Kabarett:Dumpfbacken und Demograttler

Lesezeit: 3 min

Immer wieder taucht bei Gerhard Polt der Typ des monströsen bayerischen Spießers auf, der hinter der Maske des Biedermanns vor keiner Ungeheuerlichkeit zurückschreckt. (Foto: Hartmut Pöstges)

Gerhard Polt ist geradezu heimtückisch gesellschaftskritisch und dabei urbayerisch-saukomisch. Eine umjubelte, restlos ausverkaufte Matinee beim "Pipapo"-Festival in Geretsried

Von Wolfgang Schäl, Geretsried

Vorweihnachtliche Betrachtungen aus dem Munde eines Gerhard Polt - können die besinnlich sein? Wohl kaum, umso weniger, als der Kabarettist am Sonntag im Rahmen des Geretsrieder "Pipapo"-Festivals auf die Ratsstubenbühne trat, das sich für seine mittlerweile fünfte Auflage den Schlachtruf "Mörderisches Bayern" verordnet und einen "Kulturschock" expressis verbis nicht ausgeschlossen hatte.

Untergründig mörderisch ist denn auch das Milieu, in dem sich Polts Gestalten bewegen, es ist immer wieder der Typ des monströsen bayerischen Spießers, der hinter der Maske des Biedermanns vor keiner Ungeheuerlichkeit zurückschreckt. Diese vermeintlich harmlosen Dumpfbacken-Monologe sind nur dank ihrer grotesken Übersteigerung überhaupt auszuhalten, Polt stößt dazu die Türen zum Absurden weit auf. Mit einem hochgradig vertrackten Humor, der an Schlitzohrigkeit Seinesgleichen sucht, löst Polt die Gemeinheiten des Alltags, die eigentlich überhaupt nicht lustig sind, in ein befreiendes unbändiges Gelächter auf. Vielleicht ist dies seine größte Stärke: Polt ist nicht nur auf eine heimtückische Art und Weise gesellschaftskritisch, er ist authentisch und damit auch urbayerisch-saukomisch. Der Satz: "Ein 125-jähriges Feuerwehr-Jubiläum, das kommt ja nur alle 125 Jahre vor" - könnte er nicht aus dem Repertoire von Karl Valentin stammen?

Das zeitlich naheliegende Thema Advent siedelte Polt in einer Wohnung irgendwo in Neuperlach an, wo das Ehepaar Erwin und Käthe Böhm eine besinnliche Stunde mit einem Einsamen verbringen will. Verschiedene Vorschläge macht ein Vermittler, der einen Prospekt mit in Frage kommenden Personen mitgebracht hat. Beim Aussuchen erweist sich das Ehepaar dann aber als ausgesprochen wählerisch. Ein einsamer Jugendlicher? Lieber nicht, da wollen die Böhms doch lieber "was Gesetzteres". Eine Putzfrau scheidet aus, weil das meistens Ausländerinnen sind. Da müsse man doch fragen, ob es denn nicht "einen deutschen Einsamen gibt?" Ein Zuchthäusler kommen sowieso nicht in Betracht, lieber will das Ehepaar "was aus dem Seniorenbereich, aber koan so an oidn Tatterer". Für einen "geistig noch frischen Herrn" fortgeschrittenen Alters entscheidet sich das Ehepaar schließlich unter der Bedingung, dass er Nichtraucher ist. Der Vermittler gratuliert am Ende "zu so viel menschlicher Wärme" und verweist darauf, dass die Kosten für eine solche Adventspatenschaft auch steuerlich absetzbar seien.

Nicht wirklich adventlich-erbaulich ist auch die Schilderung eines außer Kontrolle geratenen Weihnachtsabends. Dessen Protagonist Hofinger, der "immer viel Freude am Durscht" hat, landet nach einer Obstler- und Weißbierorgie schließlich halb besinnungslos vor der heimischen Wohnung, wo sein Sohn den "bsuffanen Rauschgoidengel" auf der Türmatte in Empfang nimmt. "Mama, des Christkindl hod an Papa hoambrocht, er is total verschissn und verschpiebm." Weihnachten aus den Fugen - wenn das nicht feierlich-adventliche Stimmung vermittelt!

Mehr allgemeiner Natur sind Polts psychologische Betrachtungen über das Phänomen des Deppen an sich, festgemacht an der Gestalt des Karl Löschwinter, der das Gegenteil des Intellektuellen sei. Der richtige Depp zeichne sich dadurch aus, dass er "immer eine Frau hat, die ihn verteidigt" und dass er, anders als der Intellektuelle, bereit sei, einem Geld zu pumpen. Der Depp unterscheidet sich wiederum vom "Gesinnungsgrattler". Polts Ratschlag an diesen: "Wenn sich ein Mensch einmal selber erkannt hat, tut er gut daran, sich nicht zu erkennen zu geben."

Die gesamte Lebensweisheit des Biergartengrantlers packt Polt schließlich in die Einsichten, die er seinem Enkel "Bubi" vermittelt. Wichtig sei es, immer ein passendes Menschenbild zu haben. Wenn er das einmal besitze, dann könne er "immer noch Demokrat werden". Und ohne Geld sei ein Demokrat ohnehin nicht mehr als ein "Demograttler". Sicherlich persönlichkeitsbildend für "Bubi" sind die Erkenntnisse zum Thema Wehrpflicht. Zivildienst komme für ihn überhaupt nicht in Frage, "denn bevor i oam an Arsch ausputz, daschiaß i eam liaba".

Für so tiefschürfende Einsichten bedankte sich das Publikum in dem aus allen Nähten platzenden Ratsstubensaal mit begeistertem Beifall und entließ Polt ("Danke für das schöne Geräusch") nicht ohne Zugabe. Die geriet dann noch einmal zu einem Höhepunkt der kabarettistischen Matinee und zu einer auch schauspielerischen Meisterleistung: Eine lispelnde Moderatoren-Tusse von "Radio Fifty Fifty", die einen "Alkoholsportler" interviewt. Am Ende war allen klar, was Assunta Tammelleo vom Pipapo-Team schon vorab konstatiert hatte: "Polt ist Kult."

© SZ vom 28.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: