Kabarett:Babylon und Helgoland

Lesezeit: 2 min

Christian Springer entlarvt in Lenggries die "Leitkultur"-Propaganda

Von Wolfgang Schäl, Wackersberg

Mit dem politischen Kabarett verhält es sich so, dass da jemand Dinge, die eigentlich nicht lustig sind, so geschickt vermittelt, dass das Publikum sich amüsiert. Bis ihm dann auf einmal das Lachen vergeht. So ist es auch mit dem Flüchtlingsthema. Kann man, darf man all die Tragödien, die sich da abspielen, im Rahmen eines Abends aufgreifen, der den Anspruch erhebt, unterhaltsam zu sein? Ja, es ist möglich, und der Kabarettist Christian Springer weiß, wie es geht. Nicht mit leisen Zwischentönen und Andeutungen, sondern verbal kräftig, unsentimental die Bühne füllend. Ein mitunter sarkastischer, bayerisch eingefärbter Humor, das ist Springers Transportmittel für eine Herzensangelegenheit, die er auf der Bühne ebenso konsequent verfolgt wie im wirklichen, rauen Leben - er ist Gründer und bewegende Kraft des Vereins "Orienthelfer", für den er seit 2011 in regelmäßigen Abständen im Nahen Osten, schwerpunktmäßig an den Brennpunkten Libanon und Syrien, unterwegs ist. Es ist dieses gesellschaftliche Engagement, das ihm die Legitimation gibt, das, was er dort unmittelbar erlebt, auf die ihm sehr eigene Weise kabarettistisch umzusetzen: derb, aber glaubwürdig und fern aller politischen Betroffenheitsprosa.

Den aussichtslosen Zuständen, die ihm auf seinen Nahost-Reisen begegnen, setzt der 51-Jährige ein entschiedenes "Trotzdem" entgegen, und so ist auch sein neues Programm überschrieben. Seit einem Vierteljahr ist er damit unterwegs, jetzt gastierte er im ausverkauften Arzbacher Kramerwirt. Für die Kulturbühne "KKK", die eine neue Bleibegefunden hat und im September nach Lenggries umzieht, war es hier die vorläufig letzte Veranstaltung.

"Trotzdem" ist ein Programm, das von Springer laufend aktualisiert wird, und so reagiert er auch spontan auf einen soeben erschienenen Bericht, wonach der sozialistische Präsident Frankreichs, Francois Hollande, monatlich zehntausend Euro für seinen Meistercoiffeur ausgibt, ein Betrag, der nahezu einem Ministergehalt entspricht. Manchmal müsse man sich als Kabarettist selber gar nichts einfallen lassen, findet Springer, "die Wirklichkeit allein reicht schon aus".

Sein Blick richtet sich indessen mehr auf die Bundesrepublik und die hierzulande propagierte "Leitkultur". Da sei nämlich vieles gar nicht so deutsch, wie mancher glaube, sagt Springer, der diese These sogleich an der Nationalhymne demonstriert - mit stimmkräftiger Unterstützung des gutmütigen Arzbacher Publikums, das er für diese Zwecke aufstehen und das Deutschlandlied intonieren lässt. Nur um hinterher festzustellen, dass dies ursprünglich die österreichische Kaiserhymne zu Ehren von Franz II. gewesen sei. Ihr Komponist Josef Haydn habe die Melodie nur geklaut, sie sei nichts anderes als das kroatische Volkslied "Marika". Und der Text von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben stamme aus einer Zeit, als es Deutschland noch gar nicht gegeben habe, verfasst auf der damals zu England gehörigen Nordseeinsel Helgoland.

Das vermeintlich bayerische Bier stamme ursprünglich aus Babylonien, das Bayreuther Festspielhaus, eine als urdeutsch betrachtete Institution, würde nach Springers Recherchen heute nicht existieren, wenn der Bau nicht von einem osmanischen Sultan großzügig finanziert worden wäre. Ja selbst der Regisseur der Festspiele in Oberammergau sei ein junger Türke, weil dies nach Überzeugung des örtlichen Gemeinderats der einzig wirklich kompetente Kenner der religiösen Materie sei. Wirklich exklusiv deutsch ist für Springer nur eines: der Sonntagsspaziergang.

Fazit: "Ohne Ausländer gäbe es unsere Kultur so gar nicht." Im bayerischen "Mia san Mia" sieht Springer jedenfalls keine Perspektive. Was würde aus der Integration denn werden, wenn die Flüchtlinge das auch sagen?

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: