzungsmitglieder quält, können sie an diesem Tag nicht beantworten: Warum ist das Flugzeug abgestürzt?

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Selbst wenn Brice Robin, der Staatsanwalt von Marseille, mutmaßt, man werde vielleicht schon im Laufe des Tages erste Erkenntnisse aus der Auswertung des Flugdatenrekorders vorliegen haben: Die vollständige Auswertung wird Wochen oder sogar Monate dauern. Erst dann wird man wohl wissen, warum der Airbus nach Erreichen der Reiseflughöhe plötzlich in einen Sinkflug übergegangen ist, aus dem ihn die Piloten nicht mehr abfangen konnten.

"Priorität hat jetzt das Auffinden der zweiten Blackbox", sagt Xavier Roy, der Leiter der Rettungsmannschaften. Erst dann werde man nach und nach versuchen, die Toten zu identifizieren. Dafür müssen die Angehörigen, von denen die meisten am Mittwoch in den französischen Alpen eingetroffen sind, DNA-Proben abgeben. Der Zustand der Leichen lässt eine andere Methode nicht zu.

Was also kann man tun, wenn die wichtigste Frage - die nach der Absturzursache - erst einmal unbeantwortet bleibt? Man kann die Angehörigen abschirmen vor allzu unsensiblen Journalisten und ihnen einen Platz geben, an dem sie sich unbehelligt von Kameras treffen können. Das haben die Helfer in Seyne getan, indem sie ein Jugendzentrum im Dorf zur Verfügung gestellt und die Presseleute in eine Lagerhalle in einem Gewerbegebiet nahe des Hubschrauber-Landeplatzes gebeten haben.

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Man kann den Angehörigen auch mit ganz einfachen logistischen Dingen helfen. Das haben die Bürger und Hoteliers in Seyne getan, indem sie ihnen kostenlos Zimmer zum Übernachten angeboten haben. Und vielleicht erfordert es die Grausamkeit des Ereignisses auch, dass man die Angehörigen vor den schlimmsten Bildern verschont und nicht zu dem Trümmerfeld in den Bergen bringt, wo, wie es gerüchteweise von Helfern heißt, völlig zerfetzte Körper liegen sollen.

Die Familien und Freunde der Passagiere von 4U9525 versammeln sich am Abend in Le Vernet, etwa zehn Kilometer südlich von Seyne, in einer Kapelle.

Thierry Martino, der Baustoffhändler, sagt am Ende, als Merkel und die anderen Politiker schon abgefahren sind, noch, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn sein Heimatdorf wegen eines erfreulichen Ereignisses weltbekannt geworden wäre. Jetzt wird es als Ort in die Geschichte eingehen, an dem sich eine der schrecklichsten Flugzeugkatastrophen ereignet hat.

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