Konzert:Wer hören will, darf fühlen

Lesezeit: 2 min

Trotz teilweise widriger Begleitumstände sind in Geretsried die Reihen voll, wenn sich das Schumann Quartett aus München zu einem Konzert ansagt. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das Schumann Quartett lockt am helllichten Nachmittag zahlreiche Musikfreunde in die Geretsrieder Raststuben und setzt sich mit seltenen, aber furios gespielten Stücken sogar gegen den Trubel des Stadtlaufs durch

Von Claudia Koestler, Geretsried

Es ist eine Frage, die man sich zwar nicht bei jedem Konzert stellt, aber gerade in diesem: Was macht eine gelungene musikalische Form aus? Maurice Ravel setzte einst bei seiner Antwort nicht auf Technik, sondern auf Wahrnehmung: Der Gradmesser sei, meinte er, anhaltendes Interesse der Zuhörenden.

Auch wenn Ravel an diesem Abend gar nicht auf dem Programm stand, so war dennoch seine Einschätzung präsent am Mittwoch im Geretsrieder Ratsstubensaal. Denn anhaltendes Interesse war, was das Schumann Quartett aus München bei den Zuhörern weckte. Und das, obwohl die äußeren Begleitumstände des Konzertes alles andere als optimal waren, denn der Zeitpunkt war schwierig. Zum einen um halb vier Uhr nachmittags an einem Werktag, zum anderen umringt vom Geretsrieder Firmenlauf. Doch weder von Absperrungen noch von Parkplatzproblemen ließen sich die Zuhörer aufhalten: Die Reihen waren bis zur letzten gefüllt, und die Interessierten waren zahlreich gekommen. Dem Schumann Quartett eilt eben längst ein Ruf voraus. Und auch die Tatsache, dass die Violinistin Traudi Pauer nicht mit von der Partie sein konnte, sondern Isolde Lehrmann für sie einsprang, konnte den Gesamteindruck des Quartetts nicht trüben, im Gegenteil: Die vier zeigten eine außerordentliche Emotionsdichte, zugleich aber auch einen äußerst eleganten Ausdruck, mit luftig- leichtem Klang und einer Zugespitztheit des Ausdrucks, der keine Nuance entging.

"1994 gegründet, setzt das Quartett die Tradition der Kammermusikensembles fort, die aus den Reihen des Bayerischen Staatsorchesters hervorgingen", erklärte das Programmheft. Ein besonderer Schwerpunkt liege dabei auf der Interpretation selten gespielter Kammermusikwerke. Für das Geretsrieder Publikum hatten die vier Münchner zunächst das "Slawische Quartett" Nr. 3 in G-Dur op. 26 von Alexander Glasunow (1865-1936) im Gepäck.

Glasunow, ein Schüler von Rimski-Korsakow, verband in diesem Werk musikalische Gegensätze aus dem slawischen Fundus traditioneller Musik. Eine volksweisenverhaftete Melodik schwebte dabei über einer Moll-gefärbten Harmonik. Eine deftige Mazurka wechselte mit quirliger Troika, Kasatschok und Polka im Finale "Une fête slave": Ein scheinbar unversiegbar sprudelnden Quell der Lebensfreude, dessen Impulse sich die vier Musiker zuspielten.

Nach einer Pause folgte dann ein weiteres, selten zu hörendes musikalisches Erlebnis: Das Klavierquintett op. 18 aus der Feder des jüdisch-polnischen Komponisten Mieczyslaw Weinberg (1919 - 1996). Die Pianistin Nobuko Nishimura gesellte sich dafür zu Barbara Burgdorf (Violine), Lehrmann (Violine), Stephan Finkentey (Viola) und Oliver Göske (Cello). Durch hochemotionale Klanglandschaften nehmen die Musiker das Publikum hier mit - schroffe und liebliche, karge und üppige. Atmosphärisch dichte, teils fast schon sphärische Klänge trafen auf enervierend hämmernde Penetranz und rangen miteinander. Musik, die regelrecht körperlich spürbar war, mal wie hauchdünnes Seidenpapier, mal wie gebürsteter, kalter Stahl. Musik nicht nur zum Hören, sondern zum Fühlen, bis der Klang am Ende in einem Hauch von Nichts entschwebte. Nach einer Atempause dankte das Geretsrieder Publikum mit lang anhaltendem Beifall.

© SZ vom 19.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: