Geretsrieder Silvesterbrand:Zurück in die Normalität

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Die vom Feuer an der Geretsrieder Sudetenstraße betroffenen Familien wünschen sich ein Ende des "Lebens in einem Provisorium". Sanierung kostet mehr als eine halbe Million Euro.

Von Felicitas Amler, Geretsried

Wer all das hinter sich hat, wünscht sich nur noch eins: Normalität, Alltag. Wolfgang Werner und seine Familie, die wie drei andere Mietparteien durch ein verheerendes Feuer ihr Zuhause verloren haben, hoffen auf September: Dann soll die dritte Etage des Blocks an der Sudetenstraße 43 in Geretsried wieder bewohnbar sein. "Im Augenblick haben wir ein Leben im Provisorium", sagt der 43-jährige Finanzbeamte, "wir möchten so schnell wie möglich wieder normale Lebensverhältnisse."

Das Provisorium ist eine unmöblierte Wohnung der Baugenossenschaft, die Werner und seine Frau Katerina Anfang Januar beziehen konnten und bewusst nur notdürftig eingerichtet haben: "Mit dem Billigsten vom Billigen", denn für eine Bleibe auf Zeit wollten sie nicht auch noch viel Geld ausgeben. Also bauten sie sich ein Bett aus Europaletten, kauften im Baumarkt ein günstiges Regalsystem für die Küche, stellten eine Kleiderstange auf und richteten dem sechsjährigen Yannick sein Kinderzimmer ein: "Alles so spartanisch wie möglich. Wie eine Studentenwohnung." Von ihren ursprünglichen Möbeln seien 80 Prozent vom Feuer zerstört worden: "Küche, Couch, Wohnzimmer, Kinderzimmer, elektrische Geräte - alles kaputt. Nur die Waschmaschine war noch gut."

Glücklicherweise wurde niemand verletzt

In dem Mehrfamilienhaus der Baugenossenschaft Geretsried (BG) an der Sudetenstraße 43 war an Silvester kurz nach Mitternacht ein Feuer ausgebrochen. Nach den Ermittlungen der Polizei war ein unsachgemäß aus der Hand abgefeuertes "Römisches Licht" der Auslöser. Ein Täter wurde auch nach Aussetzen einer Belohnung nicht gefunden. Niemand wurde verletzt - das war die einzig gute Nachricht inmitten der für vier Familien entsetzlichen Situation. Deswegen, so sagt BG-Geschäftsführer Wolfgang Selig heute, überwiege bei ihm die Erleichterung.

Vanessa Wölm stand fassungslos in ihrer Wohnung . (Foto: Hartmut Pöstges)

Zu den schockierendsten Bildern, die Selig aus den Schilderungen der Betroffenen kennt, gehöre dies: "Dass ein Baby hinter dem Fenster lag, als die Flammen schon hochschlugen." Doch auch das Kleine konnte unversehrt gerettet werden. Deswegen spricht Selig von Erleichterung. Auch wenn das Unglück das schwerste war, das die Genossenschaft bisher zu bewältigen hatte. Kleinere Zimmerbrände, oft ausgelöst durch einen Adventskranz, das komme schon mal vor, sagt der Geschäftsführer, "aber das sind maximal fünfstellige Schäden". Jetzt hingegen geht es weit in den sechsstelligen Bereich: "Ich kann es derzeit nur grob sagen: über eine halbe Million Euro, aber unter einer ganzen."

Die Wiederherstellung der vom Brand zerstörten Etage in dem nicht einmal vier Jahr alten Block komme der Generalsanierung eines 100 Jahre alten Altbaus gleich, sagt der BG-Sprecher. Nicht nur das eigentliche Feuer, sondern der Ruß habe schlimme Schäden angerichtet: "Dachbalken, Estrich, Wände - alles musste raus, vieles komplett erneuert werden." Die Frist von neun Monaten, welche die Genossenschaft anfangs nannte, werde wohl eingehalten, aber viel schneller werde es halt auch nicht gehen: "Die Bestellzeiten sind groß, wenn man etwa an die verformten Fenster denkt oder an Fassadenelemente, die in gleicher Farbe angeschafft werden müssen."

