Zweite Stammstrecke in München:Das große Graben

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Zwei Millionen Kubikmeter Erde, alle sechs Minuten ein Lkw durch die Innenstadt: Bis 2020 die erste S-Bahn durch die neue Röhre fahren soll, werden sich Teile des Zentrums in gigantische Baustellen verwandeln.

Von Marco Völklein

Die großen Lkw sind mittlerweile verschwunden vom Gelände hinter dem Rathaus. Auch die Bagger und großen Planierwalzen haben weitgehend ihre Arbeit verrichtet und das riesige Loch wieder zugeschüttet, das seit April 2011 am Marienhof klaffte. Bis zu diesem Freitag, so hat es die Bahn der Stadt versprochen, soll der Marienhof zumindest wieder begehbar sein. Doch in zwei Jahren dürften erneut die Bagger rollen. Wenn, wie von Verkehrsminister Martin Zeil (FDP) angekündigt, die zweite S-Bahn-Stammstrecke gebaut wird . Im Jahr 2020, sagte der Minister am Dienstag, solle der Tunnel in Betrieb gehen. Ein kleiner Blick in die Zukunft zeigt, was bis dahin möglicherweise alles geschehen kann und soll.

2013

Die Arbeit der Archäologen am Marienhof ist beendet. Nun geht es um die Frage, wie man das Gelände in der Zwischenzeit sinnvoll nutzen kann. Aller Voraussicht nach werden erste Bauarbeiten frühestens Ende 2014 beginnen. Das hat Zeil angekündigt. Eine triste Kiesfläche soll am Marienhof bis dahin aber nicht bleiben; das ist der klare Wille des Stadtrats. Im Frühjahr 2013 soll der Platz zumindest provisorisch begrünt werden. Entwürfe gebe es bereits, heißt es aus dem Baureferat. Konkretes werde man demnächst dem Stadtrat vorlegen.

Auch die Innenstadt-Händler fordern möglichst rasch eine Grünfläche, damit sich Touristen, Besucher und Kunden nach ihrem Gang durch die Fußgängerzone dort erholen können. "Es gibt sonst kaum Grünflächen in der Innenstadt", sagt Wolfgang Fischer vom Händlerverband City Partner. Auch über zusätzliche Nutzungen macht sich mancher schon Gedanken: Sabine Nallinger, die OB-Kandidatin der Grünen, schlägt zum Beispiel vor, am Marienhof ein Radl-Service-Zelt mit Reparaturdienst und Mini-Waschanlage einzurichten.

Unterdessen müssen Freistaat und Bund ihr Finanzierungskonzept abschließend in Verträge gießen - und die Zustimmung der Parlamente einholen. So muss etwa der Bundestag die geplante Umwidmung eines 492-Millionen-Euro-Darlehens des Münchner Flughafens für das Tunnelprojekt absegnen. Die Tunnelgegner sehen hier noch jede Menge Unwägbarkeiten, Zeil dagegen gibt sich selbstbewusst: "Das kommt so." Der Ebersberger Bundestagsabgeordnete Ewald Schurer (SPD) hat dazu nach eigenen Angaben bereits eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Aus Zeils Ministerium hieß es am Mittwoch, "Verfahrensfragen" rund um das komplizierte Finanzierungsmodell würden "jetzt kurzfristig geklärt".

Neben dem Geld benötigt man zum Bau des Eisenbahntunnels auch noch eine Baugenehmigung. Bis dato liegt für keinen der drei Hauptbauabschnitte abschließendes Baurecht vor. Zeil erwartet, dass das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im Laufe des Jahres 2013 zumindest eine Entscheidung für den mittleren Abschnitt trifft, der vom Hauptbahnhof bis zur Isar verläuft. Dabei geht es um Lärmschutz für die Anlieger am Marienhof während der Bauphase. Im Anschluss daran, erwartet der Minister, könnten auch für die anderen Abschnitte die Baugenehmigungen folgen.

2014

Sobald das Eisenbahnbundesamt als zuständige Behörde die Baugenehmigung erteilt hat, könnte es eigentlich losgehen mit dem Bau - in der Regel bekommt ein Bauherr das Recht zum "Sofortvollzug". Minister Zeil hat bereits angekündigt, davon Gebrauch machen zu wollen. Doch bis Ende 2014 wird voraussichtlich nicht gebuddelt. Denn die Bahn benötigt Zeit, um die Aufträge für die Bauarbeiten europaweit auszuschreiben, mit den Anbietern zu verhandeln und die Aufträge schließlich zu vergeben.

Zudem sind die vier Bohrmaschinen, die unter der Innenstadt die beiden Tunnelröhren graben sollen, Spezialanfertigungen. Auch die müssen zunächst hergestellt werden. "Ende 2014", so der Minister, könnten daher allenfalls erste Vorarbeiten anfallen; so müssen zum Beispiel rund um den Marienhof und am Hauptbahnhof zahlreiche Kabel und Rohrleitungen verlegt werden, bevor die Bagger loslegen können.

Gleichzeitig dürften sich die Juristen die Schriftsätze um die Ohren hauen. Denn vor allem im Bauabschnitt 3 in Haidhausen sind zahlreiche Klagen gegen die Baugenehmigungen zu erwarten. Mehr als 1400 Einwendungen wurden von Bürgern und Gewerbetreibenden vorgebracht, die dortige Bürgerinitiative hat den Münchner Anwalt Eike Schönefelder engagiert, der auch einige Kläger gegen die geplante dritte Startbahn am Münchner Flughafen vertritt. Anders als beim Startbahn-Streit will die Staatsregierung aber mögliche Klagen nicht abwarten. "Dafür gibt es keinen Grund", sagt Zeil. Schönefelder und Co. könnten daher versuchen, in einem Eilverfahren einen Baustopp einzuklagen. Wie das ausgehen könnte? Unklar.

Licht am Ende der Dunkelheit: Ude und Seehofer wollen ausloten, unter welchen Bedingungen der Bau der S-Bahn-Röhre womöglich doch noch zu stemmen ist. (Foto: dpa)

2015

Mal angenommen, die Anwälte scheitern mit ihren Eilanträgen - dann sollen, wenn es nach Minister Zeil und der Bahn geht, 2015 die ersten richtigen Bauarbeiten beginnen. Zu erwarten ist, dass die Bahn am Marienhof loslegt, dort dürfte die Baugenehmigung zuerst rechtskräftig sein. Die Bauarbeiter werden sich 40 Meter in die Tiefe graben, um einen neuen Bahnhof anzulegen. Der Aushub soll per Lkw über die Straße abtransportiert werden, Betonlieferungen und Baustahl rollen ebenfalls per Laster durch die Innenstadt zur Baustelle. Zu Spitzenzeiten werden bis zu 150 Lkw am Tag fahren, alle sechs Minuten einer - die meisten davon durch die Maximilianstraße.

Weitere Haltepunkte sind am Hauptbahnhof und unter dem Orleansplatz geplant. Auch dort werden große Baugruben über mehrere Jahre das Stadtbild prägen; am Orleansplatz werden je nach Bauphase die Autofahrbahnen leicht verändert geführt, die Trambahnen aber nicht beeinträchtigt. Das Empfangsgebäude am Hauptbahnhof wird zu einem Teil abgerissen. Dort soll ein Zugangsbau entstehen, der "Nukleus", über den die Fahrgäste zu den 40 Meter tief liegenden Bahnsteigen gelangen sollen.

2016

Die beiden Tunnelröhren wollen die Bauingenieure mit insgesamt vier Bohrmaschinen von zwei Seiten unter der Innenstadt hindurchtreiben - einmal vom Leuchtenbergring im Osten aus sowie von der Donnersbergerbrücke im Westen. An der Station am Marienhof sollen sie sich treffen. Den meisten Abraum aus den Tunnelröhren (die Bahn rechnet mit insgesamt 1,9 Millionen Kubikmetern Erdaushub) wollen die Planer per Zug abtransportieren. Dazu wird es an der Donnersbergerbrücke sowie am Leuchtenbergring große Logistikflächen geben, wo der Aushub ab- und umgeladen wird.

Am Hauptbahnhof stehen die Ingenieure vor einer weiteren Herausforderung: Dort unterquert die neue S-Bahn-Trasse, die in Ost-West-Richtung verläuft, den U-Bahnhof unter dem Bahnhofsplatz, der in Nord-Süd-Richtung gebaut wurde. Um das Bauwerk abzustützen, will die Bahn unter dem U-Bahnhof eine Art riesigen Rost auf Stelzen konstruieren. Auch im U-Bahnhof selbst sollen zusätzliche Stützwände eingezogen werden. Das alles soll so ablaufen, dass der U-Bahn-Betrieb nicht gestört wird, also in der Regel nachts.

2017

Was viele Haidhauser heute schon ärgert: Neben der Baustelle auf dem Orleansplatz plant die Bahn weitere offene Baustellen in ihrem Viertel. So wird auf einem kleinen Platz vor einem Irish Pub in der Kellerstraße ein Rettungsschacht zu den beiden Tunnelröhren gegraben, ebenso in den Maximiliansanlagen südlich des Landtagsgebäudes. An- und Abtransporte zu diesen beiden Baustellen sollen ebenfalls per Lkw erfolgen.

2018

Möglicherweise erst 2018, vielleicht aber auch früher oder später, wird eine andere Entscheidung anstehen: Was passiert am Hauptbahnhof? Für den Bau des Nukleus muss das Empfangsgebäude weichen. Ein preisgekrönter Entwurf des Münchner Architekturbüros Auer + Weber für ein Nachfolgebauwerk liegt zwar vor; der Bahn war dieser allerdings zu teuer. Seit einiger Zeit schon versuchen Planer des Konzerns und die Architekten, das Ganze so zu modifizieren, dass es am Ende günstiger wird. Zuletzt hatte die Bahn einen eigenen Entwurf vorgelegt, der auf etwa 300 Millionen Euro käme; der Auer + Weber-Vorschlag hätte mindestens 350 Millionen Euro gekostet. Was nun am Ende gebaut wird, wann es fertig sein wird und ob der Freistaat, der Bund oder die Stadt Zuschüsse zum neuen Bahnhof zahlen werden - das ist derzeit offen.

2020

Laut Minister Zeil sollen vom Jahr 2020 an die ersten Züge durch die Röhre rollen. Die Baugruben werden dann zugeschüttet, am Marienhof könnte endlich die Grünanlage realisiert werden, für die sich der Stadtrat schon 2006 entschieden hatte. Es sind mehrere Baumreihen vorgesehen, die quadratisch um eine große Rasenfläche angelegt werden. Auch der Orleansplatz müsste neu gestaltet werden. Konkrete Pläne, wie das aussehen könnte, gibt es noch nicht.

© SZ vom 29.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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