SZ-Adventskalender:Gott und die Welt

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Beim Benefiz-Abend der SZ Bad Tölz-Wolfratshausen begeistern Innenpolitik-Chef Heribert Prantl als religiös orientierter Autor und Max.bab als poetische Jazzer das Publikum

Klaus Schieder

Ein Journalist ist kein Pfarrer. Er befasst sich in der Regel nicht mit Gott, sondern mit der Welt. Er berichtet über Parlamentsdebatten, Gesetzesentwürfe, Gerichtsverhandlungen, wirkliche und vermeintliche Skandale, er analysiert, beobachtet, prognostiziert. Das ist sein Tagesgeschäft und für den Tag produziert, denn schon am Morgen danach wickelt die Marktfrau den Fisch oder den Salatkopf in die Zeitung ein.

Was aber soll er schreiben, wenn ein Fest wie Weihnachten den politischen Alltag unterbricht? Dann mag es vorkommen, dass auch der Journalist "das Echo des Heiligen" vernimmt. "Mich interessieren dann nicht die aktuellen Koordinaten, sondern das Koordinatensystem", sagt Heribert Prantl, Ressortleiter Innenpolitik der SZ. Aus seinem Buch "Der Zorn Gottes", in dem er Leitartikel und Texte zu solchen Festtagen gesammelt hat, las er beim SZ-Benefizabend am Donnerstag in der Loisachhalle vor. Den musikalischen Part übernahm mit "Max.bab" eine der großen deutschen Jazzbands.

Etwa 230 Zuhörer kamen zu dem Abend zugunsten des SZ-Adventskalenders, der diesmal aus gutem Grund in Wolfratshausen stattfand. Erst vor drei Monaten war die Redaktion der SZ Bad Tölz-Wolfratshausen aus dem Gewerbegebiet ins Alte Vermessungsamt am Untermarkt und damit ins Herz der Stadt gezogen. "Wand an Wand mit dem Rathaus, aber es gibt - darauf lege ich Wert - keine Verbindungstür", sagte Ulrich Schäfer, Leiter des Ressorts München-Region-Bayern, in seiner Begrüßung. Ein breites Tor verbindet die SZ und ihre Leser seit Jahrzehnten hingegen in der Adventskalender-Spendenaktion, die 1948 in ihrem ersten Jahr die Summe von 1281 Mark eingebracht hatte. 2011 waren es 5,3 Millionen Euro. "Sie helfen, uns zu helfen, damit wir anderen helfen können", sagte Schäfer. Jeder Euro fließt direkt in die Projekte, kein Cent geht für Verwaltungskosten drauf. Für Prantl hat die Süddeutsche Zeitung viele schöne Seiten, aber "die schönste ist der Adventskalender".

167 Seiten hat sein Buch "Der Zorn Gottes", das er, umzingelt von Besuchern, am Eingang des Foyers fleißig signieren musste - weshalb sich die Pause etwas länger erstreckte als über die angekündigten 15 Minuten. Mal leise oder sachte ironisch, dann wieder bestimmt, aber nie zornig hatte er zuvor aus seinen Leitartikeln gelesen, die in verschiedenen Jahren zu Weihnachten erschienen waren. Darin stellt er die Frage, ob die Bibel nicht lügt, wenn sie den Frieden auf Erden verspricht, ob dies nicht "ein religiös getarnter Zynismus" angesichts des Unfriedens sei, der seit 2000 Jahren auf eben dieser Erde herrscht.

Eine Antwort liefert ihm der Film "Das Leben ist schön" von Roberto Benigni aus dem Jahr 1997. Auch diesen Filmtitel kann man als Hohn verstehen, spielt die Handlung doch in einem Konzentrationslager. Ein Vater versucht dort, seinem kleinen Sohn die grausame Wirklichkeit zu verschleiern, indem er alles zu einem Spiel erklärt, bei dem es einen Panzer zu gewinnen gibt - der am Ende tatsächlich kommt, als die Amerikaner das KZ befreien. Nichts als eine Lüge? Mitnichten, meint Prantl. "Der Vater im Film hat nicht gelogen, sondern versucht, eine neue Realität herzustellen, er gibt Leben und Sterben einen neuen Sinn." Hoffnung sei keine Chimäre, sondern "Ahnung der kommenden Wirklichkeit".

Hoffnung - damit ist der Grundton in Prantls Texten angeschlagen. Er klingt in immer neuen Parallelen an, die der Journalist zwischen Weihnachtsbotschaft und Konfliktherden, Unzeitlichem und Zeitlichem herstellt. Sei es, dass er die heiligen drei Könige, die in ihren prächtigen Mänteln durch Schafscheiß zur Krippe gehen, mit den drei Buchreligionen Christentum, Judentum und Islam in ihrem religiösen Wettlauf vergleicht. Auf der Suche nach Gott zu einem Miteinander zu finden sei "ein bisher gescheitertes Königsprojekt", konstatiert er. Sei es, dass er dem Jesulein-Jesus von Weihnachten den zornigen Jesus gegenüberstellt, der die Geldwechsler aus dem Tempel jagt, und von ihm einen Gedankenstrich zur Bankenkrise und einer aus den Fugen geratenen Finanzwelt zieht. "Wenn Gott Mensch werden konnte, dann könnte der Mensch auch menschlich werden." Sei es auch, dass er einer katholischen Kirche mit ihren Missbrauchsskandalen, ihrem Gläubigenschwund und ihrem Hochmut - "sie glaubt, sie liege selbst in der Krippe und müsse verehrt werden" - noch eine Chance gibt. Wenn sie denn ein Ort sei, "an dem der Himmel offen ist" - und zwar für alle.

Hoffnung hat Prantl auch für die Zeitungen. Die Grabgesänge, die bisweilen schon auf ihr Ableben angesichts des Internets gehalten werden, sind für ihn verfrüht. Beide Medien können einander nach seinem Dafürhalten ergänzen - das Internet mit raschem Nachrichtentransport, die Zeitungen mit Analyse, Tiefgründigkeit und Sprachkraft. "Wenn eine Zeitung das gut macht, wird sie immer ihre Leser haben." Vorausgesetzt, die Bedingungen stimmen. Nachdrücklich wirbt der Jurist und Journalist für die Pressefreiheit, die in Ländern wie Irak, Iran oder Afghanistan geschätzt werde, hierzulande aber kaum noch jemanden interessiere. Dabei sei sie "das tägliche Brot der Demokratie". Diese Botschaften der etwas anderen Art kamen vorzüglich unter den Zuhörern an, die anhaltenden Applaus spendeten.

Das SZ-Benefiz hat aber immer noch eine andere schöne Seite: das Konzert. Fünf Stücke seiner neuen CD "Laws of Motion", die im Mai 2013 herauskommen wird, präsentierte das Jazz-Quartett Max.bab aus Geretsried. Die vier Musiker sind längst auf den Bühnen der Welt zu Hause, in Kasachstan und Kanada, Südafrika und den USA, kehren aber immer wieder an ihren Ursprungsort zurück. 2000 gegründet, ist Max.bab eine der vielen Jazz-Formationen, denen Kritiker eine strahlende Karriere weissagten, und eine der wenigen, die diesem Anspruch gerecht wurden. Max von Mosch (Saxofon), Andreas Haberl (Schlagzeug), Benjamin Schäfer (Bass) und Christian Gall (Klavier), der den Vater gewordenen Benedikt Jahnel glänzend vertrat, boten weit mehr als nur "lautmalerische Poesie", wie Prantl anfangs formulierte.

Melodiös, aber auch kantig jazzig, modern, doch Jazztraditionen verbunden, entwickeln sie in ihren eigenen Stücken einen unverwechselbaren Stil, der mühelos schafft, was sich Max von Mosch wünscht: "Wir wollen das Publikum nicht strapazieren, sondern reinziehen in unseren Sound." Mit technischer Perfektion und traumwandlerischem Zusammenspiel gelang ihnen diese Sogwirkung, obwohl der Auftritt für sie etwas anders war als sonst. "Wir sind es nicht gewohnt, so kurz zu spielen, jetzt werden wir langsam warm", sagte Benjamin Schäfer vor der Zugabe. Das Publikum war da mit Max.bab längst warm geworden. Es nahm Wärme und Hoffnung aus der Loisachhalle mit hinaus in die Winternacht.

© SZ vom 15.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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