Wolfratshausen/Geretsried:Zwischen Selbstzweifeln und Beharrlichkeit

Lesezeit: 2 min

Bürgermeister Heilinglechner und Bürgerladen-Aktivisten informieren sich beim Geltinger Vorzeige-Projekt

Von David Costanzo, Wolfratshausen/Geretsried

Die Ambacher Kartoffeln zu 1,50 Euro das Kilo in der Auslage stammen aus Gelting, der Käse aus Königsdorf, die Bio-Eier aus Münsing - dazwischen finden sich die bekannte Bergbauern-Milch, die famosen Dosen-Bohnen und natürlich Nutella. Das ist der Traum der Wolfratshauser Bürgerladen-Initiative. Und die Realität im Dorfladen Gelting. Darum führt die SZ-Tour mit Bürgermeister Klaus Heilinglechner (BVW) und Bürgerladen-Aktivisten vom Untermarkt ins Nachbardorf. Was kann Gelting, das Wolfratshausen nicht kann? Der Bürgermeister stellt sofort klar: "Der Bürgerladen ist nicht gescheitert. Es ist alles offen." Er will das Projekt unbedingt durchsetzen.

In Gelting treffen sich die Radler mit den Dorfladen-Initiatoren (von links) Sigrid Stumvoll, Franz Wirtensohn und Andrea Zambelli. (Foto: Manfred Neubauer)

Das Drama nähert sich dem Finale, wenn im Oktober das Bürgerbegehren im Rathaus behandelt wird: Es ist eine Geschichte voller Versprechen von Bürgerbeteiligung. Voller Euphorie, die Altstadt zu beleben. Aber auch von Versäumnissen aller. Heilinglechner bekennt bei der SZ-Tour Fehler, weil er die Sanierungskosten für den Untermarkt 10 nicht korrekt beziffern konnte, die bei mehr als 800 000 Euro und nicht bei 460 000 Euro liegen. Der Stadtrat fühlte sich betrogen - und sprach sich dagegen aus. Der Bürgermeister spricht von Selbstzweifeln, die ihn viel Kraft gekostet hätten. Aber auch die Laden-Initiative räumt Versäumnisse ein: Vielleicht hätte man die Stadträte besser einbeziehen müssen, sagt Werner Grimmeiß.

Die SZ-Radler, allen voran Bürgermeister Heilinglechner, auf dem Weg nach Gelting. (Foto: Manfred Neubauer)

Und so wird die Radl-Fahrt zur Tour de Raison nach Gelting. Dort schreibt im florierenden Dorfladen der Vorsitzende der Initiative und Geretsrieder Stadtrat Franz Wirtensohn (CSU) den Wolfratshausern eines ins Stammbuch: Wenn sie damals ein Gebäude gefordert hätten, dessen Sanierung mehr als 800 000 Euro gekostet hätte, stünden sie noch heute ohne Dorfladen da. Stattdessen habe man sich gegen den alten, geschlossenen 300-Quadratmeter-Edeka entschieden - und den nur 100 Quadratmeter großen leer stehenden Laden am Dorfplatz selbst hergerichtet. 2008 gab der evangelische Pfarrer seinen Segen für das soziale Projekt, dessen Café und Biergarten als Treffpunkt der Geltinger dient - von der Frauengruppe bis zum Papa, der mit seiner Tochter am Tisch würfelt.

Die ersten Jahren seien hart gewesen - Miese, Probleme mit Kühlung und Klimaanlage, Knatsch unter den Ehrenamtlichen. Nun seien die 20 Mitarbeiter auf 450-Euro-Basis angestellt und schöben auch mal unbezahlte Überstunden. So mache der Laden rund eine halbe Million Euro Umsatz im Jahr, bei bis zu 10 000 Euro Gewinn, berichtet Chefin Andrea Zambelli.

Die Wolfratshauser hören gebannt zu, erkennen Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. Um in der Stadt Kunden anzuziehen, brauche ihr Laden eine zentrale Lage, ein größeres Sortiment und darum mehr Platz. Auch die Integration behinderter Menschen erfordere größere Räume. Darum lehnt die Initiative die Ersatz-Läden Tchibo und Reiser ab und beharrt auf dem Untermarkt 10, genau wie Bürgermeister Heilinglechner. Der mahnt die Stadträte vor der Beratung über das Bürgerbegehren: Mehr als 2800 Wolfratshauser haben mit ihrer Unterschrift ein Votum pro Bürgerladen im Untermarkt abgegeben. Wer die ignoriere, brauche "ein dickes Fell".

© SZ vom 11.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: