Konzerturaufführung in Berlin:Vom Zirpen zum Ohrwurm

Lesezeit: 3 min

Der Waldramer Komponist Gregor A. Mayrhofer will auf das weltweite Insektensterben aufmerksam machen - mit einem "Insect Concerto".

Von Sabine Näher, Wolfratshausen/Berlin

Gregor Mayrhofer komponierte das Insect Concerto - mithilfe von Insekten. Vor allem eine Grilel hatte es dem Waldramer Komponisten angetan: Sie groovte immer im 5/8-Takt. (Foto: privat/OH)

In den letzten 30 Jahren ist die Zahl der Insekten um 75 Prozent zurück gegangen. Wer jetzt vielleicht spontan denkt, ein paar Fliegen, Stechmücken oder Wespen weniger tun's doch auch, verkennt die Bedeutung der Insekten für die Nahrungskette, vor allem für die Vögel, und ihre wichtige Funktion als Bestäuber. Auf diesen dramatischen Rückgang wollte der World Wide Fund for Nature (WWF) mit einem ungewöhnlichen Projekt aufmerksam machen. Dazu holte er die Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker mit ins Boot - und die veranlasste ihren Dirigierstipendiaten Gregor A. Mayrhofer, ein ungewöhnliches Werk zu schreiben: das "Insect Concerto". Gemeinsam mit echten Insekten, die sich in einem speziellen Terrarium auf der Bühne befanden, haben Musiker der Akademie dieses Concerto am 21. Mai im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie zur Uraufführung gebracht. "Die Leute waren total begeistert", beschreibt Mayrhofer die Reaktion des Publikums auf die außergewöhnliche Darbietung. "Viele haben mir hinterher erzählt, dass sie nie geahnt haben, wie viel Musik in diesen Tierlauten versteckt ist." Das war allerdings auch für den Komponisten eine verblüffende Entdeckung. "Wenn man genauer hinhört, merkt man erst, wie groß die Bandbreite der Laute ist".

Mayrhofer, der aus der bekannten Waldramer Musiker-Familie stammt, ist derzeit Assistent von Sir Simon Rattle, dem Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker. In Paris, München und Düsseldorf hat er Komposition, Dirigieren und Gehörbildung studiert und die Ausbildung an der überaus renommierten Juilliard School in New York abgeschlossen. Aus den Gesängen von Heuschrecken, Zikaden und Grillen komponierte der 30-Jährige nun sein zehnminütiges Konzert für Streicher, Bläser, Harfe und Percussion-Instrumente. "Ich wollte einen echten Dialog herstellen zwischen Mensch und Natur, wollte mit meiner Musik zwischen diesen Welten vermitteln", beschreibt Gregor Mayrhofer seine Intention. Um die Tierlaute nachzuahmen, werden die klassischen Instrumente auf ungewöhnliche Weise gespielt: Kratzen, Scharren, Zirpen sowie die Flügelschläge von Moskitos sind zu hören. "Das Stück beginnt mit vorher aufgenommenen und dann abgespielten Originaltönen der Tiere. In diese Klänge steigen die Instrumente dann ein." Eine Grille hat Mayrhofer total begeistert: "Die hat tatsächlich immer im 5 / 8-Takt gegroovt!" Diesen Rhythmus nahm der Komponist auf und legte ihn dem Stück zugrunde. "Eigentlich haben es die Tiere komponiert, nicht ich", meint er.

Wer neugierig geworden ist, kann sich die Komposition von der Website insect-concerto.com gegen einen frei wählbaren Spendenbetrag herunterladen oder auf iTunes kaufen. Die Einnahmen fließen in WWF-Projekte zum Erhalt der Insektenvielfalt und zur Förderung nachhaltiger Landwirtschaft, die eine Grundvoraussetzung für das Überleben der Insekten darstellt. Alle Beteiligten haben ehrenamtlich gearbeitet, sodass die Erträge der guten Sache in voller Höhe zufließen.

Die grundsätzliche Frage, was Kunst im politischen Diskurs bewirken kann, beantwortet Mayrhofer mit Entschiedenheit: "Sie kann Bewusstsein schaffen!" Und sein eigenes Bewusstsein hat sich durch diese Arbeit ebenfalls verändert: "Ich denke sowohl über die Natur als auch über die klassische Musik nach dieser Erfahrung neu nach. Kompositorisch hat sich mir da eine neue Tür geöffnet." Seine eigene Musik zu finden, statt nur fremd erdachte nachzuspielen, hat schon den Knaben gereizt. Die entscheidenden Erlebnisse, die ihn dazu bewogen, das Komponieren zum Lebensinhalt machen zu wollen, waren die Hörerfahrung von Tschaikowskys 6. Sinfonie mit den Berliner Philharmonikern unter Karajan und der Film "Rhythm is it!" mit diesem Orchester unter Sir Simon Rattle - eine doppelte Verbindung zu Mayrhofers derzeitiger Wirkungsstätte also.

Der künstlerische Kontakt zur Heimatregion ist gleichwohl nie abgerissen: Im Ensemble I Musicanti Bavaresi seiner Eltern sitzt Gregor nach wie vor gerne am Klavier, wenn es sich zeitlich einrichten lässt. "Ich komme immer wieder total gerne nach Hause - zur Familie wie zu den volksmusikalischen Wurzeln..." Wegzugehen rät er dennoch jedem, denn in der Ferne lerne man viel über sich und seine Herkunft.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Live und in Aktion zu erleben ist Mayrhofer übrigens bald in der Loisachhalle Wolfratshausen sowie im Augustinum Großhadern, und zwar gemeinsam mit seinem Bruder Raphael. Das von der Süddeutschen Zeitung 2010 mit dem Tassilo-Preis geehrte Jazz-Duo Imbrothersation wird sich an Klavier und Schlagzeug auf eine abenteuerliche musikalische Reise begeben, nämlich frei improvisierend "Jazz, Klassik und musikalisch-humoristische Genialität".

"Das Präludium schlägt zurück", 8. Juni, Loisachhalle, 19.30 Uhr. Karten kosten 25, 22 und 20 Euro, ermäßigt 16 Euro; an der Abendkasse ab 18.30 Uhr vier Euro Zuschlag.

© SZ vom 02.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: