Wolfratshausen:Richter im Zeugenstand

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Im Gericht sitzt Amtsrichter Berger diesmal ausnahmsweise nicht am Platz des Richters - er soll einem Mann im Café gedroht haben. Vor 20 Jahren.

Von Benjamin Engel, Wolfratshausen

Für Helmut Berger war die Situation ungewohnt. Normalerweise nimmt der 55-Jährige als Strafrichter am Wolfratshauser Amtsgericht die Zeugen ins Kreuzverhör. Nun nahm er selbst auf dem Zeugenstuhl im Amtsgericht Platz und musste aussagen. Der Grund: Der Richter hatte den 49-jährigen Angeklagten wegen Verleumdung angezeigt. Deswegen wurde der Angeklagte schließlich auch zu einer Geldstrafe verurteilt. Zu ungereimt erschienen Richter Urs Wäckerlin die Anschuldigungen.

Die Anklage stützte sich auf einen Brief. In diesem hatte der Bevollmächtigte des Angeklagten Richter Berger in einem weiteren Verfahren gegen diesen wegen Befangenheit abgelehnt. Demnach sollen der technische Zeichner und Berger Jahre zuvor im Wolfratshauser Café Abendblatt aufeinander geraten sein. Der Angeklagte soll damals kurz auf die Toilette gegangen sein. In der Zwischenzeit soll sich Berger auf dessen Stuhl gesetzt haben. Der Richter soll sich geweigert haben aufzustehen und gesagt haben: Er sei immerhin der Richter Berger. Wenn er einmal vor seinem Richtertisch stehe, werde er ihn gnadenlos verurteilen. Darauf könne er sich einstellen.

Der Angeklagte erklärte, dass er nicht wisse, warum er geladen sei. Seiner Darstellung nach sei die Auseinandersetzung mit Berger schon rund 20 Jahre her, also 1995 oder 1996. Zu der Zeit habe er den Richter noch nicht gekannt. Er sei damals mit einem inzwischen verstorbenen Freund im Café Abendblatt gesessen. Als er von der Toilette wiedergekommen sei, habe Berger auf seinem Platz gesessen. Er habe diesen mehrmals aufgefordert aufzustehen. Berger habe entgegnet, dass er einen großen Gerichtssaal habe. Falls er ihn da mal sehen solle, würde er ihm zeigen, wo sein Platz sei. Dann sei Berger gegangen.

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Der Angeklagte will Berger kurze Zeit später an einem Imbissstand wieder gesehen haben. Da habe sein Begleiter ihm erst erzählt, dass dieser ein Richter in Wolfratshausen sein solle.

Richter Berger blieb auf dem Zeugenstuhl nüchtern: "Ich habe den Angeklagten zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Gaststätte getroffen oder angesprochen", sagte er. Überhaupt sei er erst im Herbst 1997 Strafrichter in Wolfratshausen geworden. 1995 und 1996 sei er bei der Staatsanwaltschaft München II tätig gewesen. Danach sei er bis Oktober 1997 Familienrichter am Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen gewesen. Er ergänzte, dass er sich nie mit dem Angeklagten außerhalb des Gerichts unterhalten habe. Außerdem sei er kein Gast im Café Abendblatt. Nur einmal habe er dort im Biergarten einen Platz gesucht.

Der 60-jährige Bevollmächtigte sagte, dass er den Angeklagten seit 2012 betreue - zunächst wegen Problemen mit dem Jobcenter und dessen häuslicher Situation. Der Mann und sein damaliger Begleiter im Café Abendblatt hätten ihm unabhängig voneinander von der Auseinandersetzung mit dem Richter berichtet. Der Angeklagte habe ihn zu Hause besucht und erzählt, dass der Vorfall ziemlich lange her sei, so acht bis zehn Jahre vielleicht. Damit wich er von der Schilderung des Angeklagten ab, auch weil dieser behauptete, seinem Betreuer bei sich zu Hause davon erzählt zu haben.

Der Angeklagte war 2013 unter anderem wegen vorsätzlicher Körperverletzung und vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe zu Geldstrafen verurteilt wurden. Die Staatsanwältin hielt ihn für schuldig. Sie forderte eine Geldstrafe in Höhe von 1600 Euro.

Richter Wäckerlin blieb unter dem Betrag. Er verurteilte den Angeklagten zu einer Geldstrafe von 1200 Euro wegen Verleumdung. Aus seiner Sicht habe sich der Vorfall so nicht zugetragen. Es gebe "erhebliche Ungereimtheiten". Der Angeklagte habe den Zeitraum auf 1995 und 1996 eingegrenzt. Da sei Berger noch nicht Richter in Wolfratshauser gewesen. Die Aussagen des Angeklagten und seines Bevollmächtigten wichen stark voneinander ab.

© SZ vom 11.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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