Kino:Mut zu extremer Wirkung

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Lotte Reinigers Bilder entführen den Zuschauer in eine verzauberte Welt. Die Musiker unter Leitung von Christoph Adt meistern die Herausforderung einer punktgenauen Platzierung musikalischer Effekte. Nur die Akustik in der Loisachhalle lässt an manchen Stellen zu wünschen übrig. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das "Philharmonische Orchester Isartal" unter Leitung von Christoph Adt macht Lotte Reinigers Stummfilm zu einem Erlebnis für Auge und Ohr

Von Klaus-Peter Volkmann, Wolfratshausen

Stelzengeher, Jongleure, Beifall klatschendes Publikum - vor der Loisachhalle herrscht am Samstagabend ein buntes Treiben. Der Konzertverein Isartal und das Philharmonische Orchester Isartal wollen ihre Gäste damit auf eine ungewöhnliche Premiere einstimmen: ein "Kino-Konzert" im Stil der Zwanzigerjahre. Auf dem Programm steht die Original-Musik, die der Komponist Wolfgang Zeller zum Stummfilm "Die Abenteuer des Prinzen Achmed" von Lotte Reiniger komponiert hatte, und die Idee, mit der Unterhaltung vorab ein gesellschaftliches Großereignis des Jahres 1926 nachzuempfinden, nämlich die Premiere dieses Films, der als einer der ersten abendfüllenden Animationsfilme in die Filmgeschichte eingegangen ist.

In dreijähriger Arbeit waren damals 100 000 Scherenschnitte entstanden und mit 24 Bildern pro Sekunde als Film zum Leben erweckt worden. Wolfgang Zeller, 1893 im Harz geboren, war Lotte Reiniger in den frühen Zwanzigerjahren begegnet und auf diese Weise mit dem Film in Berührung gekommen. Seine Musik für "Achmed" bildete den Ausgangspunkt zu einer Karriere, die ihn in kurzer Zeit zu einem der gefragtesten Filmkomponisten seiner Zeit machte.

Es versteht sich von selbst, dass das Musikerlebnis an diesem Abend nichts mit einem normalen symphonischen Programm zu tun hat. Jeder Vergleich mit klassischer "Programm-Musik" wie etwa der "Moldau" von Friedrich Smetana oder Beethovens "Tonmalerei" in seiner "Pastorale" führt in die Irre. Dort ist Musik trotz ihres vorgegebenen Themas noch völlig frei entwickelt, regt beim Zuhörer die eigene Fantasie und Vorstellung an. Filmmusik dagegen ist dem starren Korsett der Handlung im Film unterworfen, stellt sich in den ausschließlichen Dienst konkret vorgegebener Bilder und will zuallererst deren Wirkung verstärken.

Aus dem Zuhörer wird damit primär ein Zuschauer, dessen Aufmerksamkeit in erster Linie dem Geschehen auf der Leinwand gilt. Beim Stummfilm wirkt dieser Effekt besonders stark, fehlt doch die Sprache der Akteure, und müssen Zwischentitel gelesen werden, um dem Geschehen folgen zu können.

Sowohl die Handlung von "Achmed" als auch die Optik der Scherenschnitt-Animation entführen den Zuschauer in eine verzauberte Welt. Musikfreunde denken dabei vielleicht an die Romantik der symphonischen Dichtung "Scheherazade" (op. 35) von Nicolai Rimski-Korsakow und erwarten von Zeller eingängige, orientalisch-romantische Melodik. Doch weit gefehlt - Stil und Zeitgeist sind 1926 von anderer Natur. Die Handlung bietet nur wenig Romantisches, dafür umso mehr Dramatik. Dem folgt Zellers Musik ganz unmittelbar.

Der Film forderte vom Komponisten Mut zu extremer Wirkung, seine Musik ist modern, mitunter drastisch-aggressiv mit großer dynamischer Bandbreite - fast immer im schnellen Wechsel zwischen abenteuerlichem Kampfgetümmel und moderater Erzählung. Nur in wenigen ruhigen Abschnitten des Geschehens wirkt sie gefühlvoll - am Ende sogar versöhnlich.

Dieses emotionale Spannungsfeld bei der Aufführung umzusetzen, dabei Übergänge und Tempowechsel mit den Szenenwechseln im Film möglichst perfekt zu synchronisieren, stellt Dirigenten wie Orchester vor große Herausforderungen. Christoph Adt hatte seine Musiker bestens vorbereitet und leitete die Darbietung souverän. Synchronisierung im Ablauf, punktgenaue Platzierung musikalischer Effekte, sowie die Gestaltung oft nur kurzer musikalischer Entwicklungen - all dies gelang ausgezeichnet. Die spieltechnischen Herausforderungen meisterte das Orchester in beeindruckender Weise. Kleinere klangliche Auffälligkeiten schmälern die rundum gelungene Gesamtleistung des Orchesters in keiner Weise.

Als problematisch erwiesen sich allenfalls (erneut) die akustischen Rahmenbedingungen in der Loisachhalle. Eine flexible Balance zwischen wuchtigen Blechbläsereinsätzen und markantem Schlagzeug einerseits und andererseits rundem Streicher- und Holzbläserklang ist dort nur schwer zu erreichen. Dass diese Ausgewogenheit zeitweise fehlte, darf man jedoch guten Gewissens auch auf die Vorgaben des Films zurückführen, die ab dem dritten Akt zur Unterstützung des zunehmenden Kampfgetümmels immer mehr "musikalischen Lärm" erfordern, den die kahlen Wände der Halle zusätzlich verstärken.

Reinigers Animationsfilm wurde erst nach aufwendiger Rekonstruktion und Restaurierung anlässlich ihres hundertsten Geburtstags wieder zugänglich und dank der Ausstrahlung auf verschiedenen TV-Kanälen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Auch unter diesem Aspekt ist dem Konzertverein Isartal zu attestieren, dass ihm mit dem "Kino-Konzert" ein Volltreffer gelungen ist.

Die Idee, das große gesellschaftliche Ereignis der Premiere des Achmed-Films 92 Jahre später im Foyer der Loisachhalle mit einem Vorprogramm nachzuempfinden, fand beim Publikum regen Anklang. Ein kostenloses Buffet, eine Tombola, Artisten sowie die Arbeiten einer Scherenschnitt-Künstlerin verkürzten die Wartezeit bis zum Beginn der Zeitreise in die Filmgeschichte und den Ausflug in die Welt orientalischer Märchen. Das Publikum im (nicht ausverkauften) Saal bedankte sich mit lang anhaltendem Beifall.

© SZ vom 17.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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