Geretsried/Penzberg:Fremdenfeindlich statt solidarisch

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Trauern mit Frankreich: Gesehen wurde diese Bekundung am Auto in Geretsried (Foto: Hartmut Pöstges)

Schüler tragen nach Whatsapp-Aufruf schwarz - ohne den Hintergrund zu kennen

Von Thekla Krausseneck, Geretsried/Penzberg

Als am Montagmorgen eine Abiturientin der Oberstufe im Sekretariat anklopfte und darum bat, eine Durchsage machen zu dürfen, hatte die Schulleitung des Geretsrieder Gymnasiums nichts dagegen. Gibt es doch nichts Normaleres, als Trauer durch das Tragen schwarzer Kleidung auszudrücken - in diesem Fall die Trauer um die Opfer von Paris. Die Schülerin durfte via Mikrofon ihre Mitschüler dazu aufrufen, am Dienstag in Schwarz zum Unterricht zu erscheinen, um ihre Solidarität zu zeigen. Erst abends auf dem Heimweg hörte die stellvertretende Schulleiterin Christine Kolbeck im Radio, was es mit dieser Aktion auf sich hatte. Und von ihrem rechtsextremen Anklang.

Eine WhatsApp-Nachricht hatte Schüler seit Sonntag dazu aufgerufen, sich am Dienstag in Trauerkleidung zu hüllen - auch als Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin, wie es am Ende der Nachricht hieß. Fremdenfeindlichkeit, gehüllt in den Mantel der Solidarität - eine hinterhältige Aktion, findet Kohlbeck. Merkel sollte durch die schwarze Kleidung darauf aufmerksam gemacht werden, dass "es so nicht weiter gehen kann", heißt es in der Nachricht.

Diese verbreitete sich viral über die Handys zahlreicher Schüler; wer sie in die Welt gesetzt hat, kann jetzt kaum noch nachvollzogen werden. Der vertretbare Teil der Nachricht wurde im Handumdrehen so populär, dass sie es ins Radio schaffte: Als Kohlbeck am Montagmorgen in die Schule fuhr, hörte sie in einer Sendung von einer "Aktion der Schülersprecher" zum Gedenken der Opfer. Kein Wort zur Kritik an der Flüchtlingspolitik. Beim Rundfunk, der letztlich zum Multiplikator wurde, war anscheinend nur die halbe WhatsApp-Nachricht angekommen. Der Sender brachte am Abend die Aufklärung.

Auch die Schülerin war offenbar in die Irre geführt worden; dass sie von den Hintergründen gewusst haben könnte, kann Kohlbeck sich nicht vorstellen. Viele dürften nicht Bescheid gewusst haben, tatsächlich erschienen am Dienstag etliche Schüler und auch Lehrer in Schwarz. Ebenso wie am Gymnasium Penzberg, wo die Schülermitverwaltung (SMV) am Montag eine entsprechende Durchsage gemacht hatte.

Von dem fremdenfeindlichen Hintergrund habe er erst am späten Montagnachmittag erfahren, sagt der stellvertretende Schulleiter Karl-Wilhelm Steiner. Gemeinsam mit den Lehrern habe er beschlossen, sich von dem fremdenfeindlichen Aspekt zu distanzieren, nicht aber von dem Aspekt der Solidarität. "Schwarz ist die Farbe der Trauer", sagt Steiner. Da einen Zusammenhang mit den Asylbewerbern herzustellen, sei "an den Haaren herbeigezogen". So positioniert sich auch die SMV, die neben einer aufklärenden Durchsage am Dienstag im WhatsApp-Chat der Q 11 Klartext sprach: "Morgen schwarz in die Schule zu gehen, ist eine Aktion, die in ganz Bayern verbreitet ist, aus Solidarität zu den Opfern, in keiner Hinsicht politisch." Der Kettenbrief sei eine Verfälschung und Interpretation des eigentlichen Hintergrunds. Die Schülerschaft solle die Aktion daher nicht boykottieren: "Es wäre schön, wenn möglichst viele mitmachen."

Eine Lehrerin aus Geretsried, die anonym bleiben möchte, erfuhr von der politischen Verbindung erst am Dienstagmorgen , als sie schwarz gekleidet in die Schule kam. Sie teilt die Meinung Kohlbecks, Steiners und der Penzberger SMV: Die Aktion sei sehr gut, ganz ohne den politischen Anklang, sagt sie. Im Unterricht nahm sie sich eine Viertelstunde, um mit den Schülern über das Thema zu sprechen.

Kohlbeck trat am Dienstagmorgen ihrerseits ans Mikrofron und erklärte durch die Lautsprecher, dass sich niemand über die dubiose Quelle der Aktion im Klaren gewesen sei. Wer Schwarz trage, der tue das wertfrei; wer indes bunt in die Schule gekommen sei, der zeige seine Trauer anders. Trotzdem bleibt ein schaler Nachgeschmack. Am Vormittag habe ein Vater angerufen, wütend habe er gefragt: "Wie können Sie diese Aktion unterstützen?" Hinzu kommt, dass die Schülerin eigenmotiviert im Sekretariat erschienen war - eine spontane Aktion, dadurch authentisch und "keine verordnete Trauer", sagt Kohlbeck. Von nun an werde sie so etwas nicht mehr einfach durchwinken können. "Jetzt muss ich da vorher nachfragen - das stört mich am meisten."

© SZ vom 18.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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