Selig rät dringend zu einer Versicherung

Die Baugenossenschaft hat nach Seligs Worten "eine ganz reguläre Brandversicherung", die auch unbürokratisch, schnell und flexibel handle und den größten Teil der Schäden zahle. Die BG rate dringend - und immer schon, wie der Geschäftsführer betont - auch allen Mietern zu einer Hausratversicherung: "Da sollte man nicht am falschen Ende sparen."

Die ganze Etage ist eine Baustelle. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das wird Vanessa Wölm künftig nicht mehr tun: "Eine Hausratversicherung ist das Erste, was ich mache, wenn ich umziehe", sagt die 29-Jährige, deren Drei-Zimmer-Wohnung nach dem Brand wie ein schwarzes Loch aussah. Eine Versicherung für diesen Fall hatte sie nicht. Und ohne die Unterstützung von Familie, Freunden und anderen hilfsbereiten Geretsriedern hätte sie die Situation materiell kaum bewältigt, sagt die junge Frau. Damals, nach dem Brand, war sie verzweifelt und verstört und nur über eins froh: dass ihre beiden Katzen von einem beherzten Feuerwehrmann aus der Wohnung gerettet wurden. Sie selbst war zu dem Zeitpunkt in München, wo sie zusammen mit Freunden ins neue Jahr gefeiert hatte. Noch wenige Wochen nach dem Brand mochte sie kaum glauben, dass sie fast all ihrer Habe und ihres geliebten Zuhauses beraubt war. Heute sagt sie: "Ich habe es inzwischen doch sehr gut verkraftet. Rumheulen bringt ja nichts."

Wölm, die seit dem Feuer "wie eine Nomadin" mal bei ihrem Freund, mal bei den Eltern lebt, hat allerdings auch eine ganz neue Perspektive: Sie will mit ihrem Freund in München eine gemeinsame Wohnung beziehen. Glück sei das gewesen, sagt sie, dass sie eine erschwingliche Bleibe im teuren München gefunden hätten. Dennoch schwingt bei ihrer Erinnerung an die Sudetenstraße 43 immer ein wenig Wehmut mit. Es sei einfach das perfekte Zuhause gewesen - eine wunderschöne Wohnung, eine gute Infrastruktur und eine nette Nachbarschaft, in die sie sich eingebettet fühlte. Aber Wölm ist entschlossen: "Ich will jetzt auch die Chance sehen. Es ist Zeit, alles neu zu machen."

Eine Hausratversicherung wird dazugehören. Und da wisse sie inzwischen auch genau, worauf sie achten müsse, sagt Wölm. Eine Versicherungssumme von 50 000 Euro reiche jedenfalls nicht weit, das habe sie bei einer der anderen vom Brand betroffenen Parteien gesehen. Man denke ja, das müsste reichen, um Inventar zu ersetzen, sagt sie. Tatsächlich aber seien davon noch all die anderen Erfordernisse nach einem Brand zu bezahlen, über die man als Nicht-Betroffener vielleicht gar nicht nachdenke: Müllabfuhr, Zwischenlagerung, Reinigung, Transport und eine Unterkunft für die Übergangszeit: "Da bleibt nicht mehr viel übrig, um neue Möbel zu kaufen."

Sich neu einrichten - das steht bei Wolfgang Werner und seiner Familie in Kürze an. Im Juni können jene Parteien, die an die Sudetenstraße 43 zurückkehren wollen, erstmals wieder in ihre Wohnungen. "Dann können wir die Küche ausmessen", sagt Werner. Es wird der Anfang eines neuen normalen Lebens sein.

© SZ vom 22.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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